Elvia Wilk

Oval


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macht ein Knowledge Manager?«

      »Was immer du willst. Du erhältst eine Gehaltserhöhung und darfst von nun an allen sagen, was sie machen sollen. Setz sie unter Druck, wenn sie nicht schnell genug arbeiten. Fordere Überprüfungen an, führe Personalgespräche, schlag Umstrukturierungen vor, wenn du glaubst, dass es nötig ist. Du kennst den Drill.«

      »Wie lange?«

      »Weiß nicht. Vermutlich erst mal für ein Jahr.«

      »Aber warum sollten sie mir meinen Job wegnehmen, nur um mich dann fürs Nichtstun zu bezahlen?«

      Er hob die Hände. »So funktionieren Unternehmen. Du bist eine gewisse Zeit dabei, dann steigst du auf, wenn du Glück hast. Warum so viele Fragen?«

      Sie schwenkte ihr Glas mit Elektrolyten in der Hand, ohne davon zu trinken. »Eine Frage habe ich noch: Seit wann bist du mein Boss? Das alles sollte mir jemand aus der Personalabteilung mitteilen.«

      Er zuckte unschuldig mit den Schultern. »Ich habe heute Morgen mit der Personalabteilung telefoniert, habe erwähnt, dass du vorbeikommen würdest, und da meinten sie, ich soll es dir ruhig schon sagen. Du kannst sie gerne anrufen, wenn du mir nicht glaubst.«

      Natürlich war Howard schon seit langem in ihren Job bei RANDI, in ihr Zuhause – in einfach alles – am Rande verwickelt. Fin-Start hatte mit all dem zu tun und ab einem gewissen Zeitpunkt war Howard zu ihrer Hauptschnittstelle zu Fin-Starts Backend geworden. Howard wusste Dinge, Howard war die Cloud, das war seine Daseinsberechtigung. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, konnte es nicht überraschen, dass Howard ihr diese Informationen übermittelte. Nichts änderte sich zwischen ihnen, im Grunde genommen. Aber sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Neuigkeiten, die er ihr soeben überbracht hatte, übergriffiger waren als einige der anderen Methoden, die er gefunden hatte, um sich in ihr Leben einzumischen.

      »Bin ich zu unsensibel in dieser Angelegenheit?«, fragte Howard. »Du wirkst irgendwie so verhalten.«

      »Ich muss darüber nachdenken.«

      »Sei kein Mädchen.« Er lächelte. »Steh deinen Mann. Nimm, was dir zusteht.«

      »Ich liebe es, wenn Männer mir sagen, ich soll meinen Mann stehen.«

      »Ich versuche nur, dein Selbstbewusstsein zu stärken. Aber nimm dir ruhig Zeit. Die werden dir einen Vertragsentwurf zur Ansicht per E-Mail schicken. Das ist alles, was ich weiß.«

      »Danke.« Sie versuchte, aufrichtig zu klingen. Schuld, Dankbarkeit: Die beiden waren immer Zwillinge. Es war an der Zeit, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Wenn Howard sich dumm stellte, war nicht zu ihm durchzudringen.

      »Meinst du, sie ziehen mich auch zur Beratung hinsichtlich meines eigenen Hauses heran?«, fragte sie. »Der Berg könnte eine Wissenschaftlerin gebrauchen.«

      Howard lachte. »Das bezweifele ich. Der Berg ist sein ganz eigenes Monster. Wie läuft es zuhause? Ich vermute, darüber wolltest du eigentlich reden.«

      Sie stellte fest, dass sie keinen wirklichen Grund hatte, hier zu sein, ebenso wenig wie Howard einen hatte, derjenige zu sein, der sie feuerte und neu anstellte. Weder die technischen Probleme zuhause noch ihr Job hatten offiziell mit ihm zu tun. In Wirklichkeit war sie wegen Howard selbst und seiner besonderen Mischung aus Zuneigung, Anerkennung und Autorität hier. Er würde ihren Beschwerden nachgehen, wie er es immer tat, im Gegenzug dafür erhielt er das Gefühl, dass sie auf ihn angewiesen war. Er mochte es, gebraucht zu werden, und sie bot eine Auswahl an Bedürfnissen.

      »Ich wollte nur fragen, ob du irgendeine … Ahnung hast, was auf dem Berg los ist«, sagte sie. »Die Temperatur und alles andere ist völlig unberechenbar. Sämtliche Türen sind zugeschwollen. Die Leute beschweren sich bestimmt schon.«

      »Nicht so häufig wie ihr beide«, sagte er und lächelte. »Hast du mal mit den Nachbarn gesprochen?«

      »Mit ein paar.«

      Das war eine Lüge. Anja und Louis redeten nie mit den Nachbarn. Am Anfang hatte Anja einige Nachmittage mit einem dänischen Paar mittleren Alters verbracht, beide Berater, aber die zwei waren vor Monaten in Urlaub gefahren und nie zurückgekehrt. Wenn sie es sich recht überlegte, standen mindestens drei der Häuser die meiste Zeit leer. Eines davon war zeitweise als Studio für irgendwelche Fotoshootings genutzt worden.

      »Ich weiß, ihr beiden mögt das ganze Gemeinschaftsgetue nicht, aber ihr könntet ein bisschen aufgeschlossener sein.«

      Ihr Telefon vibrierte in ihrer Tasche und sie warf unter dem Tisch einen Blick darauf. Louis: beileidshighlight: blumen auf meinem schreibtisch. rührender bestechungsversuch :)

      Sie steckte das Telefon zwischen ihre Oberschenkel und sah auf. »Es war nie die Rede davon, dass wir in einer Kommune leben wollen.«

      »Stimmt. Ich meine ja nur, das Ganze lässt sich leichter handhaben, wenn ihr miteinander redet. Jeder da oben muss mit den gleichen Problemen klarkommen. Erneuerbare Energien sind nicht narrensicher; die funktionieren nicht wie ein Uhrwerk. Das weißt du. Die Risiken stehen in eurem Vertrag.«

      »Ich weiß. Tut mir leid, dass ich durchgedreht bin. Es ist nur, dass« – Kippmoment, innerer Schwindel – »wir sind gerade ziemlich gestresst.« Mit dem ›wir‹ hatte sie Louis in die Unterhaltung geholt, und der wahre Grund, warum sie hier war, kam zum Vorschein. Sie reichte Howard ihr Bedürfnis auf einem silbernen Tablett.

      Wenigstens hatte sie eine Pointe, eine Bombe, die sie explodieren lassen konnte: den Tod von Louis’ Mutter. Wie schlimm das klang, wie unverhandelbar.

      Doch Howard nickte bereits wissend. »Ich wollte mich nicht aufdrängen«, sagte er, »aber ich habe von Louis’ Mutter gehört, und es tut mir aufrichtig leid. Das ist wirklich schrecklich.«

      Das war der schlimmste Schock an diesem Morgen – ein übergriffiger, vielschichtiger Schock. Sie hatte gedacht, es sei an ihr, von dem Todesfall zu erzählen. Erst jetzt, da ihr dieses Recht geraubt worden war, erkannte sie, wie sehr sie sich selbst an die Neuigkeit geklammert hatte. Mehrfach hatte sie sich ausgemalt, wie sie Howard die Neuigkeit feierlich mitteilen würde: Statt ›tot‹ würde sie ›verstorben‹ sagen und ihre Tränen dabei wegblinzeln. Sie erinnerte sich an den finsteren Nervenkitzel, als sie diese Worte ihren Eltern und jenen Freunden gegenüber ausgesprochen hatte, die »ein Recht darauf hatten, es zu erfahren«, an die Gewissheit, diejenige zu sein, der die Verbreitung dieser privilegierten Information anvertraut worden war.

      Es vor allen anderen zu wissen, es als Erste erfahren zu haben, hatte irgendetwas bewiesen. Die Zerbrechlichkeit des Beweises, der nun auseinanderfiel, brachte die Kleinlichkeit ihres Bedürfnisses zum Vorschein.

      »Wie hast du davon erfahren?«, fragte sie, und noch bevor sie die Frage ausgesprochen hatte, wusste sie, dass sie dumm war. Louis war zwei Wochen fort gewesen. Angelegenheiten wie diese waren nie ein Geheimnis. Der Tod entfaltete privaten Schmerz ins Offene.

      »Ich war letzte Woche wegen einer Beratungssache bei Basquiatt drüben«, sagte er. »Es tut mir leid. Ich wollte schon früher mein Beileid aussprechen, aber wie gesagt, ich wollte nicht stören.« Natürlich wollte er stören. »Wie geht es ihm?«

      »Ich weiß nicht. Ihm geht’s gut.«

      »Das muss hart sein.«

      »Ich weiß nicht, was er von mir erwartet.«

      »Du musst einfach nur für ihn da sein.«

      »Das sagen alle. Aber wo soll ich sein? Wo ist da?«

      »Du weißt doch, was das bedeutet. Es heißt, präsent und aufmerksam zu sein. Er will wahrscheinlich nur zur Normalität zurückkehren.«

      »Das kommt mir aber irgendwie so beschissen vor.« Sie schüttelte den Kopf. »Normal erscheint grausam in dieser Situation.«

      »Vielleicht muss er verdrängen.«

      »Alle wollen verdrängen! Was noch lange nicht heißt, dass das gut ist.«

      »Du kannst von niemandem erwarten, dass