nicht erwähnen. Als dieser in Berlin an die Macht kam, fiel Ihnen nichts anderes ein als ›Mir fällt zu Hitler nichts ein‹.«
»Wie alle meine Gegner zitieren Sie mich unvollständig, denn mir fielen auch die Vokabel ›irr-national‹ und ›Untergangster des Abendlandes‹ ein. Allerdings konnte ich 1933 nicht vorhersehen, wozu der Mann noch fähig sein würde.«
»Herr Kraus, man bezeichnete Sie auch als jüdischen Antisemiten.«
»Schon wieder so eine Simplifizierung, die man mir anhängte, weil ich gegen Herzls Judenstaat und für das assimilierte Leben der europäischen Juden eintrat. Ich wurde wohl auch deshalb Antisemit genannt, weil sich unter meinen mächtigen Feinden mehrere Juden befanden …«
»… und weil Sie mit 25 Jahren aus der Israelischen Kultusgemeinde austraten.«
»Korrekt: Israelitische Kultusgemeinde«, zeigte er einmal mehr seine grenzenlose Überlegenheit.
»Sie ließen sich dann katholisch taufen«, überraschte wiederum ich ihn mit Detailkenntnissen.
»Ja, aber ich trat auch aus der katholischen Kirche wieder aus.«
»Warum?«
»Weil der Bischof von Salzburg die Kollegienkirche als Spielstätte für Max Reinhardts Festspiele zur Verfügung stellte.«
»Fast hätt ich’s vergessen, gegen Reinhardt waren Sie ja auch! Ich habe den Verdacht, dass Sie all die Großen deshalb zu Ihren Feinden machten, um durch deren Prominenz Ihre eigene Bedeutung zu steigern. In Ihren Augen fand so gut wie niemand Gnade. Sogar Elias Canetti, der Sie verehrte, gelangte zu dem Schluss, dass Sie Ankläger und Richter in einer Person waren und so etwas wie einen Verteidiger erst gar nicht zuließen, da Sie sich und Ihr Urteil ohnehin für unfehlbar hielten.«
»Stimmt genau. Ein talentierter Mann, dieser Canetti.«
»War in Ihrem Leben überhaupt Platz für Privates?«, versuchte ich unserem Gespräch eine neue Wendung zu geben.
»Kaum. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich 37 Jahre lang in 922 Ausgaben der Fackel fast jede Zeile selbst geschrieben habe, alles in allem 20 000 Seiten. Dazu kamen Die letzten Tage der Menschheit und weitere Stücke, Essays, Bücher und siebenhundert Vorträge. Da blieb für Anderes wenig Zeit.«
»Allerdings wissen wir von Ihrer Beziehung zu Sidonie Nadherny, die Sie regelmäßig auf Schloss Janowitz bei Prag besuchten.«
»Ich verbitte mir, die Baronin als bloße Geliebte zu bezeichnen, sie war eine grandiose Diskussionspartnerin, kreative Zuhörerin und einzigartige Repräsentantin kultureller Aktivitäten. Wechseln wir das Thema.«
»Gut! Wie, Herr Kraus, gingen Sie denn mit Ihren zahlreichen Kritikern um?«
»Mein Leitmotiv lautete: Wer gegen mich ist, wird ignoriert. Ich lese keine Manuskripte, bespreche keine Bücher, sondern werfe sie weg, ich prüfe keine Talente, gebe keine Autogramme, besuche keine Vorlesungen außer die eigenen, erteile keinen Rat, schreibe keinen Brief und will keinen lesen.«
»Genau diese Überheblichkeit hat Ihnen den Vorwurf eingebracht, dass Sie niemanden anderen gelten lassen als sich selbst.«
»Endlich eine Kritik, der ich vollinhaltlich zustimme. Ja, ich war immer überzeugt von mir und wusste, dass mein Werk die Zeit, in der ich lebe, überdauern wird.«
»Da haben Sie sich aber geirrt«, erwiderte ich frech. »Ihre Fackel lebte von den polemischen Angriffen auf die damals Mächtigen, aber die interessieren heute niemanden mehr. Deshalb sind die meisten Ihrer Essays trotz ihrer sprachlichen Brillanz verstaubt und vergessen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich in die Abgründe der Bedeutungslosigkeit gestürzt wurde?«
»Keineswegs, Sie sind heute prominenter denn je, jeder kennt Ihren Namen. Allerdings hat kaum jemand was von Ihnen gelesen.«
»Etwas«, korrigierte er mich neuerlich, »kaum jemand hat etwas von mir gelesen. Ich bitte um präzisere Ausdrucksweise.«
Das waren die letzten Worte, die das Sprachgenie an mich gerichtet hatte. Karl Kraus ging grußlos durch die Tür des Redaktionszimmers. Ich empfand die Begegnung als aufschlussreich, wenngleich sie mich nicht davon abhalten konnte, den ersten Satz des nächsten Kapitels – über Hedy Lamarr – so niederzuschreiben, wie ich ihn von Anfang an geplant hatte:
»Es war ein strahlender Sommertag, der förmlich danach schrie …«
Auch wenn Sommertage zugegebenermaßen nicht schreien können.
ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN
Hedy Lamarr erinnert sich
Hedy Lamarr, eigentlich Hedwig Kiesler * 9. 11. 1914 Wien † 19. 1. 2000 Orlando/USA. Schauspielerin. Von Max Reinhardt für die Bühne entdeckt und ans Theater in der Josefstadt engagiert, erhielt sie 1931 ihre erste große Filmrolle (»Sturm im Wasserglas«). Weltweite Berühmtheit erlangte Hedwig Kiesler durch die Nacktszene in dem 1933 gedrehten Film »Ekstase«. Sie emigrierte 1938 in die USA, hatte aber in Hollywood unter dem Namen Hedy Lamarr nur vereinzelte Erfolge wie »Samson und Delilah« (1949). Zahlreiche Erfindungen, u. a. eine Funkfernsteuerung für Torpedos.
Es war ein strahlender Sommertag, der förmlich danach schrie, ein erfrischendes Bad in einem unserer Salzkammergutseen zu nehmen. Ich hatte die erste Schwimmrunde gerade erfolgreich beendet und ließ mich in der brütend heißen Sonne trocknen, als ein form-vollendetes Wesen von atemberaubender Schönheit den Fluten des Sees entstieg. Die Frau war von so edlem Wuchs wie er im Allgemeinen nur Hollywoodstars zu eigen ist. Ich konnte das insofern beurteilen, als sie nicht einmal vom Hauch eines Bikinis bedeckt war, sie trat aus dem Wasser, wie Gott sie geschaffen hatte. Ich lief der Schönen entgegen, um ihr mein Badetuch über die Hüften zu stülpen und sie so vor den gierigen Blicken meiner am Strand liegenden Geschlechtsgenossen zu schützen. Es ist hinlänglich bekannt, dass mein Verhalten in solchen Situationen dem eines wahren Kavaliers entspricht.
Das mit Worten kaum zu beschreibende Geschöpf dankte mir mit schamhaft gesenktem Blick und wunderte sich gleichzeitig über mein Bestreben, seine Blöße bedecken zu wollen. »Andere Männer«, meinte sie, »geraten immer gleich in Ekstase, wenn sie mich sehen.«
»Ekstase, Ekstase …«, schoss es mir durch den Kopf, »den Titel kenne ich doch.« Ebenso wie die ganze Szene, die mir gerade widerfahren war. Ist sie’s wirklich, steht der Traum mehrerer Generationen direkt neben mir?
»Ich bin Hedy Lamarr«, bestätigte die Grazie meinen Verdacht und reichte mir ihre zarte Hand, wobei das mühsam umgeschlungene Badetuch abzugleiten und ihre ganze Pracht noch einmal sichtbar zu werden drohte.
»Nehmen wir einen Drink«, schlug ich vor, als Frau Lamarrs Aufmachung endlich wieder der an öffentlichen Badestränden erforderlichen Kleiderordnung entsprach, und fasste sie vorsichtig unterm Arm. Wir schwebten die paar Meter hinüber zum Strandcafé, setzten uns und bestellten Himbeerfrappee.
Da saß sie also: Hedy Lamarr, mit bürgerlichem Namen Hedwig Kiesler, die man einst die schönste Frau der Welt nannte. Und das, wie ich jetzt aus allernächster Nähe feststellen konnte, mit vollem Recht.
»Sie werden sich wundern, dass ich wie in Ekstase nackt aus dem Wasser stieg«, nahm Hedy die Konversation auf. »Ich mache das, weil ich mit dieser Szene im Film noch immer nicht ganz zufrieden bin und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Neue versuche. So lange bis sie perfekt ist.«
»Also, ich fand die Szene wunderbar«, schmeichelte ich und fügte gleich die Frage an, wie es ihr als Wiener Mädel gelungen sei, zur begehrtesten Frau der Welt zu werden.
»Mein Leben«, antwortete sie, »war eine einzige Hochschaubahn. In der ersten Halbzeit ging’s steil bergauf, in der zweiten steil bergab. Jedenfalls stand in all den Zeitungsartikeln, die über mich geschrieben wurden, immer nur die halbe Wahrheit.«
»Dann erzählen Sie mir doch die ganze«, beschwor ich