Elvia Wilk

Oval


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das Ufer des Toten Meers«, sagte sie.

      Louis, völlig außer Atem, stützte sich auf seine Knie. »Hintern aus Stahl«, sagte er, wie er es immer tat, wenn sie oben angekommen waren. Der vertraute Refrain beruhigte sie nicht. Er bereitete ihr Unbehagen. Ein Echo aus dem Uncanny Valley.

      Während Anja nach ihren Schlüsseln wühlte, wischte Louis mit der Hand über die feuchte Holzmaserung der Eingangstür. »Sie schwitzt auch«, sagte er.

      Das Haus hatte bereits kurz nach ihrem Einzug das weibliche Pronomen erhalten. Irgendwas aus einem Fernsehfilm, den Louis als Kind gesehen hatte, in dem ein Smart-Home verrückt spielt.

      Anja nickte. »Hat sie schon die ganze Woche über.« Im Inneren des Hauses war es so feucht, dass sich auf allen Oberflächen Kondenswasser sammelte. Mittlerweile hatte sich das unbehandelte Holz damit vollgesogen. »Die Fensterrahmen sind zu aufgedunsen«, sagte sie. »Ich kann die Fenster nicht mehr öffnen, um die Feuchtigkeit rauszulassen.«

      Er lachte. »Menopause? Aber sie ist noch so jung.«

      Anja drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Tür mit der Hüfte auf. »Nein, sie ist nur nachtragend. Sie ist traurig, dass du weg warst.«

      Es war zu heiß zum Schlafen, Anja wachte auf, bevor es draußen hell wurde, und als sie sich umdrehte, fand sie Louis ausgestreckt auf dem Bauch liegend vor. Er war nackt, hielt das Tablet in seine Armbeuge gekuschelt und stach auf Zombies ein, die über den Bildschirm trieben. Sie verließ das Bett, wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab, das zusammengeknüllt auf der Kommode lag, fand ein T-Shirt, und tastete sich durch den Flur, während sie sich das Shirt über den Kopf zog. Der poröse Boden war kühl und rutschig; sie stützte sich mit dem Handballen an der Wand ab.

      In der Küche kniete sie sich vor das Waschbecken und zog das Hauptüberwachungssystem hervor. Es sollte in Echtzeit die Temperaturstatistik des Hauses an die unschönen Tech-Uhren, die man ihnen gegeben hatte, übermitteln, aber die Metallverkleidung der Schublade blockierte das Signal. Sie hatten darüber diskutiert, die Verkleidung der Schublade ganz zu entfernen, um das Signal durchzulassen, doch Anja hatte sich Wirbelstürme im Inneren des Hauses ausgemalt und beschlossen, dass sie nicht selbst daran herumbasteln sollten. Der Vertrag, den sie vor ihrem Einzug unterschrieben hatte, war hinsichtlich eigenmächtiger Veränderungen an der Technik eindeutig. Schließlich hatten sie es aufgegeben, die Uhren zu tragen und auch darüber zu sprechen.

      Sie spähte einen Moment lang auf die matte Anzeige und seufzte. Dann knallte sie die Schublade wieder zu, tappte den Flur entlang zurück, beinahe wäre sie ausgerutscht, bevor sie den Durchgang zum Schlafzimmer erreichte.

      Sie posierte mit vorgestreckter Hüfte im Türrahmen, ein Carrie-Bradshaw-Move, den sie irgendwann mal aus Spaß vollführt hatte, der aber inzwischen seinen Bezug zum Original verloren hatte und zum Reflex geworden war. »Die Anzeige besagt, dass unter dem Bodenbelag zu viel Abfall liegt und der Kompost sich zu schnell zersetzt. Hier drinnen ist es heiß, aber der Boden fühlt sich kühl an, finde ich. Sollten wir nicht die Hitze aufsteigen spüren?«

      Er lachte und tippte immer noch auf dem kleinen Bildschirm herum. »Zu viel Abfall? Du warst zwei Wochen lang ohne mich hier.«

      »Ich hatte keine Probleme mit dem internen Abflusssystem. Läuft alles glatt.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Seite ihrer Hüfte.

      »Knackig.« Er drückte den runden Knopf an seinem Tablet, schob es unters Kissen unter seinem Kopf und verdrehte den Hals in ihre Richtung. »Wir können also nicht deiner Verdauung die Schuld geben?«

      Sie nickte. »Ich rufe Howard in ein paar Stunden an.« Sie kletterte neben ihn ins Bett. Das Laken, IKEA blau, war an zwei länglichen Stellen schweißdurchnässt: Hüfte und Schultern. Sie vermied es, sich auf ihren eigenen Abdruck zu legen und rollte sich halb auf ihn.

      Er musterte ihr Gesicht. Sie musterte seins. Er sah aus wie der liebe, normale Louis. Sie runzelte die Stirn.

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.

      »Was?« Es wäre an ihr gewesen, diese Frage zu stellen. Sie wich einige Zentimeter mit ihrem Gesicht zurück. »Bist du okay?«

      »Mir geht es gut.«

      »Gestern hast du nicht gut gewirkt.« Sie hielt inne, um ihre Aussage von der Beobachtung zur Beurteilung gleiten zu lassen. Er nickte. Das war ein gutes Zeichen. Selbsterkenntnis.

      »Ich war nur erschöpft«, sagte er, und zuckte unter ihr mit den Schultern. Das war kein gutes Zeichen. »Hey«, protestierte er. »Guck mich nicht so an.«

      »Ich gucke dich gar nicht so an.«

      »Tust du wohl, ’n bisschen.«

      »Das sind bloß der Liebe heiße Strahlen.«

      »Okay, verbrenn mich nur nicht.«

      Sie suchte in seinem Gesicht nach Spuren der Traurigkeit vom Vortag. Gestern war Sonntag gewesen. Der Tag, an dem seine Mutter normalerweise anrief.

      »Ich kann nicht wieder einschlafen«, sagte er. »Ich hab Jetlag.« Er deutete in Richtung Dusche. »Sollen wir den Tag beginnen?«

      Sie setzte sich neben ihm auf und zog die Knie hoch, um die Schweißflecken auf dem Laken nicht zu berühren. »Ich verstehe nie, was du damit meinst, wenn du das sagst. Wir beginnen den Tag nicht.«

      »Wer denn sonst?«

      »Er beginnt einfach. Die Sonne, die kosmische Rotation.«

      »Mein Tag beginnt in mir.« Er zeigte auf seinen Bauch. »Interne Rotation, der innere Kosmos.« Er stand auf und ging grinsend Richtung Badezimmer.

      »Eklig«, sagte Anja. Sie lachte. »Seitdem wir in diesem Haus leben, reden wir viel zu offen über unsere Scheiße.«

      Um acht Uhr morgens ging Howard nicht an sein Telefon, also schrieb sie ihm eine Mail, auf die er umgehend antwortete. Nein, vor elf werde er nicht sprechen können, aber warum komme sie auf dem Weg ins Labor nicht einfach bei ihm zuhause vorbei? Er wolle ohnehin mit ihr über die Arbeit reden. In der Zwischenzeit werde er jemanden vorbeischicken, der die Ausdünstungssituation des Hauses checken würde. Er unterschrieb seine Mail mit »Cheers« und sie konnte nicht entschlüsseln, wie sarkastisch das gemeint war.

      Louis und sie tranken Smoothies am Küchentresen. Auch wenn die Küche etwas zu sehr mit ihren nützlichen Einrichtungen und innovativen Apparaturen prahlte, war sie doch bei weitem der schönste Raum im Haus. Durch die Reihe Fenster an den beiden Wänden, die nach Osten zeigten, drang genügend Helligkeit, sodass sie die meiste Zeit des Tages auf künstliche Beleuchtung verzichten konnten, und die Arbeitsflächen aus recyceltem Plastik-plus-irgendeinem-anderen-Stoff reflektierten erfolgreich die Sonnenstrahlen bei minimaler Grelle und maximaler Erhellung, wie es die Designer vorgesehen hatten.

      »Lassen sie dich nicht noch ein paar Tage freinehmen?« Anja schenkte Louis Smoothie nach. Er war nochmals eingeschlafen, nachdem er geduscht hatte, und in einer anderen Zeitzone erwacht, distanziert und unbeteiligt. Jet-Lag – wenn die Seele nicht mitkommt.

      »Doch, natürlich. Sie sagen ständig, ich soll noch eine Woche freinehmen, aber was sonst sollte ich mit meiner Zeit anstellen?«

      »Ich weiß nicht. Schlafen? Das, was passiert ist, verarbeiten? Eine Auszeit nehmen?«

      »Ich brauche Ablenkung. Und da ist gerade viel los. Ein großes Projekt steht an.«

      »Bist du sicher?« Sie streckte die Hand aus und drückte seinen Nacken.

      »Im Ernst, mir geht’s gut.« Er nahm die Hand. »Alles, was ich brauche, ist Small Talk, Organisatorisches, einfache Arbeiten.«

      Sie lächelte. »Ein typischer Tag in der Kreativindustrie.«

      »Ein einzigartiges Privileg. Die Maloche der Elite.«

      Sie stellte den Mixer in die Spüle und drehte das Wasser auf, um ihn auszuspülen. Das Wasser kam in unregelmäßigen Schüben aus dem Hahn.

      »Hast du schon mal richtig gearbeitet, mit deinen