Georg Markus

"Wie war es wirklich?"


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Sie los«, sagte er, nicht ahnend, worauf er sich da einließ.

      »Wie konnte es passieren, dass Sie als begnadeter Schauspieler Ihr Leben kaputt machten? Dass Sie sich, verzeihen Sie bitte, zu Tode soffen und damit alles wegwarfen, was Ihnen gegeben war?«

      »Tja«, seufzte Oskar Werner, »es ist ewig schad um mich! Aber Sie haben leicht reden. Spielen Sie einmal den Hamlet ohne abgeschlossene Schauspielausbildung. Desertieren Sie von der Front, weil Sie sich aus Angst vor dem Kugelhagel in die Hosen scheißen! Werden Sie einmal fristlos aus dem Burgtheater entlassen! Gehen Sie nach Hollywood und lernen Sie den Druck der Produzenten und Regisseure kennen! Machen Sie das alles! Und dann sagen Sie mir, wie Sie das schaffen! Ohne einen Tropfen Alkohol!«

      »Ich habe keine diesbezüglichen Erfahrungen«, erklärte ich, »ich kann nur sagen, dass es schön gewesen wäre, wenn wir Sie länger gehabt hätten. Es ist ein Jammer, dass Sie den Weg, der Sie von der Marchettigasse übers Burgtheater bis nach Hollywood führte, nicht fortsetzen konnten.«

      »Es war ein steiniger Weg, glauben Sie mir«, sagte Oskar Werner. »Ich war schon als Bub süchtig danach, Menschen zu beobachten und zu imitieren. Einmal ging ich einem blinden Mann nach und tappte mich genau wie dieser mit verschlossenen Augen an den Hauswänden entlang. Und dieses Kind, das dem blinden Mann nachgeht, bin ich im Grunde meines Herzens immer geblieben.«

      »Wollten Sie nie erwachsen werden?«

      »Ich wollte immer nur spielen. Spielen wie ein Kind. Theaterspielen halt. Ich ließ nicht locker, bis mich mein Onkel Franz, der Beleuchter bei der Sascha-Film war, dort als Statist unterbrachte. Und meine Großmama musste mich auf den Stehplatz mitnehmen, wenn sie ins Theater ging. Mit elf wusste ich, dass ich Schauspieler werde. Ich schlich stundenlang ums Burgtheater herum, notierte in kleine dünne Hefte, wann der Aslan, der Balser, der Skoda das Bühnenhaus betraten und wann sie es wieder verließen. Nur Autogramme hab ich keine verlangt, dazu fehlte mir der Mut.«

      »Wie ging’s weiter?«

      »Nach der Realschule, mit achtzehn, sprach ich am Burgtheater vor und wurde gleich aufgenommen. Aber die Freude währte nur kurz, acht Wochen später musste ich in den Krieg ziehen. Das Schlimmste war für mich die Vorstellung, als Krüppel zurückzukehren und nie wieder auftreten zu können. Und dann hatte ich ein traumatisches Erlebnis: Als ich auf Heimaturlaub in Wien war, beschloss ich, nicht mehr an die Front zu gehen. Ich war fahnenflüchtig, versteckte mich mit meiner ersten Frau und meiner kleinen Tochter im Wienerwald. Nur wer weiß, was einen Kriegsdeserteur erwartet, wird erahnen, was ich in diesen Monaten durchmachte. Aber irgendwie hab ich es bis zum Ende geschafft.«

      »Als der Krieg vorbei war, spielten Sie wieder am Burgtheater?«

      »Anfangs nur kleine Rollen. Aber dann drehte ich den Engel mit der Posaune. Das war ein tolles Erlebnis für den kleinen Oskar Bschließmayer aus der Marchettigasse. Ich stand plötzlich neben meinen Göttern vor der Kamera, neben der Wessely, den Hörbiger-Brüdern, dem Hans Holt. Und auch die Maria Schell war dabei – wie ich in ihrer ersten Rolle.«

      »Nach dem Engel mit der Posaune ging’s mit Ihrer Karriere als Schauspieler richtig los?«

      »Ganz im Gegenteil! Während ich in London die englische Version des Films synchronisierte, wurde ich aus dem Burgtheater gefeuert. Ich hatte vergessen, bei der Direktion um Urlaub anzusuchen.«

      »Wenn ich nicht irre, rief jetzt die ›Josefstadt‹?«

      »Ja, die nahmen mich mit offenen Armen auf. Bald drehte ich auch Entscheidung vor Morgengrauen, meinen ersten Hollywoodfilm, und als ich nach Wien zurückkehrte, kam die Rolle meines Lebens auf mich zu: Der Hamlet. Ich hatte das Gefühl, Shakespeare hätte ihn nur für mich geschrieben. Die Stunden, in denen ich Hamlet war, zählen zu den schönsten meines Lebens.«

      »Der Jubel am Bühnentürl der ›Josefstadt‹ soll unbeschreiblich gewesen sein. Solche Begeisterungsstürme hat es in Wien nie wieder gegeben.«

      »Ja, es war schon was los. Jetzt kam wieder das Burgtheater angekrochen. Die Don-Carlos-Proben mit Werner Krauß waren ein unbeschreibliches Erlebnis für mich.«

      »Sie galten als Schwieriger, man munkelte, dass die Liste Ihrer Absagen länger sei als die Ihrer Auftritte.«

      »Ja, vielleicht war ich schwierig«, erwiderte Oskar Werner. »Mir ging’s halt um absolute Präzision. Wenn mich die Qualität nicht überzeugte, sagte ich ab. So ließ ich ein Hamlet-Gastspiel platzen, weil neben der Spielstätte ein Rummelplatz stand. Einmal zerstritt ich mich mit Leopold Lindtberg, der Becket mit mir inszenieren wollte. Ein andermal verweigerte ich ein Gespräch mit William Wyler, der mir einen Hollywoodfilm angeboten hatte. Mit dem Geld meiner Absagen hätte ich mir eine Insel kaufen können. Aber wozu, frag ich Sie, brauch ich eine Insel?«

      »Vielleicht um erwachsen zu werden«, wandte ich ein. »Was war denn die größte Enttäuschung Ihres Lebens?«

      »Dass ich den Ifflandring nicht bekam. Werner Krauß, der ihn bis zu seinem Tod trug, war mein Freund und Trinkkumpan, er hatte mir oft zu verstehen gegeben, dass ich der nächste sein würde. Und dann vermachte er ihn dem Meinrad. Das hab ich nie verwunden.«

      »Nach ein paar Jahren am Burgtheater kam es schon wieder zu Problemen?«

      »Ja, da waren mir zu viele Dilettanten. Ich ging, und das hat mir nicht geschadet, denn jetzt kamen die großen Filme auf mich zu.«

      »Simone Signoret, die mit Ihnen Das Narrenschiff drehte, nannte Sie einen ›grandiosen Verrückten‹.«

      »Wenn einer sein Leben lang kämpfen muss, wird er leicht für verrückt erklärt. Ich stritt auf Teufel komm raus mit François Truffaut, ließ Kabale und Liebe, eine Faust-Verfilmung, Julius Caesar und den Prinz von Homburg platzen.«

      »Ihr Wachau Festival im Sommer 1983 wurde zum Debakel. Zeitungen nannten sie ein gescheitertes Genie.«

      »Gescheitert mag sein. Als Genie hab ich mich nie gesehen. Ich war nur empfindsamer als die anderen.«

      Empfindsamer als die anderen. – Das war das Stichwort für mich, dem Kind aus der Marchettigasse seinen Fußball mit einer eleganten Flanke zurückzuschießen.

      »Mit Ihnen mag ich ohnehin nicht spielen«, sagte der kleine Oskar Bschließmayer und warf den Ball über eine Mauer in den benachbarten Hof.

      Ein Schwieriger eben.

      »MIR BLIEB DOCH WAS ERSPART«

      Eine Begegnung mit Kaiser Franz Joseph

      Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, König von Ungarn * 18. 8. 1830 Wien-Schönbrunn † 21. 11. 1916 ebd. In seine Regentschaft (1848–1916) fällt die Rückkehr zum Absolutismus, später regierte er jedoch als konstitutioneller Herrscher. 1854 Ehe mit Elisabeth in Bayern, der vier Kinder entstammten. 1867 Ausgleich mit Ungarn. Suchte, da seine Frau den Großteil des Jahres auf Reisen war, Trost und Ablenkung u. a. bei der Schauspielerin Katharina Schratt. Franz Josephs Leben war geprägt von persönlichen Schicksalsschlägen: Erschießung seines Bruders Kaiser Maximilian in Mexiko, Selbstmord seines Sohnes Kronprinz Rudolf in Mayerling, Ermordung seiner Gattin Elisabeth in Genf. Unterschrieb 1914 die Kriegserklärung an Serbien.

      Irgendwann, als ich an diesem Buch schrieb, fasste ich den Entschluss, für ein paar Tage zu verreisen, um mich von den aufwühlenden Gesprächen mit all den Großen der Geschichte erholen zu können. Meine Wahl fiel auf Bad Ischl, weil ich dort keine Menschenseele kannte und daher nicht Gefahr lief, irgendjemandem zu begegnen.

      In der alten Kaiserstadt angekommen, ließ ich mich in der schönen Villa Schratt nieder, in der ein respektables Haubenrestaurant etabliert ist. Nach intensivem Studium der ausgewogenen Speisenkarte bestellte ich ein dreigängiges Menü, bestehend aus Kaiser-Schöberlsuppe, Stefanie-Rostbraten mit Franz-Joseph-Kartoffeln, Habsburger-Salat und danach eine Portion Maria-Theresien-Nockerln. Zu guter Letzt biss ich noch in einen Apfel der Sorte Kronprinz