Sie! Was lungern Sie da herum?“ Der Chauffeur ist auf mich aufmerksam geworden und kommt schnellen Schrittes zu mir herüber. Es ist beinahe eine Wohltat, dass es einen Bloomweller gibt, der mich nicht erkennt.
„Detective Inspector Culpepper“, stelle ich mich vor. „Und wer sind Sie?“ Meine forsche Art bremst den Mann ein bisschen aus.
„Jonathan Kaplow, der Fahrer von Lady Mandeville, Sir. Ihr gehört der Landsitz. Kann ich Ihnen behilflich sein, Detective Inspector?“
„Nein, vielen Dank. Ich sehe mir das Dorf an, um mich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen, und habe Mr. Scatterfeys Wagen bemerkt.“
„Ah ... Ja.“ Kaplow schaut sich kurz nach dem Sprinter um. „Die Lady will Orchideen züchten. Mr. Scatterfey hat ihr ein Gewächshaus errichtet und baut heute die notwendigen Tische für die Pflanzen ein.“ Mit frischer Wissbegierde betrachtet er mich. „Sie sind der Ersatzmann für Mr. Welsham?“
Ich nicke. „Das ist korrekt. Kannten Sie ihn?“
Kaplow schüttelt den Kopf und zuckt gleichzeitig mit den Schultern. „Wir sind uns ab und an im Crown and Bells begegnet.“
„Das ist der Pub in der Nähe vom Bahnhof.“ Ich kann mich an das Blechschild über der Tür des Lokals erinnern.
„Stimmt.“
„Hatte Mr. Welsham Freunde in Bloomwell?“, frage ich.
Kaplow sieht mich skeptisch an. „Wird das ein Verhör, Detective Inspector?“
Ich hebe lachend die Hände. „Nein, natürlich nicht. Mich hat es lediglich interessiert.“
„Mr. Welsham war ein Einzelgänger.“
„Ganz offenbar. Freunde hätten es doch sicherlich bemerkt, wenn er so depressiv oder gelangweilt war, dass er sich umbringen wollte.“
Kaplows Miene wird abweisend. „Darüber weiß ich nichts. Hören Sie, ich muss an meine Arbeit zurück. Möchten Sie, dass ich Mr. Scatterfey etwas ausrichte?“
„Nein danke, nicht nötig. Guten Tag, Mr. Kaplow.“
„Willkommen in Bloomwell, Sir.“
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Ich wandere weiter, bis ich den Waldrand erreiche. Dort drehe ich um und laufe quer durchs Dorf. Die Bäckerei, der Antiquitätenladen von Fairchild, ein Geschenkeladen, ein Schlachter, die Post, eine Gärtnerei, eine Modeboutique, ein winziger Supermarkt und die Bücherei. Die Anzahl der Geschäfte ist übersichtlich. In der Nähe der Tankstelle bekomme ich für fantastische drei Minuten einen Empfang fürs Handy. Der Bahnhof ist selbst tagsüber und im Sonnenschein trostlos. Eine getigerte Katze sitzt auf der Bank und putzt sich. Wenn ich die Richtung beibehalte, gelange ich zu einem landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb und Weiden voller Kühe. Tja, Bloomwell hat keinerlei außergewöhnliche Attraktionen zu bieten. Okay, so ganz richtig ist das nicht. Ein Haus bietet im Gegensatz zu den übrigen eine richtige Sensation. Polizeiliches Absperrband verweigert Unbefugten den Zutritt. Es flattert etwas im leichten Wind und an einer Stelle hat es sich sogar gelöst, daher knote ich es an der Zaunlatte fest. Von meinem Platz am Tor kann ich mehrere Polizeisiegel an der Tür erkennen. Sie wurden aufgebrochen. Wahrscheinlich war das die Polizei selbst, denn die Einwohner von Bloomwell würden ja niemals ungerechtfertigterweise fremde Häuser betreten. Ein paar Minuten bleibe ich vor dem Gebäude stehen und denke darüber nach, dass mein Vorgänger hinter der weinbewachsenen Fassade gestorben ist. Ein bisschen gruselig ist das schon. Endlich gebe ich mir einen Ruck und wandere weiter. Ich schlage einen Bogen und bewege mich an einer unkrautüberwucherten Feldsteinmauer entlang. Dahinter liegt der Friedhof. Als ich hinüberspähe, entdecke ich verwitterte Grabsteine und eingesunkene Gräber. Das muss der alte Teil des Totenackers sein. Kurz halte ich inne und lasse den Anblick auf mich wirken. Ich mag die Ruhe und die Atmosphäre, die alte Friedhöfe ausstrahlen.
„Hallo, Mr. Culpepper. Suchen Sie etwas?“
Mir bleibt vor Schreck beinahe das Herz stehen, als der Pfarrer wie ein entfesselter Kastenteufel hinter einem moosbesetzten Mausoleum auftaucht.
„Himmel! Schleichen Sie sich immer an, um Ihre Schäfchen näher zu Gott zu bringen?“
Der Geistliche lächelt schmal. „Ich war dabei, meine tägliche Runde zu drehen. Und Sie?“
„Ich ebenfalls. Ein Spaziergang durch das Dorf, damit ich es kennenlerne.“
Über die Mauer hinweg streckt mir der Mann Gottes die Hand entgegen. Seine Finger sind lang, dünn und schwitzig, ihr Druck kaum spürbar. Die hageren Gesichtszüge hinter einer schlichten Brille erinnern mich an jemanden.
„Ich bin Father Bones.“
Ah!
Daher kommt mir das Gesicht bekannt vor. Wenn man ihm einen Strohhalm ins Ohr stecken und ihn aufpusten würde, käme die Gestalt des dicken Bürgermeisters heraus.
„Sie sind mit Bürgermeister Bones verwandt?“
„Ja, er ist mein älterer Bruder. Wenn Sie Bloomwell kennenlernen wollen, kommen Sie am Sonntag in die Messe.“
„Ich bin nicht besonders gläubig.“ Um nicht zu sagen, ich bin überhaupt nicht gläubig.
„In Bloomwell besucht jeder den Gottesdienst“, erklärt Father Bones.
„Darf ich daraus schließen, dass Sie über eine Menge Überzeugungskraft verfügen?“
Bones’ Miene wird mild. „Unsere Gemeinde ist klein, aber eine eingeschworene Gemeinschaft. Es freut mich, dass Sie nun ein Teil der Pfarrei sind.“
„Vielen Dank, Father Bones.“
Nachdenklich gehe ich weiter, wobei ich merke, wie mir der Geistliche hinterherstarrt und mit seinem Blick förmlich Löcher in meinem Rücken brennt. Das Dorf ist zwar winzig und die Einwohnerzahl übersichtlich, trotzdem wird mir gegenüber geradezu penetrant extreme Hilfsbereitschaft, Gläubigkeit und Harmonie verkauft. Das kann ich unmöglich akzeptieren. Bekanntlich liegt in jeder Schublade ein toter Fisch, der stinkt. Wenn es einen solchen Zusammenhalt gibt, wie man mir einreden will, warum hat sich dann Charlie Welsham umgebracht? An das Märchen vom Suizid aus Langeweile glaube ich nicht eine Sekunde.
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Zurück im Büro koche ich mir eine Tasse Tee. Bis der Darjeeling vier Minuten gezogen hat, ist auch der Rechner mit seiner Installation fertig. Mit dem vornehmen Wedgwood in der Hand setze ich mich an den Schreibtisch und checke meinen Posteingang. Middlefort hat mir eine E-Mail geschickt, in der er mir einen guten Morgen wünscht und fragt, ob er mir in irgendeiner Form behilflich sein kann. Ich bitte ihn, mir alle Unterlagen über Charlie Welshams Tod zuzusenden. In dem Moment, als ich die Nachricht abschicken will, bricht die Internetverbindung ab.
Das ist ja nicht zu fassen!
Murrend verschiebe ich die Angelegenheit auf später. Stattdessen will ich Welshams Unterlagen genauer inspizieren. Zu meiner nicht geringen Überraschung ist der Aktenordner leer, in den ich gestern die sortierten Papiere geheftet habe. Ich kneife die Augen zusammen und öffne sie gleich wieder, denn es könnte ja sein, dass ich rund fünfzig Blatt Papier einfach übersehe. Nein, sie tauchen nicht auf wundersame Weise auf, als ich erneut in den Ordner starre. Selbst das Post-it mit Welshams Passwort ist verschwunden. Ich klappe den Ordner zu, stelle ihn an seinen Platz und lehne mich im Stuhl zurück. Wer hat Zutritt zum Büro und ein Interesse daran, die Notizen zu stehlen? Mein Verdacht, dass an Welshams Tod mehr dran ist als ein Suizid, erhärtet sich weiter. Kurzentschlossen erhebe ich mich und verlasse das Gebäude, ohne den Tee auszutrinken. Schnurstracks marschiere ich hinüber in das Gemeindehaus, wo ich Oliver Bones im Gespräch mit seiner Sekretärin antreffe. Bei meinem Erscheinen verstummen sie und wenden sich mir fragend und etwas überrascht zu.
„Entschuldigen Sie die Störung, ich wollte Sie fragen, wer für die Zweigstelle des CID einen Schlüssel besitzt.“
Irritiert hebt Bones seine buschigen Brauen. Obwohl ich einen größeren Abstand wahre, haut mich sein