Ulrike Thurm

CGM- und Insulinpumpenfibel


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in Ruhe unter die Lupe nehmen und verbessern. Wer nimmt sich schon im Alltag die Zeit, Kohlenhydrate nachzuwiegen, seine BE- und Korrekturfaktoren zu überprüfen oder die Therapieanpassungsstrategien zu überdenken? Dazu bekommt der Pumpenträger jetzt einige Tage Zeit – ganz exklusiv. Vor und nach den Schulungseinheiten werden die Teilnehmer nicht sofort wieder „vom Joballtag gefressen“, sondern können sich in Ruhe mit der Stoffwechselerkrankung auseinandersetzen. Die allermeisten Teilnehmer einer mehrtägigen Gruppenschulung profitieren von dieser Chance – nicht zuletzt dank der unzähligen Diskussionen und dem Erfahrungsaustausch mit den „Mitschülern“.

      Welches Schulungsmodell zu favorisieren ist, ob stationär oder ambulant, soll im Folgenden nicht weiter diskutiert werden, denn auch hier gilt: „Viele Wege führen nach Rom …“ Es folgt nun der Versuch, die beiden Modelle kurz anhand von zwei Beispielen vorzustellen. Die Beispiele sind exemplarischer Natur und sollen keinesfalls vermitteln, dass es sich bei ihnen um die einzig wahre und richtige Form der Insulinpumpeneinstellung handelt. Es handelt sich dabei jedoch um Modelle, die sich in der Praxis bewährt haben (dies gilt insbesondere für das fünftägige Düsseldorfer Schulungsmodell).

       2.1 Stationäre Insulinpumpenschulung

      Das stationäre Behandlungs- und Schulungsprogramm der Heinrich-Heine-Universitätsklinik Düsseldorf (Prof. Dr. med. M. Berger) ist, wie die Kurse für Typ-1- und Insulin spritzende Typ-2-Diabetiker, auf fünf Tage ausgerichtet. Dieses Schulungsmodell ist bis heute das einzige, das wissenschaftlich evaluiert wurde und dessen Wirksamkeit in Studien zweifelsfrei nachgewiesen ist. Deshalb dient es auch heute noch als Grundlage zur Strukturierung stationärer Schulungen. Natürlich kann und muss der Zeitplan variiert werden: je nach Größe der Gruppe, entsprechend den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Diabetiker und in Abhängigkeit von den örtlichen und personellen Gegebenheiten des Diabeteszentrums.

       Zeitplan der stationären Pumpenschulung

      In der Universitätsklinik Düsseldorf hat sich bei der Insulinpumpen-Neueinstellung der abgebildete fünftägige Zeitplan bewährt, um alle relevanten Themen zu besprechen (siehe Abb. auf der vorhergehenden Seite). Die meisten Diabetiker fragen sich vor Beginn einer solchen Schulung, was um alles in der Welt bei einer Umstellung auf die Insulinpumpe so lange dauert. Gegen Ende des Kurses wird sich das keiner mehr fragen, denn so ziemlich alle Langzeit-Diabetiker mit einer ICT entdecken individuelle „Lücken“ in ihrem Diabeteswissen und sind dankbar für die intensive Auffrischung und Vertiefung spezieller Themen.

       Gemeinsame Blutzucker-Visite

      Im Rahmen der stationären Insulinpumpenschulung finden fünfmal täglich Blutzuckerbesprechungen statt: vor dem Frühstück, nach dem Frühstück um 9 Uhr, vor dem Mittagessen um 12 Uhr, vor dem Abendessen um 17 Uhr und vor der Nachtruhe um 23 Uhr. Bei dieser Gelegenheit diskutieren die Patienten, Diabetesberaterinnen und der betreuende Arzt gemeinsam die Blutzuckerkurven jedes einzelnen Diabetikers. Die gemessenen Werte und ggf. Kurven werden betrachtet und die Ursachen diskutiert. Die erforderlichen Anpassungen von Basalrate und Bolusgaben werden ermittelt und in der gemeinsamen Besprechung für alle Teilnehmer nachvollziehbar erklärt. Dabei werden die individuellen Unterschiede deutlich, und die Diabetiker erleben, dass es unmöglich ist, allgemeingültige Empfehlungen zu geben. Nach kurzer Zeit stellt sich die Erkenntnis ein, dass es nötig ist, ausgehend von persönlichen Erfahrungen auf aktuelle Blutzuckerwerte individuell zu reagieren.

       Selbstständige Therapieanpassung

      In den letzten Schulungstagen sollten die Diabetiker selbstständig ihre Therapie anpassen und in Anlehnung an die Schulungsinhalte begründen können, wobei Arzt und Diabetesberaterin auch in schwierigen Fällen nur noch Hilfestellung leisten. Durch die Motivation der Diabetiker zu aktiver Mitarbeit können ihre Schwierigkeiten im Umgang mit der Insulinpumpentherapie erkannt und im weiteren Verlauf der Schulung berücksichtigt werden.

       Individualisierte Schulung

      Ferner werden in diesen Besprechungen die jeweils vorausgegangenen Themen wiederholt. Fragen oder Verständnisschwierigkeiten werden aufgegriffen und sofort oder zu Beginn der nächsten Stunde ausführlich besprochen. Wenn der Wissensstand der Gruppe sehr unterschiedlich ist oder wenn ein Schulungsteilnehmer Hemmungen hat, bestimmte Themen innerhalb der Gruppe anzusprechen, sind Einzelgespräche notwendig. Nur so kann ein mehrtägiges Behandlungs- und Schulungsprogramm für alle Seiten sinnvoll und zufriedenstellend durchgeführt werden.

       Alltagsnahe Aktivitäten

      Um die theoretischen Inhalte erfahrbar zu machen, werden sie im Rahmen des Schulungsprogramms auch in die Praxis umgesetzt. Aus diesem Grund sind nach der theoretischen Schulung dieser Themen eine Sportstunde und ein gemeinsamer abendlicher Restaurantbesuch fester Bestandteil des Programms. Diese gemeinsamen Aktivitäten fördern darüber hinaus auch das Zusammengehörigkeitsgefühl und den privaten Erfahrungsaustausch innerhalb der Gruppe.

       2.2 Ambulante Insulinpumpenschulung

      Dieses Kapitel beginnt mit einer sehr privaten Einleitung der Autorin, einer Diabetesberaterin, die zuvor mehr als 15 Jahren lang in Universitäts-Diabeteskliniken arbeitete:

       Für mich war die Vorstellung völlig undenkbar, eine Insulinpumpenschulung ambulant durchzuführen. Natürlich bin ich als überzeugte Vertreterin der Düsseldorfer ‚Berger-Schule’ nicht wirklich vom fünftägigen Schulungsprogramm abgewichen, habe aber einige Modifikationen vorgenommen. Dennoch erschienen mir die Risiken anfangs viel zu groß. Was könnte nicht alles passieren? Die erste Basalrate könnte viel zu niedrig oder viel zu hoch angesetzt sein. Die Patienten würden massiv entgleisen, es könnten technische Probleme oder Alarme auftreten, mit denen die frischen Pumpenträger alleine noch überfordert wären, Katheterprobleme, die sie nachts nicht alleine bewältigen würden. Wahre Horrorszenarien liefen in meinem Kopf ab.

       Daher mussten sich die Teilnehmer meiner ersten ambulanten Schulung nach dem Abendessen wieder mit mir in der Praxis treffen und um 23 Uhr nochmals mit mir telefonieren, um die aktuellen Werte durchzugeben. Ich habe in dieser Nacht kein Auge zugetan, habe wie ein hypnotisiertes Eichhörnchen auf mein Pumpennotfallhandy gestarrt und auf die oben ausgemalten Katastrophen gewartet. Es passierte … nichts.

       Am nächsten Morgen erschienen die Patienten vollzählig und allesamt wohlbehalten zur Schulung, gut gelaunt und deutlich ausgeschlafener als ich. Inzwischen kann ich in der ersten Schulungsnacht wieder besser schlafen.“

       Technische Einweisung bereits im Vorfeld

      Ganz entscheidend für den Nachtschlaf des Diabetesteams und die Therapiesicherheit ist, dass die Pumpenträger bereits zu Beginn der Insulinpumpentherapie ihren neuen Begleiter sicher bedienen und selbstständig einen neuen Katheter legen können. Zwar hat die Technik der Insulinpumpen im modernen Handyzeitalter deutlich an Schrecken verloren. Dennoch macht es einen entscheidenden Unterschied, ob man sich bei einer SMS vertippt oder ob man aus Versehen einen zu großen Bolus abgibt. Aufgrund der möglicherweise gravierenden Konsequenzen einer Fehlbedienung ist eine gute und ausführliche Technikschulung eine wesentliche Grundlage der Pumpentherapie.

      Die technische Einweisung ist Aufgabe des Pumpenherstellers (siehe Praxis-Tipp, Kap. 2) und soll den Patienten dazu in die Lage versetzen, selbstständig die Insulinpumpe zu bedienen. Manche Hersteller delegieren die technische Einweisung an Versandhändler oder freie Mitarbeiter. Die technische Einweisung sollte immer mindestens eine Woche vor Schulungsbeginn durchgeführt werden, damit die Pumpenträger einige Tage Zeit haben, sich ganz in Ruhe und in ihrem individuellen Tempo mit der Technik ihres neuen Begleiters anzufreunden. Wichtige Grundfunktionen wie Basalratenprogrammierung, Bolusgabe und Bolusvarianten, temporäre Basalratenänderung und Legen eines Insulinkatheters sollten in „Trockenübung“ so