Wolfgang Paterno

Ein Jahrhundert Leben


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Ersten Weltkrieg hinein. Zwei große Kriege habe ich überlebt. Es fällt mir nicht leicht, mich an meine Kindheit zu erinnern. Die Zeit schluckt vieles.

      Wir waren sechs Geschwister. »Gebt lieber der Sau etwas zu essen als euren Kindern. Da habt ihr wenigstens etwas davon!« So redeten die Leute im Dorf hinter vorgehaltener Hand. Wir Kinder gingen mit unseren Körben oft hinaus, um Äpfel zu klauben. Damit wir überhaupt etwas zu essen hatten. Weihnachten empfand ich nicht als eine besondere Zeit. Die Erwachsenen sangen oder spielten Karten. Wir Kinder wurden zum Spielen auf den Hof geschickt. Man verfuhr mit uns streng. In befehlsmäßigem Ton. Das Wort der Alten war Gesetz.

      Ich ging gern in die Schule. Meine Mutter sprach aber oft ein Machtwort, wonach ich mich richten musste: »Du bleibst zu Hause und passt auf deine Geschwister auf!« Ich lief dann einfach in die Schule. So schnell ich konnte! Mit 15 musste ich als Magd in den Schlossdienst.

      Eines Tages bekamen wir im Herrenhaus Besuch von einem jungen Tischler. Er stammte aus St. Marein bei Graz und suchte einen Lehrplatz. Ich wies ihn ab und sagte ihm, man habe keine Verwendung für ihn, er müsse nicht wiederkommen. Er kam wieder. Das Ende der Geschichte? 50 Jahre lang waren wir verheiratet.

      Wir mussten immer sparen, an Urlaub war nicht zu denken. Träumen durfte man immerhin. 1939 musste mein Mann einrücken. Zehn Jahre war er fort, Kriegsgefangenschaft in Russland. Lange wusste ich nicht, wo und ob er überhaupt noch am Leben ist. Bis eine Postkarte im Briefkasten lag. Viele Sätze darauf waren geschwärzt. Das Werk der Zensur. Aber ich hatte endlich die Gewissheit, dass er noch lebte!

      Unser Sohn war gerade vier Jahre alt geworden. Ich war heilfroh über die Nachricht. Erst nach sechs Jahren die zweite Karte. Die Russen teilten mir mit, dass ich meinem Mann ein Postpaket schicken dürfe. Oh, wie war ich aufgeregt! Die Nachbarin schenkte mir Würste und Speck. Ich durchsuchte das ganze Haus nach Habseligkeiten, die ich ihm schicken konnte. Das Paket wurde meinem Mann dann tatsächlich zugestellt, die Sachen zum Essen waren von den Russen zuvor herausgenommen worden.

      Es waren harte Zeiten. Ich war mit meinem Sohn auf mich allein gestellt. Nach Ende des Krieges zogen Russen durch unsere Ortschaft. Sie kamen in unser Haus. Und wie sie herumschrien! Ein Mann mit feistem Gesicht hatte das lauteste Organ. Ich fragte ihn: »Warum schreist denn so? Ich habe dir nichts getan.« Da blieb er stehen. Er sah mich an und fragte: »Hast du keine Angst vor mir?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Angst zu haben. Wenn du mich mit deinem Gewehr erschlagen willst, dann sei es eben so.« Da lachte der Russe.

      Mir passierte nichts. Die anderen Frauen mussten viel einstecken. Ein Nachbar übernachtete bei mir und meinem Sohn, damit uns nichts geschah. Ich musste für die Russen kochen. Eier, Erdäpfel, Fleisch. Einmal bestellten sie meinen Sohn zu sich. Ich erschrak fürchterlich. »Jetzt nehmen sie ihn mit!«, dachte ich voller Panik. Sie befahlen ihm aber nur, er solle von dem Gekochten kosten. Die Russen glaubten tatsächlich, ich könnte ihr Essen vergiftet haben! Mein Sohn schlug sich den Bauch voll. So eine Mahlzeit gab es nicht alle Tage!

      Mein Mann kam spät aus der Gefangenschaft heim. Bei den Entlassungen gingen die Russen nach dem Alphabet vor. Das Z im Namen Zechner war für sie kein Buchstabe. Z verstanden sie nicht. Deshalb kam mein Mann als einer der letzten Inhaftierten frei. Ich saß vor dem Gasthaus, als mir ein Postbote den Brief überreichte: Mit dem nächsten Transport würde mein Mann nach Hause kommen. Ein paar Tage später kletterte er als Letzter aus dem Transportwagen, der im Dorf vorfuhr. Unsere Nachbarn hatten sich versammelt, alle waren neugierig. In der Menge konnte ich ihn gar nicht sehen, so umringt war er von Menschen. Das Wiedersehen nach so langer Zeit. Unbeschreiblich.

      All die Jahre diese Angst, die schreckliche Ungewissheit. Der Krieg konnte uns dennoch nicht auseinanderbringen. Wir wurden miteinander alt. Und die meiste Zeit davon waren wir glücklich. Wir feierten Goldene Hochzeit. Mein Mann starb kurz darauf.

      Ich werde nie aufhören können, an ihn zu denken. Er war Musiker, spielte Trommel und die Steirische Harmonika. Mit Freunden gründete er eine Musikgruppe. In seiner Pension saß er gern vor unserem Haus, nahe der Werkstatt. Die Menschen im Dorf, die vorbeigingen, setzten sich oft zu ihm. Und immer hatte er seine Arbeitsschürze umgebunden, außer, wenn er zum Einkaufen fuhr. In der Ehe ist es wichtig, sich gegenseitig zu respektieren. Mein Mann und ich diskutierten viel. Zum Streiten kamen wir nie.

      Viele lachen über mich, weil ich manchmal Tote sehe. Sie kommen zur Tür herein, lächeln mich an. Meine Enkel besuchen mich oft. Sie können nicht nachempfinden, wovon ich rede, wenn ich von meinen Toten spreche. Einmal liefen zwei lang verstorbene Nachbarskinder mit einem Korb ins Zimmer. Der Korb war randvoll mit schönen, großen Äpfeln. »Wo habt‘s denn die her?«, fragte ich die Kleinen. Weg waren sie, ohne Antwort. Ich weiß nicht: Ist das Fantasie? Einbildung? Mein Mann besucht mich nie. Ihn treffe ich im Himmel wieder.

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