Mareike Löhnert

Emscher Zorn


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Sie fuhren los.

      »Hast du keine Angst, dass du mal erwischt wirst?«, fragte Jakob.

      »Wieso erwischt? Bei was?« Nelu wirkte erstaunt.

      Jakob war sich nicht sicher, ob er nicht nur so tat, als ob er nicht wüsste, wovon er sprach.

      »Na, du klaust doch diese Autos.«

      »Ich klaue nicht. Bin doch nicht so wie die anderen Rumänen. Ich leihe mir die Autos aus und parke sie halt irgendwo anders. Niemals im gleichen Wagen fahren. Ich liebe die Abwechslung. Ich könnte mir auch eine eigene Karre leisten, einen Lamborghini oder so, aber bei Autos ist es wie bei den Weibern. Immer das Gleiche ist öde, außerdem brauche ich mein Erspartes für Italien«, setzte er verträumt hinzu. »Es dauert nicht mehr lange, dann bin ich weg.«

      Er legte den Kopf schief und sah Jakob von der Seite an.

      »Ich habe einen Tisch reserviert im ›Dello Chef‹ in der Gartenstadt.«

      Jakob hatte das Restaurant bisher nur von außen gesehen. Der Laden wirkte teuer, und Jakob hätte selbst im Traum nicht daran gedacht, dort einmal essen zu gehen.

      »Ein Hauch von Italien, damit du mal weißt, wovon ich spreche. Da gibt es das beste italienische Essen der Stadt«, fuhr Nelu fort, »aber wir müssen dich vorher neu einkleiden. Selbst mit mir zusammen würden sie dich dort in den Klamotten nicht reinlassen.«

      Unruhig rutschte Jakob auf dem Sitz hin und her. Er war pleite. Das, was von dem Taxigeld gestern übrig geblieben war, hatte er unbemerkt in Mutters Haushaltskasse gesteckt.

      Nelu lachte lautlos in sich hinein, blickte nach vorne durch die Frontscheibe und schien sich ganz aufs Fahren zu konzentrieren.

      Sie fuhren in den Dortmunder Süden, durch eine prunkvolle Wohngegend, und Jakob betrachtete staunend die riesigen Villen. Sie wirkten wie Schlösser, ein Gebäude war schöner als das nächste und stand in großzügigem Abstand zu den anderen.

      Hier müsste man leben. Keine neugierigen, sich streitenden Nachbarn, die man durch die papierdünnen Wände hörte. Gärten so groß wie Parks. Genug Platz, um Mutter den gesamten Tag aus dem Weg zu gehen. Als Nelu den Motor abschaltete, brauchte er einen Moment, um zu sich zu kommen.

      Sie stiegen aus dem Wagen. Jakob schnupperte.

      »Es riecht hier irgendwie anders. Ein Geruch, den ich nicht kenne«, sagte er und atmete geräuschvoll ein.

      »Der Duft des Geldes. Der klebt in der Luft wie Leim. Pass bloß auf, dass er nicht deine Nase verkleistert und dich ersticken lässt. Das ist schon so manch einem passiert«, antwortete Nelu trocken.

      Es war inzwischen dunkel. Sie liefen schweigend am Rand der sauberen Straße entlang.

      »Selbst die Straße ist schön«, murmelte Jakob versonnen.

      »Mann, krieg dich wieder ein. Hier wohnen genau die gleichen Hurensöhne wie bei dir zu Hause in der Nordstadt, nur dass die so viel Kohle haben, dass sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.« Zielstrebig führte er Jakob zu einer Villa, die von einer hohen Steinmauer umgeben war. Hinter der Mauer lag alles im Dunkeln, sodass man das Gebäude nur schemenhaft erkennen konnte. Am Eingangstor war eine kleine Metallklappe angebracht.

      Nelu öffnete sie, und eine Tastatur kam darunter zum Vorschein, auf der er ohne zu zögern einen Zahlencode eintippte. Lautlos öffnete sich das Tor.

      Jakob riss die Augen auf und folgte Nelu in die Dunkelheit.

      Sobald sie sich auf dem Kiesweg befanden, der zum Haus führte, sprangen neben ihnen funkelnde Laternen an, die den Weg säumten und ihnen mit einem warmen Licht den Weg wiesen.

      Sie stiegen die steinerne Treppe zur Eingangstür hinauf. Wieder tippte Nelu einen Code auf einer Tastatur ein, es gab ein klackendes Geräusch, und er griff nach dem pompös geschmiedeten Türgriff.

      Sie betraten die riesige Vorhalle der Villa. Sobald sie den ersten Fuß in das Haus gesetzt hatten, setzte eine Automatik ein, leise Hintergrundmusik ertönte, und der glitzernde Kronleuchter, der mittig in der Halle an der hohen Decke hing, erstrahlte. Jakob bemerkte, dass sein Mund offen stand.

      »Woher kennst du die Codes?«, flüsterte er Nelu zu.

      »Du brauchst nicht zu flüstern«, Nelu redete in normaler Lautstärke, »die Bewohner sind im Urlaub. Lassen ihre reichen Ärsche auf den Malediven bräunen. Wir sind ganz allein.«

      »Woher weißt du das so genau?« Jakob war vor Aufregung außer sich.

      »Ich habe meine Leute, das habe ich dir schon mal versucht zu erklären. Überall. Leute, die mir Gefallen schulden, Leute, die es sich nicht mit mir verscherzen wollen. Die kriegen so was für mich raus, und jetzt reg dich endlich ab. Komm, wir trinken erst mal was.« Er stolzierte über den edlen Marmorfußboden, als wäre er hier zu Hause.

      Im Wohnzimmer ging er zur Bar, schenkte großzügig Cognac in zwei Gläser und warf sich auf das weiße Designersofa.

      »Setz dich«, er klopfte mit der Hand neben sich auf das Sofa.

      Jakob setzte sich vorsichtig auf das Sofa und strich ehrfürchtig mit der Hand über den samtweichen Bezug.

      Sie tranken den Cognac, er schmeckte weich, fruchtig und ein bisschen nach Erde. Allein von seinem Duft wurde Jakob ganz schwindelig.

      »So, und wozu sind wir hier?«, fragte Nelu wie ein strenger Lehrer. Jakob zuckte verwirrt mit den Schultern.

      »Du hast dir dein Gehirn weggesoffen, was? Wir wollten dich neu einkleiden. Schon vergessen?«

      Er zog Jakob mit sich die Treppe hinauf, in ein Schlafzimmer, das so groß war wie die gesamte Wohnung, in der Jakob lebte.

      Das meterbreite Bett, das im Mittelpunkt des Raumes stand, sah mit seinen vielen Kissen so einladend aus, dass Jakob sich zusammenreißen musste, um nicht mit einem Hechtsprung hineinzuspringen und sich die flauschige Decke über die Ohren zu ziehen.

      Nelu lächelte kalt und deutete auf die Zimmerdecke, an der ein riesiger Spiegel angebracht war.

      »Die werden es hier miteinander treiben wie die Karnickel«, meinte er und begann, im Kleiderschrank zu wühlen, der die gesamte Wandseite einnahm. Er zog mehrere Anzüge aus dem Schrank.

      »Geil, der Typ, der hier wohnt, müsste genau deine Größe haben.« Zufrieden las er die Etiketten. »Gute Marken. Das sind Designerstücke. Exquisiter Geschmack. Wenigstens etwas.« Er nickte anerkennend und warf die Anzüge achtlos auf das Bett. »Worauf wartest du? Los, zieh dich um. Ich habe für neun Uhr reserviert. Wenn man in dem Laden nicht pünktlich ist, ist der Tisch weg, und wir müssen vorher noch die Wohnung umdekorieren.«

      »Umdekorieren?«, wiederholte Jakob dümmlich.

      »Zeig ich dir später. Das ist mein Markenzeichen bei Einbrüchen, ist jetzt egal, erst mal rein in die Klamotten.«

      Jakob genierte sich. Es war ihm peinlich, sich vor Nelu auszuziehen und seinen knochigen Körper zu präsentieren, doch Nelu beachtete ihn gar nicht, hing mit dem Kopf in dem Kleiderschrank und durchstöberte interessiert dessen Inhalt.

      Als Jakob das erste Mal in seinem Leben in einem weißen Seidenhemd und einem dunkelgrauen Leinenanzug vor dem Spiegel stand, blieb ihm fast die Luft weg. Der Mann, der ihm im Spiegelbild gegenüberstand, war ihm fremd. Er sah aus wie ein anderer Mensch, nur die Löcher in seinen Socken verschandelten das Bild. Die Kleidung fühlte sich gut auf seiner Haut an und schmiegte sich sanft an seinen Körper. Sofort hatte er das Gefühl, aufrechter zu stehen und seinen Kopf höher zu tragen. Sein magerer Körper sah nicht mehr kantig und dürr aus, sondern wirkte schlank und gesund.

      Nelu war begeistert.

      »Der ist es. Du brauchst nichts anderes mehr anzuprobieren«, entschied Nelu.

      Als Jakob in die passenden braunen Lederslipper geschlüpft war, die sie gefunden hatten, war der Anblick perfekt.

      »Soll ich die Sachen wirklich einfach mitnehmen?«, fragte