»Hör doch auf, immer die alten Sprüche!« Dwarf seufzte.
»Schluss jetzt!«, befahl Corcoran schroff.
Deutlicher als vorher schallte das Hufgetrappel in den Schuppen, lauter knallte die Peitsche und Räderrasseln vermischte sich mit den anderen Geräuschen.
Zwei Mexikaner tauchten mit der brennenden Sturmlaterne gegenüber vor der Hütte auf. Sie hatten die kriegerisch anmutenden Patronengurte abgelegt und nicht einmal ihre Gewehre in den Händen. Nun ähnelten sie tatsächlich den armen Campesinos, die Corcoran aus dieser Gegend kannte, erweckten den Eindruck, zu den geschundenen Armen zu gehören, die man treten durfte, ohne Rache befürchten zu müssen.
Die beiden gingen zum Tor und öffneten es. Der eine hielt die Laterne in die Höhe und schwenkte sie, um den Ankömmlingen zu zeigen, wo das Tor war, das sie in der Dunkelheit vielleicht in der weißen Wand nicht sahen.
Zwei Soldaten sprengten noch im Galopp in den Hof und rissen die scheuenden Pferde am Corral scharf zurück.
Eine vierspännige Kutsche und noch acht berittene Soldaten folgten. Zwei Männer in Uniformen saßen auf dem Bock des Gefährts.
Die beiden Ranchobewohner liefen durch die Staubschwaden zum Brunnen, wo alle Soldaten aus den knarrenden Sätteln stiegen.
Ein junger Teniente, keine fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und drahtig, stieß den Mann mit der Laterne zur Seite.
»Soll ich Ihnen helfen, Teniente?«, fragte der Mexikaner und dienerte eilfertig.
»Mach dich aus dem Weg, Trottel, ich tränke mein Pferd allein!«, herrschte der junge Offizier den Mexikaner an.
»Entschuldigung, Teniente!« Der Mexikaner dienerte noch, ging rückwärts, lief hinten um die Kutsche herum und zum Haus.
»He, du!«
Der Mexikaner zuckte zusammen, stand einen Moment steif und drehte sich dann um. »Si, Señor?«
»Futter für die Pferde!«
»Si, Señor.« Der Mann mit der Lampe ging zum Stall und öffnete ihn.
»Eine Lampe, verdammt!«, brüllte der Offizier. »Bringt uns eine Lampe, ihr dreckigen Halunken!«
»Der hat ja eine große Klappe!«, staunte Dwarf. »Mann, Mann, wenn sich das bei uns ein Offizier herausnehmen würde, könnte er seine Pension vergessen.«
Ein Ranchobewohner brachte eine brennende Lampe aus dem Haus und stellte sie in den Hof. Er verschwand im Stall und half dem anderen Futter für die Pferde an den Brunnen zu bringen, wo sie es auf die Erde warfen. Sie redeten miteinander, der eine nickte und kehrte ins Haus zurück.
»Also nach Überfall sieht das wirklich nicht aus«, sagte Chet. »Und doch stimmt was nicht.«
Inzwischen schlenderte der zweite Mann wieder hinter der Kutsche herum.
Da wurde der Schlag geöffnet.
Dwarf pfiff durch die Zähne, wofür ihn Rizzos in die Rippen boxte.
»Du sollst doch still sein, Schwachkopf.«
Aus der Kutsche stieg eine junge Frau, die ein braunes Wildlederkostüm mit langen Fransen an Ärmeln und Rocknähten und einen flachen schwarzen Stetsonhut trug. Sie konnte nicht älter als zwanzig sein, war mittelgroß und hatte weit über die Schultern fallende, schwarzblaue Locken. Als sie sich umwandte, waren im Lampenlicht die großen, schwarzen Mandelaugen im ovalen, für eine Mexikanerin ungewöhnlich hellen Gesicht zu erkennen.
»Wie ein Lichtschein in der Finsternis«, murmelte nun auch Rizzos verzückt. »Am liebsten würde ich hinausgehen und die Señorita fragen, ob es ihr nicht zu einsam in der Kutsche ist.«
»Señorita Cuchillo, wir setzen die Reise in wenigen Minuten fort«, versicherte der junge Offizier, der zur Uniform einen sandfarbenen Sombrero trug.
»Ich habe keine Eile, zu meinem Vater zu kommen«, erwiderte das Mädchen.
»Ihr Bräutigam wartet, Señorita.«
»Eben«, sagte das Mädchen. Es schaute sich nach dem wieder dienernden Mexikaner des Ranchos um. »Gibt es hier etwas zu trinken? Einen Schluck kalten Tee vielleicht?«
»Aber selbstverständlich, Señorita. Wenn Sie sich bitte ins Haus bemühen wollen?«
»Warten Sie, Señorita Cuchillo, ich lasse den Tee für Sie holen!«, erbot sich der junge Teniente.
»Nicht nötig, Señor Carras. Ihre Leute haben mit den Pferden schon genug Arbeit. – Zeigen Sie mir den Weg!«
Der abgerissene Mexikaner eilte vor dem schönen Mädchen hinten um die Kutsche und unbeachtet von den in der Tat mit den Tieren beschäftigten Soldaten ins Haus. Das junge Mädchen folgte ihm. Die Tür klappte zu.
Chet rechnete damit, die beiden im nächsten Augenblick hinter dem erleuchteten Fenster links der Tür zu sehen, aber das geschah nicht. Niemand befand sich dort. Sie mussten nun alle fünf mit der Señorita in einem anderem Raum stecken. – Mit den Pferden.
Chet war es, als würde eine Flamme in seinen Kopf schießen. »Boss.«
»Ja, Chet?«
»Die fünf haben jetzt die Frau und die Pferde.«
»Und eine Tür hinten hinaus«, setzte Dwarf hinzu.
»Das ist es!«, stieß Rizzos hervor.
»Aber die wollte doch ins Haus«, sagte Corcoran.
»Lasst die Gäule nicht zu viel saufen, sonst werden sie zu träge!«, schimpfte der Teniente. »Und sie sollen sich nicht voll Hafer stopfen, bis sie platzen!«
»Ein ekelhafter Kerl«, murmelte der Rancher kopfschüttelnd. »Wie so was nur Offizier werden kann.«
»Hier vielleicht schneller als ein vernünftiger Mensch«, entgegnete Chet, der viel weniger an den jungen Offizier als an die seltsamen Ranchobewohner und das hübsche Mädchen dachte, das freiwillig ins Haus ging und, wie er meinte, möglicherweise in eine Falle.
»Das hatten die nicht vorher ausrechnen können, dass dieses Mädchen im Haus was zu trinken haben wollte«, sagte Corcoran, der wohl an das gleiche dachte. »Ausgeschlossen. Genauso gut hätte sie auch einen Soldaten schicken können.«
Hinter dem erleuchteten Fenster war immer noch niemand zu sehen. Und alle Soldaten beschäftigten sich mit ihren Pferden.
»Das ist ja ein dreistes Ding«, sagte Rizzos. »Señorita Cuchillo. Wer könnte das denn sein?«
»Die Tochter des Provinzgouverneurs aus El Carrizo«, erklärte John Corcoran. »Don Esteban Cuchillo, wie der Capitan heute Mittag zu uns sagte.«
»Der hat nur von Don Esteban geredet!«, widersprach Dwarf.
»Stimmt. Aber Esteban Cuchillo gemeint. Soll ein ziemlich übler Patron sein, wie ich unlängst hörte.«
»Und wie man an den verlassenen Hütten deutlich ablesen kann«, setzte Chet hinzu.
Die Zeit verrann. Niemand verließ die Hütte und tauchte hinter dem hellen Fensterrechteck auf.
»Die merken nichts.« Chet kratzte sich im Nacken. »Gibt‘s denn das wirklich?«
Der Kutscher nahm seinen vier Pferden die Futtersäcke ab und räumte die Tränkeimer weg. »Ich schätze, Teniente, wir sollten langsam weiterfahren. Die Gäule werden kalt. Das ist nicht gut.«
Der Offizier tauchte hinter den Pferden auf. »Sättel nachschnallen!«, kommandierte er.
Der Kutscher richtete die Sielen, kontrollierte die Ortscheite, blickte am offenstehenden Schlag vorbei in die Kutsche und kletterte auf den Bock.
Der Offizier winkte einem der Soldaten. »Mein Pferd. Na los, ein bisschen dalli!«