konnte.
»Nein«, fuhr er fort, »der Teufel hat mit dem Skelett nichts zu tun, ein Teufel schon.«
»Will heißen?«, fragte der Kommissar.
»Vor uns liegen die Überbleibsel einer Frau mittleren Alters. Man erkennt das am Beckenknochen. Die Bestimmung wird schwieriger, je älter der Mensch beim Eintritt des Todes ist. Man nennt das die Mutungsspanne. Das bedeutet, man muss mit Schätzfehlern rechnen und gibt deswegen nur einen Rahmen an, der im Übrigen auch vom Gesundheitszustand des Verstorbenen abhängig ist. Hier gehen wir von einem Alter zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahren aus. Der Fuß ist post mortem vom restlichen Körper abgerissen worden, es sind jedenfalls keine Spuren eines absichtlichen Entfernens zu entdecken.«
»Gibt es Hinweise auf die Liegezeit?«, fragte Müller.
Laura de Medico übernahm das Wort: »Schwer zu sagen. Das hängt von der Umgebung ab, vor allem von der Feuchtigkeit und der Zusammensetzung des Bodens. Wir waren leider nicht vor Ort. Aber eine Hanglage in Linden deutet auf eine gute Entwässerung und wenig Lehm hin. Die grobe Schätzung lautet: mindestens dreißig, höchstens sechzig Jahre.«
»Was noch?«, fragte Forrer.
Der Gitarrist von Black Sabbath war eben dem Ruf der Mundharmonika gefolgt, die der Klampfe die Marschrichtung vorgab, als sie »The Wizard«, den Zauberer, anrief.
»Das Brustbein weist links eine untypische Deformation auf. Sieht aus, als ob eine Kugel abgelenkt worden wäre. Also ein Verbrechen. Wissen Sie mehr?«
Forrer holte die Patrone aus der Jackentasche. »Ihre Angaben decken sich vollkommen mit den bisherigen Ermittlungen. Das Geschoss hat der Archäologische Dienst mit dem Metallsuchgerät gefunden, nachdem das Skelett geborgen war.«
Müller doppelte nach: »Wir gehen davon aus, dass die Frau Ende 1972 oder eher Anfang 1973 in Linden erschossen oder dort abgelegt wurde, denn sie lag am Rand des damaligen Ölbohrgeländes.«
Der Kommissar ergänzte: »Ein kleiner Murgang hat später dazu beigetragen, dass der obere Teil des Erdreichs weggespült wurde. Nur so konnte ein Metallsondengänger einen goldenen Ehering zutage fördern.«
»Die Gunst der Stunde genutzt«, erkannte Augsburger, »sowohl der Mörder als auch der Suchende.«
»Kann man so sagen«, erwiderte Müller.
Laura fragte: »Ein Beziehungsdelikt?«
»Ich habe bereits eine Anfrage an unsere Vermisstendienststelle gerichtet. Solange keine Leiche zugeordnet werden kann oder die Person wieder auftaucht, bleibt ein Vermisster auf der Liste. Die frühen Siebzigerjahre sind jedoch abgearbeitet und bis auf wenige Namen leer. Eine Frau, die auf eure Zuordnung passt, ist jedenfalls nicht dabei.«
»Kann jemand einfach so verschwinden, ohne dass die Person vermisst oder gesucht wird?«, überlegte Laura.
»Das ist denkbar«, antwortete Forrer, »allerdings eher unwahrscheinlich, wenn sie einen Ehering trägt. Zumindest der Mann müsste davon Kenntnis haben. Deshalb ist ein Beziehungsdelikt durchaus eine Option.«
Der Detektiv hatte nachgerechnet: »Wenn die Frau, übrigens mit Namen Kathrin, 1973 um die vierzig Jahre alt war, wurde sie zwischen 1930 und 1935 geboren. Nehmen wir an, dass der Mann, wie damals üblich, etwas älter war, dann haben wir ein Geburtsjahr um oder vor 1930. Er wäre also bestimmt älter als neunzig, wenn er denn noch lebt.«
»Was die Suche massiv einschränkt«, erklärte de Medico.
Der Kommissar sagte: »Falls er im Kanton Bern lebt, ist das schnell erledigt.« Er nahm sein Smartphone und rief einen Kollegen in der Zentrale an: »Gehst du bitte auf die Einwohnerdatenbank und gibst folgende Suchparameter ein: Mann, Vorname: Rudolf, Alter: 85+.«
Er brauchte nicht lange zu warten. Die Antwort war negativ.
»Und wenn du die Verstorbenen dazunimmst?«, fragte Laura.
»Bis wann soll die Suche zurückgehen? Der kann irgendwann seit 1973 verstorben sein, und Rudolf war ein durchaus geläufiger Name in dieser Alterskategorie. In den Todesmeldungen könnte auch ›Ruedi‹ stehen oder sonst eine dialektbestimmte Verballhornung wie ›Rüedu‹. Dann müssten wir bei allen Verdächtigen Familienrückverfolgungen machen. Der Aufwand ist viel zu groß, wenn wir die Sache nicht einengen können.«
Müller brummte: »Kommt dazu, dass die Tat nach dreißig Jahren verjährt ist. Wer hätte also noch Interesse daran?«
»Noch nicht einmal die Police Bern«, gab der Kommissar zu. »Mich treibt das Bauchgefühl, dass dieser Fall noch nicht erledigt ist.«
Dr. Augsburger meldete sich zu Wort: »Die Ölbohrstelle fasziniert mich. Haben Sie dazu bereits weitere Erkenntnisse?«
»Wir arbeiten daran«, sagte Forrer.
»Warum interessiert ihr euch für dieses Skelett?«, fragte Laura und schüttelte ihre goldbraunen Locken. »Ihr solltet euch besser um die Lebenden kümmern.«
»Ich wäre früher gerne Archäologe geworden«, schwärmte Markus.
Und Heinrich doppelte nach: »Auch die längst Verstorbenen haben es verdient, dass man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lässt. Ich gebe Melinda, Gwendolin und Phoebe einen Rechercheauftrag, dann können sie uns am Montag Bericht erstatten.«
»Genau«, freute sich Laura. »Und am nächsten Mittwoch gehen wir ins Theater. Ihr denkt doch daran?«
Black Sabbath legten zum Abschied mit »Warning« den Soundteppich für die bevorstehende Apokalypse, einen Song, den Charon für die Überfahrt über den Lethe ins Reich des Hades bestellt hatte.
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