Elvia Wilk

Oval


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fummelte an dem Kabel herum, bis ein stotternder Laut zu hören war. »Kennt ihr diesen Mix von Koolhaas schon?«

      Anja schüttelte demütig den Kopf. Die Art und Weise, wie Laura gefragt hatte, ob sie den Mix kannte, nicht den Produzenten, machte eindeutig klar, dass sie etwas verpasst hatte, einen Fetzen kultureller Materie, der für sich allein unbedeutend war, aber in Kombination mit einer ganzen Menge anderer Dinge, die sie nicht wusste, zum Problem werden konnte – und sie damit zu einer Person, die sich nicht auskannte.

      Anja gab nicht vor, von etwas Ahnung zu haben, wenn dem nicht so war. Zwar war ihr irgendwie bewusst, dass ihr andere Optionen offenstanden, als ihr Unwissen preiszugeben, aber sie machte selten von ihnen Gebrauch. Sie gab automatisch nach, wenn ihr Wissen zu einem Thema in Frage gestellt wurde, nicht gewillt, abzulenken oder zu lügen. Sie hoffte, dass dies mitunter den Effekt hatte, die Frage irrelevant werden zu lassen, aber ihr war klar, dass es sie meistens eher naiv wirken ließ.

      »Wirklich? Noch nie gehört?« Laura gab ihr eine weitere Chance.

      »Wirklich.«

      »Ich kenne Koolhaas auch nicht«, sagte Dam. Er zwirbelte seine Dreads zwischen den Fingern und machte einen Schmollmund. Anja bemerkte ein glänzendes Drachentattoo, das sich an der Seite seines Halses hinaufschlängelte. Es war letzte Woche auch noch nicht dagewesen.

      »Du bist doch derjenige, der jeden Abend feiern geht«, sagte Laura. »Du solltest dich eigentlich mit Musik auskennen.«

      Dam öffnete seinen Mund und streckte Laura die Zunge heraus, dabei präsentierte er eine halb gegessene Garnele.

      »Ja, wir sehen dein Essen«, sagte Anja. Sie erhob sich, um auf Lauras Handy nachzusehen, wie der Mix hieß, damit sie ihn später suchen konnte, doch das Kabel von Dams MacBook legte sich wie eine Schlinge um ihren Knöchel, und der Schwanz des Kabels verfing sich an dem winzigen Haken, der das Aufwickeln, Packen und Reisen erleichtern sollte: Serras Verbliste für das digitale Zeitalter. Sie stolperte und fiel, Hände ausgestreckt, das Handgelenk nach unten gedrückt, um den Sturz abzufedern, die Knie und Knöchel verdreht, und riss den Lautsprecher aus seiner kalibrierten Position in der Luft. Der Lautsprecher ging mit ihr zu Boden, knallte dumpf auf und hüpfte sofort wieder nach oben an seinen Platz.

      »Scheiße«, sagte Dam und stürzte auf sie zu. »Das tut mir so leid, Babe.«

      »Ich sage dir ständig, dass du dein Kabel nicht so rumliegen lassen sollst«, schimpfte Laura.

      Anja lachte. Ein Bluterguss kringelte sich um den Knöchel ihres linken Handgelenks. Sie sah ihn zärtlich an. Der Sturz hatte sie mit seiner unfreiwilligen Komik aus ihrer schlechten Stimmung gerissen, und sie war froh, dass sie das lilafarbene Komma daran erinnern würde, nicht alles so verdammt ernst zu nehmen. Einen einzigen Ausrutscher, mehr brauchte es nicht. Sie sollte besser darin werden, sich treiben zu lassen, sich den Gezeiten anzupassen.

      »Wisst ihr was? Eins habe ich euch noch gar nicht erzählt«, sagte sie, stand auf und humpelte zum Sofa. Die Geschwister sahen sie an, Dam kniff die Augen zusammen. Sie waren alle viel betrunkener, als sie gedacht hatte. Sie fühlte, wie sich Dankbarkeit in ihr breitmachte, die beiden zu haben – die einzigen Leute, die sie in Berlin kannte, die genetisch aneinander gebunden waren. Von all ihren Beziehungen in Berlin kam jene zu den Geschwistern einer Familie am nächsten, weil die beiden miteinander familiär verbunden waren. Sie waren ein Fiasko, aber sie waren ihr Fiasko. Wer konnte schon sagen, warum die beiden Anja überhaupt in ihre Herde aufgenommen hatten, aber einmal drinnen, hatte sie dort ihren festen Platz.

      »Ich bin heute gefeuert worden«, verkündete sie und ließ sich auf das Sofa fallen. »Aber dann wurde ich umgehend wieder eingestellt. Ich bin jetzt Beraterin. Ta-da …«

      »Ist das gut?«, fragte Dam. Er setzte sich zu ihr aufs Sofa. »Ich kapier’s nicht.«

      »Ich war mir erst unsicher, aber ja, vielleicht ist das gar nicht so schlecht.«

      Er küsste sie auf die Wange und flüsterte, »du bist ganz schön krass, weißt du das?«, dann ließ er seinen Kopf in ihren Schoß gleiten und schloss die Augen.

      »Bei was sollst du sie denn beraten? Was ist dein Fachgebiet?«, fragte Laura.

      »Das ist nicht ganz klar. Howard sagte …«

      »Howard?«

      Eva war nicht die einzige, die vehement gegen Howard war. Anja hatte in Lauras Hass ihm gegenüber eine Art Schutzinstinkt ausgemacht, und versuchte, das Gefühl dahinter wertzuschätzen, auch wenn Laura ihre Sorge um Anja meist als Anklage formulierte.

      »Frag nicht. Es war ein sehr schräger Morgen. Ich habe jedenfalls vom Labor aus die Personalabteilung angerufen, und die sagen, sie wüssten auch nicht, was da los ist, dass es aber stimmt.« Die Frau aus dem Personalbüro hatte ebenso verärgert wie verwirrt geklungen, so dass Anja sich gefragt hatte, ob überhaupt irgendjemand die Gründe für diese Veränderungen kannte. »Klingt jedoch so, als wäre mein neuer Job Bullshit. Hier, ich zeig’s euch, schmeiß mir mal mein Handy rüber.« Laura warf Anja ihr Handy zu und Anja fing es auf. Sie öffnete ihre Mails, scrollte hinab zur Nachricht der Personalleiterin und lud den Anhang herunter.

      »Hört euch das an, das ist mein Vertrag. ›Die Beraterin wird ihre bestmögliche Expertise auf dem entsprechenden Gebiet zur Verfügung stellen. Die Beraterin wird niemals Wissen zurückhalten, das als anwendbar erachtet werden könnte.‹ Punkt. Wissen, das als anwendbar erachtet werden könnte. Das ist ein eigener Abschnitt! Anwendbar auf was? Und hier, weiter unten. ›Die Beraterin wird sich bezüglich der Entwicklungen im Feld der Biowissenschaft auf dem neuesten Stand halten‹. Die haben die Bezeichnung des Feldes in einem anderen Schriftsatz ausgefüllt. Das ist ein Standardvertrag. Der wurde wahrscheinlich automatisch generiert.«

      »Darfst du überhaupt daraus vorlesen?«, fragte Laura.

      »Gute Frage. Am Ende kommt ein langer Abschnitt zu Vertraulichkeit, aber so weit bin ich noch nicht.«

      »Es kommt mir total fahrlässig vor, dass sie dir das gemailt haben.«

      »Stimmt.«

      »Ist das Beschiss?«

      »Keine Ahnung.«

      »Würden die versuchen, dich um den Job zu prellen?« Wieder ihr Schutzinstinkt, verpackt in eine Anklage, als müsste Anja besser auf sich achtgeben. »Was ist mit dem Typ, mit dem du arbeitest, wurde der auch befördert?«

      »Michel? Keine Ahnung.« Michel hatte ihr seit dem Morgen Textnachrichten geschickt. Sie hatte noch nicht geantwortet, unsicher, was sie sagen sollte. Es erschien ihr besser, ihn zu meiden, bis sie die Sache selbst durchdacht hatte. »Keine Sorge, ich habe den Vertrag schon an die Anwältin meiner Familie weitergeleitet. Sie wird mir sagen, ob da irgendwas faul ist.«

      Laura nickte, beschwichtigt, weil Anja sicherstellte, dass sie nicht über den Tisch gezogen wurde. Anja lebte nicht wie Laura in der Wahnvorstellung, alle würden sie immer nur ausnutzen wollen, fürchtete aber immer, Laura könne schlecht von ihr denken.

      »Das erinnert mich an eine Folge von Celebrity Court, die ich vor Kurzem gesehen habe«, sagte Laura. »Wollen wir sie uns anschauen?«

      »Nicht heute Abend. Ich sollte wahrscheinlich nach Hause fahren, falls Louis von seinem Treffen mit Prinz zurückkommt.«

      »Ich schick dir den Link.«

      »Findest du das armselig?«

      »Was bitte soll an Celebrity Court armselig sein?«

      »Nein, das mit Louis. Sollte ich ihn nicht einfach anrufen und fragen, ob er okay ist, anstatt mir solche Sorgen zu machen?«

      »Verstehe ich nicht. Wenn du dir solche Sorgen machst, warum rufst du ihn nicht an?«

      »Ich will mich nicht komisch verhalten. Er verhält sich so normal. Er tut so, als wäre alles wie immer, und ich glaube, er erwartet von mir, dass ich das auch tue. Ich will nicht die Illusion zerstören.«

      »Dann tu doch einfach eine Zeitlang so als ob und warte ab, wie das läuft. Hetz