Falk Stirkat

Der belogene Patient


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ZUR RISIKOANALYSE IM BEVÖLKERUNGSSCHUTZ 2012

      Unterrichtung an die Bundesregierung, aus Drucksache 17 / 12051

      2.3 Risikoanalyse »Pandemie durch Virus Modi-SARS«

      »(…) Das Szenario beschreibt ein außergewöhnliches Seuchengeschehen, das auf der Verbreitung eines neuartigen Erregers basiert. (…) Die Wahl eines SARS-ähnlichen Virus erfolgte u. a. vor dem Hintergrund, dass die natürliche Variante 2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an ihre Grenzen gebracht hat. (…) Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus, welches den Namen Modi-SARS-Virus erhält. Mehrere Personen reisen nach Deutschland ein, bevor den Behörden die erste offizielle Warnung durch die WHO zugeht. (…) Obwohl die laut Infektionsschutzgesetz und Pandemieplänen vorgesehenen Maßnahmen durch die Behörden und das Gesundheitssystem schnell und effektiv umgesetzt werden, kann die rasche Verbreitung des Virus (…) nicht effektiv aufgehalten werden. Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ca. 300 Tagen sind ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland an Modi-SARS erkrankt. (…) Bei einem Auftreten einer derartigen Pandemie wäre über einen Zeitraum von drei Jahren (…) mit immens hohen Opferzahlen und gravierenden Auswirkungen auf unterschiedliche Schutzgutbereiche zu rechnen.«

      Erste, grobe Fehler

      Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt begann das RKI, Empfehlungen für medizinisches Personal im Umgang mit Verdachtsfällen zu veröffentlichen. Diese definierten einen solchen Verdachtsfall als Patienten mit Symptomen des Atemtraktes, der entweder Kontakt zu einem bestätigten Fall gehabt hatte oder aber direkt aus der Provinz Hubei eingereist war. Vermutlich unterschätzte das RKI mit diesen Kriterien die Gefahr der Erkrankung. Das Problem am neuartigen Coronavirus bestand nämlich darin – und das war zu jener Zeit durchaus bekannt –, dass Patienten infektiös waren, bevor erste Symptome auftraten. Die chinesischen Behörden hatten tatsächlich nicht ohne Grund ganze Provinzen abgesperrt und waren martialisch gegen die Ausbreitung des Erregers vorgegangen.

      Natürlich ist es im Nachhinein immer einfach, Entscheidungen zu kritisieren und mit erhobenem Zeigefinger auf Fehler hinzuweisen, und man kann davon ausgehen, dass die Definition der Kriterien durchdacht war, sie wurden aber eher liberal umgesetzt. Vielleicht hätte uns ein konservatives Vorgehen einiges ersparen können. Außerdem war da ja noch die von Anfang an heiß diskutierte Frage: Ist der Patient mit oder an Corona verstorben? Auch hier: Schweigen im Walde vonseiten des RKI.

      

Info

      CORONAVIREN

      In den 1960er-Jahren erstmals identifiziert, handelt es sich bei Coronaviren um eine Virenfamilie mit einer Vielzahl bekannter Erreger. Allen gemein ist die Form, die, bedingt durch zahlreiche Ausstülpungen der Virushülle, beim Blick unter das Mikroskop an eine Krone erinnert. Diese »Spikes« genannten Virusbestandteile dienen dem Andocken an und der Verschmelzung mit der Wirtszelle. Der Name Corona kommt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt so viel wie Kranz oder Krone. Eine Besonderheit von Coronaviren ist ihre Eigenschaft, bei unterschiedlichen Spezies ganz unterschiedliche Beschwerden hervorzurufen. Bisher sind nur wenige Vertreter der Gattung bekannt, die auch beim Menschen Symptome verursachen. Diese reichen von leichten grippalen Infekten bis zum ernsthaften Befall des Atmungsapparates, der auch zum Tod führen kann. Dabei kann ein und derselbe Virusstamm bei verschiedenen Individuen zu gänzlich unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung führen.

      Eine spezielle Eigenschaft von Coronaviren ist ihre genetische Instabilität, die dazu führen kann, dass die Viren von einer Spezies auf eine andere überspringen und sich im schlimmsten Fall dann auch zwischen Individuen dieser Spezies vermehren können. Genau das ist bei der Coronavirus-Pandemie passiert. Neben COVID-19, der Erkrankung, die aus dem neuen Coronavirus resultieren kann, verursachen Vertreter der Virusfamilie auch Krankheiten wie SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) und MERS (Middle East Respiratory Syndrome).

      Überlastete Gesundheitsämter

      Auch die Gesundheitsämter fuhren auf Sparflamme und waren personell überhaupt nicht dazu in der Lage, eine derartige Situation zu stemmen. Unser Land war nur imstande, halbwegs professionell auf alles zu reagieren, weil Ärzte und Pflege individuelle Wege gefunden haben, das Beste für die Patienten zu tun. Die Ämter waren es nicht – zumindest nicht in unserer Erfahrungswelt. Dass es anderen Ländern deutlich schlechter erging, mag daran liegen, dass deren Behörden offensichtlich noch viel miserabler aufgestellt sind als unsere. Wir müssen hier für die Zukunft lernen und unsere Gesundheitsämter sowie den öffentlichen Katastrophenschutz deutlich besser ausstatten. Vorsorge kostet Geld, aber sie zahlt sich aus.

      Ein weiteres großes Problem in Bezug auf die Kriterien des RKI war die Fixierung auf Symptome des Atmungstraktes. Bitte verstehen Sie uns nicht falsch: Es liegt uns fern, hier das RKI zu verunglimpfen. Ohne dieses Institut wären wir im Verlauf der Krise aufgeschmissen gewesen. Dennoch waren die ersten Reaktionen auf den Ausbruch nicht sonderlich praxistauglich. Fehler wurden sicherlich überall gemacht, so ist das nun einmal in einer Situation, mit der keiner rechnen kann – mit Ausnahme der Bundesregierung, da sie ja bereits acht Jahre vorher mit diesem Szenario konfrontiert wurde (siehe >). Das eigentliche Problem in der Anfangszeit der Pandemie war die unflexible Umsetzung der RKI-Empfehlungen von Beamten, die bürokratische Abläufe stur befolgten. Nur kümmert sich das Coronavirus nicht um bürokratische Abläufe …

      … genauso wenig wie um die Grenzen der Nationalstaaten.

      Doch irgendwann kippte die Stimmung. Plötzlich beschwerte sich ein deutscher Ministerpräsident öffentlich darüber, dass die Wissenschaft der Politik keine genaue Handlungsanweisung gab, in den »sozialen« Medien wurde brutal auf Herrn Drosten eingeschlagen und Menschen begannen täglich zu Virologen zu mutieren. Eine erschreckende Entwicklung, die letztendlich dazu führte, dass sich die Gemütslage im Lande plötzlich gewaltig änderte und aus Dankbarkeit der Wissenschaft gegenüber Misstrauen wurde.

      

Info

      GESUNDHEITSÄMTER

      Ein Gesundheitsamt ist eine Behörde mit vielfältigen Aufgaben. Neben der amtsärztlichen Versorgung sind das beispielsweise die AIDS-Beratung, die Epidemiologie, die Aufrechterhaltung kinder- und jugendärztlicher Dienste, die Umweltmedizin, die Schwangeren- und Konfliktberatung und noch viele, viele mehr. Viele Behörden wurden in den letzten Jahren personell heruntergefahren und zum Teil sogar aufgelöst und zu einer Abteilung des Landratsamtes degradiert. Der Beruf des Amtsarztes genießt in der öffentlichen Meinung nur minimale Anerkennung – oder haben Sie auf einer Party schon einmal in die staunenden Augen der Gäste geblickt, wenn jemand gesagt hat, er sei Amtsarzt … Chirurg ist da schon etwas ganz anderes. Dabei sind die Aufgaben der Gesundheitsämter essenziell, denn sie müssen sich um die Gesundheitsvorsorge kümmern. In normalen Zeiten interessiert das aber leider kaum jemanden. Der alte Spruch: »There is no glory in prevention!«, zu Deutsch: »Prävention ist nicht sonderlich sexy!«, ist so aktuell wie nie (siehe >). Wenn wir also eine Lehre aus der Coronakrise ziehen, dann die, dass den Gesundheitsämtern deutlich mehr Geld, mehr Personal und vor allen Dingen mehr Anerkennung mit auf den Weg gegeben werden sollten!

      

Info

      COVID-19

      Die durch das Coronavirus Sars-CoV-2 verursachte Krankheit nennt man COVID-19 (CoronaVIrusDisease, erstmals aufgetreten 2019). Aktuell wissen wir noch nicht alles über diese völlig neuartige Erkrankung. Hauptsächlich verursacht das Virus durch direkte Schädigung der entsprechenden Zellen an eine normale Virusgrippe erinnernde Symptome. Halskratzen, trockener Husten und Fieber bleiben nicht selten die einzigen Beschwerden. Gar nicht so selten gesellt sich auch Durchfall hinzu. Bei einigen Betroffenen – und wir wissen bisher nicht genau, welche Kriterien hier angelegt werden müssen – kommt es nach ungefähr