Das Lied der Bernadette und Jacobowsky und der Oberst. Als Hitler kam, opferte ich mich neuerlich und emigrierte mit ihm nach Amerika. Ich hätte nicht müssen, aber so war ich eben. Immer nur an das Wohl meiner Männer denkend, nie an mein eigenes.«
»Also«, fasste ich all meinen Mut zusammen, »irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen. Mich befremdet, dass die beiden Männer, deren Namen Sie tragen, Juden waren, es über Sie aber jede Menge Unterlagen gibt, die Sie als lupenreine Antisemitin ausweisen. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?«
Alma räusperte sich und tupfte sich verlegen die Nase ab. »Woher wissen Sie das?«
»Dies ist neueren Alma-Mahler-Werfel-Biografien zu entnehmen.«
»Antisemitin ist übertrieben, ich war vielleicht nicht gerade …«
»… Ihr Biograf Oliver Hilmes schreibt, dass Werfel Ihrer Meinung nach nicht Deutsch konnte, weil er Jude war. Weiters sagten Sie, die ›Rassenfremdheit‹ zwischen ihm und Ihnen sei unüberbrückbar gewesen. Auch hätten Sie sich geweigert, den Sie stürmisch verehrenden Zemlinsky zu heiraten, weil Sie es ablehnten, die Kinder eines Juden zur Welt zu bringen.«
»Bedenken Sie, dass ich bei Mahler und Werfel keine diesbezüglichen Probleme hatte.«
»Die waren auch wesentlich berühmter. Und reicher. Nach Werfels Tod bemühten Sie sich, wie es heißt, um den Dirigenten Bruno Walter.«
»Na schön, Bruno war ein toller Künstler. Aber er brauchte mich nicht.«
»Vielleicht auch deshalb, weil Sie Hitler als ›Genie an der Spitze eines großen Volkes‹ bezeichnet hatten.«
»Na ja, der Hitler …«
»Man weiß heute, dass die Nachwelt Sie vor allem deshalb als bedeutende Muse sieht, weil Sie alles getan haben, sich in Ihren Memoiren zu heroisieren. Aber Ihre Mitwelt hat keineswegs nur Freundliches über Sie hinterlassen.«
»Zum Beispiel?«
»Adorno bezeichnete Sie als Monster, für Gina Kaus waren Sie der schlechteste Mensch, den sie kannte, andere hielten Sie für ein sexbesessenes Luder, das nichts anderes im Sinn hatte, als ihre Lebensgefährten schamlos auszunützen. Gesellschaftlich, finanziell und erotisch. Das Wort Treue war Ihnen fremd, Sie waren eine …«
»Also, ganz so schlimm wird’s schon nicht gewesen sein.«
»Zu Ihren Gunsten kann nur eine gewisse genetische Veranlagung angeführt werden. Ihre Mutter Sofie betrog Ihren Vater Emil Jacob Schindler mit seinen beiden Malerkollegen Julius Victor Berger und Carl Moll.«
»Sie hat Moll später geheiratet, und er beschützte mich wie eine Tochter.«
»Womit er ziemlich viel zu tun hatte. Zur Zeit Ihres Flirts mit Klimt waren Sie siebzehn, dieser wurde von Zemlinsky abgelöst, den Sie stehen ließen, als Mahler kam …«
»Und mich zwang, mit dem Komponieren aufzuhören.«
»Sie bezeichnen sich als Opfer, dabei haben Sie ihn auf dem Gewissen. Mahler hat sich von der Kränkung, dass Sie ihn mit Gropius betrogen haben, nie erholt, er starb ein Jahr später an gebrochenem Herzen. Abgesehen davon haben Sie ihn um 53 Jahre überlebt, aber auch nach seinem Tod keine einzige Note mehr komponiert.«
»So also sieht mich die Nachwelt?«, stöhnte Alma. »Tja, wenn es heutzutage schick ist, in den Lebensgeschichten einer Dame herumschnüffeln, ist man selbst als größte Muse aller Zeiten machtlos.«
Alma Mahler-Werfel wischte sich eine Träne von der Wange. »Ganz schön hart, wie Sie mit einer kleinen, schwachen Frau umgehen«, sagte sie und warf ein Bein so geschickt über das andere, dass mir der Atem stockte. Als wir just in diesem Moment vor ihrem Hotel ankamen, bat sie mich, meinen Wagen anzuhalten. »Wollen Sie auf ein Glas Champagner mit raufkommen?«, fragte sie, während sie ihre seidenweichen Arme um meinen Hals schlang.
Notgedrungen enden hier meine Aufzeichnungen, zumal meine Frau als eifrige Leserin meiner Bücher bekannt ist.
Nur so viel kann ich sagen: In dieser Nacht hat mich die Muse geküsst.
»ES TUT MIR AUFRICHTIG LEID«
Kronprinz Rudolf spricht zum ersten Mal über Mayerling
Erzherzog Rudolf * 21. 8. 1858 Laxenburg † 30. 1. 1889 Mayerling. Kronprinz von Österreich-Ungarn, einziger Sohn Kaiser Franz Josephs. 1881 Heirat mit Stephanie, der Tochter des belgischen Königs Leopold II. Wegen seiner liberalen Einstellung in Gegnerschaft zu seinem Vater. Heimlich als Publizist tätig, schrieb er im »Neuen Wiener Tagblatt« und in anderen Medien kritische Kommentare. Mitherausgeber des 24-bändigen Werkes »Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild«. Erschoss seine Geliebte Mary Vetsera im Jagdschloss Mayerling und beging danach Selbstmord.
Das Treffen fand in einem kleinen Waldstück, an einem weit außerhalb der Stadt gelegenen Ort statt, zu dessen strengster Geheimhaltung ich mich verpflichtet hatte. Dienstbare Geister öffneten den Wagenschlag einer imposanten Karosse, der ein dunkelschwarz gekleideter Herr entstieg. Wir wechselten ein paar Höflichkeitsfloskeln, und dann kam ich auch schon zur Sache.
»Kaiserliche Hoheit«, eröffnete ich das Gespräch, »war das wirklich notwendig?«
Der Kronprinz musterte mich mit strengem Blick: »Was meinen Sie damit?«
»Na, was werde ich schon meinen. Es geht natürlich um Mayerling.«
»Mayerling, Mayerling«, wiederholte Rudolf, »war das nicht dieses Jagdschloss bei Baden?«
»Sie werden doch Mayerling nicht vergessen haben!«
»Wissen Sie, wir hatten so viele Besitzungen, da kann’s schon vorkommen, dass einem diese oder jene nicht gleich geläufig ist, nach so langer Zeit.«
»Hoheit, es geht um Mayerling! Und um Mary Vetsera!«
»Mary … wie?«
»Mary Vetsera!«
»Ach so, die Kleine, ich kann mich dunkel an sie erinnern.«
Ich war fassungslos ob der erzherzoglichen Kälte. Da löst der Sohn des Kaisers ein Drama von nie da gewesener Tragweite aus – und dann kann er sich nicht mehr daran erinnern. »Wissen Hoheit denn gar nichts mehr?«
»Langsam tauchen die Schemen aus der Vergangenheit auf. Ich bin mit ihr rausgefahren nach … wie, sagten Sie, hieß das?«
»Mayerling.«
»… ja, Mayerling. Wir verbrachten einen netten Abend, der Bratfisch hat ein paar Wienerlieder g’sungen und dann sind wir schlafen gegangen. Natürlich kann ich mich nicht mehr an alle Details erinnern.«
»Das waren keine Details, das war die Katastrophe des Jahrhunderts. Darf ich Hoheit ins Gedächtnis rufen: Sie nahmen einen Revolver zur Hand und drückten mehrmals ab. Zuerst töteten Sie die arme Baronesse Vetsera und dann sich selbst. So etwas kann man doch nicht vergessen!«
»Das ist ja wirklich eine schreckliche Geschichte«, schien Rudolf endlich die wahre Dimension seiner Tat zu erkennen. »Es tut mir aufrichtig Leid. Ich muss die Sache wohl verdrängt haben.«
»Verdrängt? Dieser Begriff wurde erst viel später erfunden.«
»Von Sigmund Freud, ich weiß. Ich habe seine Schriften studiert. Er ist der Einzige, der die Antwort geben kann auf das Rätsel von …, wie sagten Sie?«
»Mayerling. Erkennen Sie da einen Zusammenhang mit Sigmund Freud?«
»Er ist es, der die Wurzeln allen Übels in den Tagen unserer Kindheit sieht.«
»Was hat Mayerling mit Ihrer Kindheit zu tun?«
»Ich kann’s Ihnen erklären«, meinte der Kronprinz. Wir waren ein paar Schritte in Richtung einer kleinen Waldlichtung gegangen, an der ein Holztisch und eine einfache Holzbank standen. Wir setzten uns, und Rudolf fuhr in seiner Erzählung fort: »Meine ersten