Herlmut A. Gansterer

Darf man sich`s urgut gehen lassen?


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Selbst-Ekel und Revolution vernichtet wird.

      Gottlob ist die Synthese einer fühlbaren Harmonisierung der klugen, schweigenden Mehrheit angenehm. Man gibt sich Mühe, die Täler der Armen materiell aufzuschütten und dort, wo es geht, ihre Re-Integration in ein stolzes Bürgerleben zu fördern. Es passiert diesbezüglich mehr, als bekannt wird. Viel läuft leise über die „Caritas“. Sie steht mit Recht in gutem Ruf, auch als grenzüberschreitender Entwicklungshelfer. Schon vor Jahren erkannte ich als gewählter Controller der Medien „trend“, „profil“, „Kurier“ und Ö3, dass im tiefsten Gambia jede Lieferung ankam. Dies gilt extrem streng auch weiterhin unter Franz Küberl, der sich als erster säkularer Präsident bewähren muss.

      Auch Reiche sind fairerweise zu loben. Nicht jeder wird wie Jean Paul Getty geiziger, je mehr er hat. Internationale Gegenbeispiele sind Microsoft-Boss Bill Gates und Warren Buffett. Auch in unseren Ländern – Österreich, Deutschland, Schweiz – sind Reiche wohltätig zugange. Vor allem aber viele Mittelstands-Unternehmer und Privatiers mit unendlich vielen Initiativen.

      Die meisten der Amateur-Initiativen versiegen allerdings. Das liegt wahrscheinlich in meinem Arbeitsbereich begründet, den Verlagen, Medien, Journalisten. Man wurde müde, die Wohltätigkeit zu begleiten. Man übertrug, wenn überhaupt, das Thema dem jüngsten Volontär, nicht dem Chefredakteur als Leuchtfackel.

      Das mag daran liegen, dass elitäre Medien nicht mehr über Charity-Dinners von geistig unauffälligen Society-Sonnenblumen berichten wollten, die ihr Blütenhaupt nach der Sonne der Kamerablitze richteten.

      Zur DARF-MAN-Titelfrage, wie „urgut man sich’s gehen lassen darf, wo es vielen so schlecht geht“, bestand der ECOWIN-Verlag auf einer Zeichnung. Sie zeigt den Buchautor als Freund luftiger Automobile im Cabrio. Das ist noch kein Skandal. Andere Buchautoren und Zeitungs-Kolumnisten kennt man nur per Matura-Porträt.

      Der Skandal liegt erstens im Cabrio. Ein Cabrio oder Roadster oder Kabriolett ist, wie jeder Alt-Grüne weiß, die finale Dekadenz des Volksfeinds Auto. Es bringt den ansteckenden Pesthauch einer Frischluft-Fröhlichkeit. Und braucht wegen des schlechteren Cw-Wertes einen „vollen halben Liter mehr“ auf hundert Kilometer als die verlötete Version mit festem Dach.

      Der eigentliche Skandal liegt zweitens im Baseball-Käppi. Dieses zeigt, dass ich als Pilot in der Ennstal-Classic-Rallye meines Kollegen Helmut Zwickl (als „Kurier“-Formel-1-Reporter eine Welt-Legende) unbezahlbare Millionenwerte von Museums-Rennwagen fuhr, darunter die Böhringer-Pagode von Mercedes (Sieger der Rallye Sofia–Lüttich) und den C-Type von Jaguar (Sieger von Le Mans 1953).

      Dergleichen stößt auf reinen Ekel der alten grünen Garde. Die jungen, ganzheitlich gebildeten Grünen, denen die Zukunft gehört, schweigen schon nachsichtig lächelnd auf die folgende Frage: „Ist der Versuch, historische Skulpturen durch sachgerechte Bewegung gesund zu halten, die so schön sind wie Wotrubas Kirche, nur halt 250 km/h schneller, schon eine Sünde wider die Fragen arm & reich und krank & gesund und nützlich & schädlich? Hilft es wirklich weiter, wenn man jede Lebensfreude bekämpft? Und wenn ja, wie und warum?“

      Archimedes sprach davon, einen festen Punkt zu brauchen, um die Welt aus den Angeln zu heben. Vielleicht liegt dieser feste Punkt für Weltverbesserer in einer Lebensfreude und dem Wunsch, diese auch für die Kinder zu sichern. Und nicht in der Natur der alten Bitteren, die alles hassen, was derzeit noch lacht.

      HEIKLES UND EXOTISCHES

      Gutes Benehmen in Randgebieten

      Darf man als Autor das Binnen-i verweigern?

      JA.

      Mag sein, dass man erklären sollte, worum es dabei geht. Jeder kennt zwar das sogenannte Binnen-i, aber nicht jeder muss wissen, dass es so heißt.

      Binnen-i bezeichnet ein großes „I“ mitten in einem Benennungswort, wie beispielsweise in SchaupielerInnen, SchriftstellerInnen oder AutofahrerInnen.

      Früher schrieb man einfach die männliche Form (zum Beispiel Schauspieler). Die Leser dachten sich automatisch die weiblichen Formen dazu (Einzahl: Schauspielerin, Mehrzahl: Schauspielerinnen).

      Irgendwann protestierten bewegte Frauen. Sie geißelten dies als Relikt männlichen Herrschaftswahns. Im Sinne der Emanzipation und Geschlechter-Fairness erfanden und verlangten sie das Binnen-i und drohten Boykott aller Zeitungen und Buch-Verlage an, die nicht gehorchten.

      Weicheier gaben unverzüglich nach, darunter viele Journalisten, Schriftsteller-Freunde und ich. Zwar begriffen sie das Binnen-i als unschön, sogar als brutale, ästhetische Entstellung des gewohnten Schriftbilds, wollten aber ihren Beitrag zum Geschlechterfrieden leisten. Sie hatten aber die Rechnung ohne die LeserInnen gemacht. Diese, vor allem auch Frauen, protestierten gegen „die hässliche Hürde“ und „Lesefreude-Bremse“. Sodass die meisten Autoren und Medien erleichtert zur alten Form zurückkehrten.

      Eine kluge, besänftigende und schöne Erklärung dafür setzte Markus Hengstschläger an den Anfang seines Bestsellers „Die Durchschnittsfalle“ (Untertitel: Gene – Talente – Chancen, 2012). Er schrieb: „Um die Lesbarkeit des Buches zu verbessern, wurde darauf verzichtet, neben der männlichen auch die weibliche Form anzuführen, die gedanklich selbstverständlich immer mit einzubeziehen ist.“

      Erst als der tapfere Genforscher und Freund Hengstschläger vorangegangen war, wagte auch ich die Rückkehr zur klassischen, männlichen Schreibweise. Sollte in diesem Buch noch irgendwo das Binnen-i auftauchen, ist es als Echo meiner Angst vor Emanzen zu lesen.

      Politiker sagen in Wahlreden, wo sie weder Platzprobleme noch optische Probleme kennen, in jedem zweiten Satz zur Sicherheit „Liebe Wählerinnen und Wähler“. Nur Bundespräsident Thomas Klestil selig war auch als Redner auf halbem Weg zu einer Art Binnen-i beziehungsweise Binnen-R. Er entzückte Kabarettisten mit seiner Anrede „Liebe Österreicher und Rinnen“.

      Die Frage kommt aus der dünn besiedelten Jungfrauenecke unseres Frage-Pools. Die Frauen der dichter besiedelten Sünder-Ecke heulen entzückt auf. Sie kennen die Antwort: NEIN.

      Eine Frau, die immer noch glaubt, dass man Komplimente übertreiben könnte, hat nicht alle Strapse am Strumpf. So eine „träumt in der Pendeluhr“, wie die legendäre Gründerin der Bonbonniere Bar, Elfriede Gabriel, sagte.

      Sie und alle anderen lebensfrohen Sünderinnen wussten seit jeher, dass Komplimente nur dann Wirkung zeigen, wenn sie übertrieben werden. Ein vermeintlich kluges Kompliment, das die Wirklichkeit nur schwach schönt, um extra glaubwürdig zu sein, ist praktisch eine Beleidigung. Es unterläuft das Selbstbildnis der Komplimentierten, die sich ja im eigenen Spiegel schöner und klüger sieht.

      Wie übrigens auch jeder Mann. Auch er dreht sich, wenn er sich unbeobachtet fühlt, im Spiegel in jene Richtung, in der er am besten aussieht. Und so wie die Damen liebt er die seltenen Restaurants, die gebräunte Spiegel in den Waschräumen bieten.

      Als bestes Beispiel nenne ich das Donau-Restaurant Tuttendörfl. Wie der „Sodoma“ in Tulln steht es im Verdacht, das beste Gasthaus der Welt zu sein. Männer sitzen dort wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn am Mississippi, also um zwanzig Jahre jünger. Die vom Tuttendörfl-Chef Günther Gass gehängten Sepia-Spiegel in den Toiletten machen um weitere zehn Jahre jünger. Jeder männliche Gast fühlt sich also von vornherein um dreißig Jahre jünger. Da bleibt für männersuchende Frauen wenig Spielraum für Komplimente. Man sagt aber, dass im Tuttendörfl viele gute Ehen ihren Anfang nahmen. Das liegt daran, dass man die Komplimente auf andere Bereiche als das Alter verlagern musste. Frauen lobten Männer endlich für ihre Lebensphilosophie, Männer die Frauen endlich für ihre Intelligenz. Und alle übertrieben in ihren Komplimenten, um sie zu schärfen. So ging alles gut.

      Es gibt den