Mareike Löhnert

Emscher Zorn


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ihn daran, dass er die ganze Nacht vor dem Computer gehangen und gezockt hatte, und noch immer hatte er es nicht geschafft, der Gaming-König von »Warriors of Darkness« zu werden.

      Eigentlich hatte er gar keine Zeit zu arbeiten, dachte er frustriert, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief.

      Für diese Jahreszeit war es immer noch viel zu heiß. Es war Anfang September, und dieser Sommer forderte alles von jemandem, der Kälte liebte. Er wollte einfach nicht zu Ende gehen.

      Scheiß Klimakatastrophe, dachte König, als er mit schweren Schritten durch den erbsensuppengrün gestrichenen Flur der Wache zu seinem Büro eilte und das quietschende Geräusch seiner Schuhe auf dem abgetretenen Linoleumboden von den Wänden widerhallte, die Jugend hatte schon recht, wenn sie für mehr Klimaschutz auf der Straße protestierte.

      Er spürte sofort, dass irgendetwas passiert sein musste, als er das stickige Büro betrat und Markowski ihm schadenfroh grinsend entgegensah.

      Dressler stand bewegungslos und wie erstarrt am Kopierer und hatte ihnen den Rücken zugedreht. Vielleicht war er im Stehen eingeschlafen.

      »Morgen, Markowski«, grüßte König vorsichtig und ließ sich hinter seinen Schreibtisch sinken.

      Markowski antwortete nicht, biss kraftvoll in seinen Salzkuchen mit Mett und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.

      Der Gestank von Zwiebeln und leicht verdorbenem Hackfleisch war so penetrant, dass König würgen musste. Die Mischung aus Hitze und Gestank erschlug ihn. Er versuchte krampfhaft, so wenig wie möglich zu atmen.

      »Sattler will dich sprechen«, stieß Markowski mit vollem Mund hervor, und seine kleinen, verschlagenen Augen fixierten ihn. »Sofort hat sie gesagt, und sie schien nicht besonders gut gelaunt zu sein.«

      König wurde blass. Er sah Dresslers Schultern vor unterdrücktem Lachen beben.

      Helena Sattler war die Dienstgruppenleiterin der Polizeiwache Nord. Ein rothaariger, meist schlecht gelaunter Drache. Sie versuchte, um sich als weibliche Vorgesetzte Respekt zu verschaffen, strenger, unfreundlicher und gnadenloser zu sein, als jeder männliche Chef es sein könnte.

      Eventuell nicht der richtige Weg, um mit ihrem Team Hand in Hand zu arbeiten, war Königs Meinung.

      Unter Markowskis gehässigem Blick stand König langsam und wortlos auf und ging zur Tür, dabei stolperte er über den Papierkorb, der wie immer mitten im Weg stand. Dresslers prustendes Gelächter verfolgte ihn, als er hastig den Raum verließ.

      Eigentlich war er froh, diese nach Metzgerei stinkende Bude von einem Büro verlassen zu können.

      Auf dem Flur musste er den Drang, einfach zur Eingangstür hinauszuspazieren und nach Hause zu fahren, mit aller Kraft unterdrücken. Seit Corinna ihn vor drei Jahren, für ihn völlig überraschend, verlassen hatte, wurde sein Bedürfnis, sich zu verkriechen und die Außenwelt auszusperren, von Tag zu Tag stärker. Ihm war bewusst, dass sein übermenschliches Verlangen nach seinem Computer, einer Tasse Tee und der schnurrenden Jutta auf seinem Schreibtisch nicht normal war. Seit drei Jahren wartete er darauf, dass er, wie durch ein Wunder, wieder Interesse an seiner Umwelt entwickelte, doch das Gegenteil war der Fall. Die ermüdende Realität erschien ihm absurd und bedrohlich.

      Er seufzte tief, klopfte leise und betrat das Büro von Sattler.

      Sie blickte von den Papierbergen auf ihrem Schreibtisch auf und zog die dünnen, roten Augenbrauen hinter ihrer giftgrün umrandeten Brille nach oben.

      »König. Wie schön, Sie mal wieder an Ihrem Arbeitsplatz anzutreffen. Ich hatte Sie eigentlich schon vor einer Stunde erwartet. Wieder mal ein bisschen später geworden, der Dienstbeginn heute, was?« Sie rümpfte ihre schmale Nase.

      Eine Angewohnheit, die sie während eines Gesprächs häufiger machte. Schien so etwas wie ein Tick von ihr zu sein.

      König antwortete nicht. Wie ein kleiner Junge stand er mit verschränkten Händen vor ihrem Schreibtisch und wartete darauf, dass sie ihm anbot, sich auf einen der Stühle zu setzen. Er schob sich eine Strähne seines unbändigen Haars aus der Stirn.

      Sie kostete sein Unwohlsein in vollen Zügen aus und betrachtete ihn ausgiebig durch die dicken Brillengläser. Schließlich erbarmte sie sich und wies ihn an, Platz zu nehmen.

      Er tat es, sah sie an und entdeckte, dass etwas mittig auf ihrem rechten Brillenglas klebte. Es sah aus wie ein dicker Kekskrümel.

      Ob sie das nicht störte? Warum merkte sie es nicht? Oder sollte das ein bewusstes Ablenkungsmanöver sein, damit man ihr nicht ins Gesicht sah, sondern seine Konzentration allein auf den Krümel richtete.

      »Also, König«, riss sie ihn aus seinen Gedanken, »warum ich Sie habe rufen lassen, hat folgenden Grund.« Sie blätterte zerstreut in einer Akte, dann blickte sie nach oben und sah ihm in die Augen. Ihr Blick war hart. »Sie sind fast mehr krank, als dass Sie auf der Arbeit sind. Und Sie kommen fast täglich zu spät.« Sie wartete.

      König wusste nicht, was er antworten sollte, sie hatte ja recht, also nickte er und lächelte sie an.

      »Gefällt es Ihnen nicht bei uns? Fühlen Sie sich nicht wohl?«, versuchte sie erneut, ein Gespräch in Gang zu bringen.

      »Na ja«, druckste er, »die Kollegen und ich, das ist manchmal etwas schwierig.«

      Sie knallte ihre Faust auf den Schreibtisch. Wieder zuckte ihre Nase und ließ sie wie ein gestörtes Kaninchen aussehen.

      »Die Kollegen sind also schwierig. Herrgott noch mal, König. Dann reden Sie mit denen und klären das. Sie sind Polizist, verdammt noch mal, kein kleines Mädchen.«

      Ihr Gesicht hinter der Brille rötete sich und nahm dieselbe Farbe an wie ihr Haar. Sie schnappte nach Luft und kämpfte sichtlich damit, wieder Herr ihrer selbst zu werden.

      Mit dem Kekskrümel auf der Brille, der ihr Auge verbarg, und dem roten Haar sah sie der einäugigen Hexe in »Warriors of Darkness« erstaunlich ähnlich, stellte König überrascht fest. Er stellte sich vor, seine Schrotflinte zu laden wie in dem Spiel und ihr den Kopf von den Schultern zu blasen. Wieder musste er lächeln.

      »Was lächeln Sie so dämlich?«, fuhr sie ihn an, »manchmal habe ich wirklich das Gefühl, Sie ticken nicht ganz richtig.«

      Sie versuchte, sich zu sammeln. »Sie werden ab heute zusammen mit Markowski Streife fahren, dann verbringen Sie genug Zeit mit ihm, um ihn besser kennenzulernen. Glauben Sie mir, Markowski ist in Ordnung. Ich ziehe Dressler in der Zwischenzeit für den Bürokram ab. Mal raus auf die Straße, wie in den guten alten Zeiten. Sie sehen blass aus, König. Ein bisschen frische Luft und mehr sozialer Kontakt zu den Kollegen wird Ihnen guttun.«

      Zufrieden lehnte sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Ihr Blick hatte etwas Schlangenähnliches.

      »Äh, also ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, begann König.

      Ihre Nase zuckte wie wild.

      »Das ist keine Idee. Das ist eine Anordnung.« Sie schien langsam wütend zu werden. »Und jetzt raus hier. Ich habe genug Zeit mit Ihnen verschwendet. Regeln Sie das, worüber wir gesprochen haben, ansonsten sehe ich mich gezwungen, andere Schritte einzuleiten.«

      Das Gespräch schien beendet zu sein. Sie sah erschöpft aus, als König ihr Büro verließ, und sie tat ihm fast leid. Die Frau hatte es wirklich nicht leicht.

      Im Flur kam ihm Markowski mit griesgrämiger Miene entgegen. Seine gute Laune von heute Morgen schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er hatte sich, trotz der saharaähnlichen Temperaturen draußen, seine hässliche, schwarze Lederjacke übergezogen, die noch aus den 60er-Jahren zu stammen schien. Sein runder Bauch ragte wie ein Ballon aus der geöffneten Jacke hervor. In der Hand schwenkte er den Autoschlüssel.

      »Haste ja toll hingekriegt, König«, raunzte er ihn an, »glaub mir, ich bin nicht glücklich darüber, mit dir die nächsten Tage im Streifenwagen verbringen zu müssen. Dressler und ich sind ein eingespieltes Team. Er war kurz davor in Tränen auszubrechen, als er hörte, dass du ihn ersetzen