Mareike Löhnert

Emscher Zorn


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      »Luca«, stellte er sich vor. Die Muskeln seines Kiefers bewegten sich rhythmisch. Er knirschte mit den Zähnen.

      Sie neigten die Köpfe zueinander und unterhielten sich.

      Jakob konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, die Musik war zu laut. Er beobachtete, wie Nelu der Bardame zunickte, die zu den beiden herüberkam und den Mann namens Dirk in ein Gespräch verwickelte.

      Nelu zückte ein kleines Fläschchen aus der Tasche, öffnete es, ließ mehrere Tropfen brauner Flüssigkeit in das Glas des Mannes tropfen und steckte es dann wieder weg. Die Bardame ließ von Dirk ab und drehte sich weg.

      Mit einem debilen Lächeln auf dem Gesicht strahlte der Mann Jakob und Nelu an.

      »Die Schnecke scheint mich zu mögen«, lallte er voller Stolz, »da habe ich heute den ganz großen Fang gemacht.«

      Nelu stieß mit ihm an. Dirk trank in großen Schlucken. Es dauerte eine Weile, bis er sich an der Theke festhalten musste und seine Augen begannen hervorzutreten. Sein Gesicht nahm eine grünliche Farbe an »Scheiße. Was ist los mit mir? Es dreht sich alles.« Er stöhnte. Schweiß lief über sein Gesicht und tropfte auf den Tresen. Mit den Händen fasste er an seinen Magen und krümmte sich.

      »Komm mit«, Nelu griff unter seinen Arm, »ich bringe dich auf die Toilette.«

      Sie verschwanden und blieben eine ganze Weile weg.

      Nelu kam bestens gelaunt und ohne Dirk zurück. Er nickte Natascha hinter der Theke zu, kramte ein Portemonnaie aus der Tasche, zog einen Hunderter daraus hervor und reichte ihn ihr.

      »Ich bring dich noch nach draußen«, raunte er Jakob zu.

      Die frische Luft tat gut. Ein paar Meter entfernt von der Eingangstür warteten Taxis. Jakob war erleichtert, die Lautstärke des Klubs hinter sich lassen zu können, und atmete befreit auf. Endlich ließ der Druck auf seinen Ohren nach.

      Nelu drückte Jakob einen 200-Euro-Schein in die Hand.

      »Hier. Komm gut nach Hause.«

      »Das kann ich nicht annehmen«, wehrte Jakob entrüstet ab.

      »Mann, das ist doch nicht mein Geld, du Affe«, lachte Nelu, »habe ich dem Spacken Dirk abgenommen.«

      »Was ist mit ihm? Was hast du ihm ins Glas getan?«

      »K.o.-Tropfen. Funktioniert immer wieder gut. Hab ihm auf dem Klo sein Geld abgenommen. Kleine Bezahlung dafür, dass er sich mit mir unterhalten durfte.«

      Jakob zögerte.

      »Nun schau nicht so blöd aus der Wäsche. Es geht ihm gut, und er wird nicht sterben. Man sollte sich halt vorher überlegen, mit wem man sich einlässt. Ist selbst schuld der Typ. Traue niemandem außer dir selbst, und so prall wie sein Portemonnaie gefüllt war, hat der Vogel genug Geld, glaub mir. Da kann er ruhig mal was abgeben.«

      Jakob nickte. Das hörte sich vernünftig an. Menschen waren schlecht, und wer sich verarschen ließ, war selbst schuld. Er nahm den Schein, Nelu zog eine Visitenkarte aus der Tasche.

      »Kannst mich ja mal anrufen. Ich gehe rein und schnappe mir die leckere Kleine, mit der ich vorhin getanzt habe. Eine ordentliche Nummer ist ein guter Abschluss für den heutigen Tag.« Jakob schaute auf die Karte in seiner Hand.

      »Radu-Cristian Marsavela – Unternehmensberater«, stand auf der Karte und eine Telefonnummer.

      »Mach ich«, flüsterte er in die Dunkelheit.

      Nelu war längst im Inneren des Klubs verschwunden.

      Als Jakob im Taxi saß und entspannt die Beine ausstreckte, spürte er, wie müde er war.

      Kapitel 10 – Nelu

      Die Schwärze der Nacht verschluckte ihn und ließ ihn unsichtbar werden. Er lief über die hügeligen Waldwege durch die Bittermark. Äste und totes Holz knackten unter seinen Füßen. Irgendwo hörte er eine Eule rufen. In diesem Wald würde er sich blind zurechtfinden. Schon als Kind hatte er jedes Versteck in dieser zugewachsenen, grünen Oase ausgekundschaftet, war auf jeden der alten Bäume geklettert. Er verharrte einen Augenblick vor dem Mahnmal, das an ein Massaker der Nazis an Karfreitag 1945 erinnern sollte, und sich auf einer Lichtung im Wald befand. Dann setzte er seinen Weg fort. Er verließ den Wald und durchquerte ein pingelig gepflegtes, zu Tode langweiliges Wohngebiet.

      Vor dem letzten, abseits liegenden Haus in der Siedlung blieb er stehen und spürte sein Herz in der Brust schlagen. Er atmete hechelnd durch den Mund.

      Wie konnte es sein, dass dieser Bungalow ihn noch immer so verstörte?

      Nelu sprang über das Tor und durchquerte den prächtigen Garten. Der Duft von Rosen drang in seine Nase. Der Geruch holte Erinnerungen zurück und ließ ihm übel werden. Er nahm einen der großen Steine auf, die als Dekoration um das Haus aufgereiht waren, umrundete das Gebäude und blieb vor der hinteren Terassentür stehen. Im Haus war es dunkel. Er holte aus und zertrümmerte mit dem Stein das Fensterglas. Durchsichtige Splitter sammelten sich auf dem Boden.

      Sie sollten ruhig denken, dass Einbrecher hier am Werk gewesen waren.

      Er griff von innen durch das zerstörte Fenster, öffnete die Tür und trat ein.

      Die Beklemmung legte sich wie ein schwarzes Tuch über ihn. Er schaltete das Licht ein und wartete darauf, dass der Schwindel, der ihn ergriff, vorüber ging.

      Das kalte Weiß der Möbel, das Weiß des Bodens und der Wände bohrte sich wie Nadelstiche in seine Augen.

      Er sah sich als kleiner Junge durch das sterile Haus wandern, auf der vergeblichen Suche nach etwas Lebendigem.

      Das schmerzhafte Sehnen nach einem liebevollen Wort, einem Lachen in diesem riesigen Gebäude kam zurück. Seine Hände glitten fahrig über seinen Körper. Ihm wurde kalt.

      Geld, alles hatte sich immer nur um Geld gedreht.

      Nelu biss die Zähne fest zusammen, schritt langsam zu dem gläsernen Wohnzimmertisch und setzte sich auf das weiße, überdimensional große Ledersofa. Er kramte hektisch das Tütchen und das Metallrohr aus der Tasche seiner Anzughose, zerkleinerte mit seiner Kreditkarte das Pulver, das er auf den Tisch gestreut hatte und zog eine riesige Line. Er stöhnte auf und legte den Kopf in den Nacken.

      So war es schon besser. Er fuhr mit dem Finger über die Glasplatte und verrieb die Reste des Pulvers auf seinem Zahnfleisch.

      Er sprang auf und tigerte durch das Haus, in dem er aufgewachsen war und noch immer in manchen Nächten schlief, auch wenn er von anwesenden Personen komplett ignoriert wurde.

      Hier sprach schon lange niemand mehr mit ihm. In diesem Haus war er ein Geist, der missbilligend akzeptiert wurde.

      Seine Eltern würden noch lange nicht nach Hause kommen. Die Partys, die der Golfklub veranstaltete, endeten nie, bevor der nächste Tag angebrochen war.

      Sein Blick fiel auf die gerahmten Fotos auf dem Sideboard.

      Er betrachtete den kleinen Jungen in Anzug und Krawatte, mit seinem schönen Gesicht, umgeben von Unmengen teurem Spielzeug. Nelu konnte die Verzweiflung und die Angst in seinen dunkelblauen Augen sehen.

      Er zog geräuschvoll die Nase hoch und starrte die Bilder an. Mit einer kraftvollen, schnellen Bewegung fuhr sein Arm über das Sideboard und er riss die Fotos zu Boden. Es knirschte, als er die Bilderrahmen mit seinen Füßen zertrat.

      Er hastete durch das klinisch saubere Haus, öffnete den Haushaltsraum und holte den großen Vorschlaghammer heraus.

      Der erste Schlag gegen den Wohnzimmerschrank, der unter seinem Schwung in tausend Stücke zerbrach, war wie eine Befreiung.

      Immer hatte er Druck verspürt. Er sollte höher, weiter, besser sein, als alle anderen Kinder.

      Nelu schlug auf das weiße Klavier im Wohnzimmer ein. Die schwarzweißen Tasten stießen jaulende Klimpertöne aus und flogen in alle Himmelsrichtungen.

      Wenn