in der die Kriege zwischen den Wikingern und den Slawen geschildert werden, fanden auf der Insel statt. Die überlieferte Geschichte Bornholms, so heißt es in den Lehrbüchern, begann zu der Zeit, als die Insel zu den Besitztümern der mittelalterlichen Bischöfe von Lund gehörte. Im Jahr 1523 wurde die Insel von Dänemark erobert, später an die Stadt Lübeck verpfändet und von den Dänen wieder ausgelöst. Bis 1648 stand sie unter schwedischer Besatzung, 1716 stattete ihr der russische Zar Peter der Große einen Besuch ab, von 1940 bis 1945 war sie von deutschen Truppen besetzt und am Ende des Krieges wurde sie von der Roten Armee befreit.13 Die unbeschwerten Touristen hingegen, die bestenfalls einige Bruchstücke dieser Geschichte kennen, paddeln auf dem Meer oder entledigen sich ihrer Kleider, unternehmen Fahrradtouren auf der Insel, lassen Drachen steigen und kreuzen mit ihren Segelbooten vor der Küste.
Im Dezember 2010 brach ein besonders heftiger Schneesturm über die Insel herein, der große Teile Nordeuropas heimsuchte. Bornholm wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Das Dänische Meteorologische Institut maß auf der gesamten Insel im Minimum Schneemengen von 146 Zentimetern, in einigen Teilen türmten sich sogar bis zu sechs Meter hohe Schneewehen. Nachdem die Bewohner eine Woche lang vergeblich der Schneemassen Herr zu werden versucht hatten, riefen sie um Hilfe. Es mussten Militärfahrzeuge eingesetzt werden, um die Versorgung sicherzustellen und die Berge von Schnee ins Meer zu kippen.14 Doch abgesehen von der Nachricht, dass dies der kälteste Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1874 war, hatten die Bewohner keine Zeit, sich Gedanken über die Geschichte ihrer Insel zu machen.
II
Kaum ein Thema hat in der europäischen Geschichte für mehr Verwirrung gesorgt als die Frage, wie viele »burgundische Reiche« es gegeben hat. Nahezu alle historischen Untersuchungen oder Nachschlagewerke, die man dazu heranzieht, liefern widersprüchliche Informationen. Bereits 1862 fühlte sich James Bryce, Professor für Zivilrecht in Oxford, veranlasst, in seine wegweisende Studie über das Heilige Römische Reich eine spezielle Anmerkung »Über die burgundischen Reiche« aufzunehmen. »Es ist kaum möglich, eine geografische Bezeichnung zu nennen«, schrieb er, »die in der Vergangenheit mehr Verwirrung gestiftet hat und es heute noch tut …«15
Bryce war ein Mann von unermüdlicher Ausdauer und Gewissenhaftigkeit. Er stammte aus Glasgow, war Bergsteiger, ein Liberaler und Anhänger von Gladstone, Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika und ein gewissenhafter Faktenprüfer. (Er bestieg einmal den Berg Ararat, um nachzuprüfen, wo Noahs Arche geblieben war.) In seiner berühmten »Anmerkung A« führt er jene zehn staatlichen Gebilde auf, die seinen Untersuchungen zufolge »zu bestimmten Zeiten und in unterschiedlichen Gebieten« den Namen »Burgund« trugen:
I. | Das Regnum Burgundionum (Königreich der Burgunder), 406–534. |
II. | Das Regnum Burgundiae (Königreich Burgund) unter den Merowingern. |
III. | Das Regnum Provinciae seu Burgundiae (Königreich Provence oder Burgund), gegründet 877, »etwas ungenau Cisjuranisches Burgund genannt«). |
IV. | Das Regnum Iurense oder Burgundia Transiurensis (Königreich Jura oder »Transjuranisches Burgund«), gegründet 888. |
V. | Das Regnum Burgundiae oder Regnum Arelatense (Königreich Burgund oder Königreich Arelat), gebildet 937 durch den Zusammenschluss der Reiche III und IV. |
VI. | Burgundia Minor (Herzogtum Klein-Burgund). |
VII. | Die Freigrafschaft oder Pfalzgrafschaft Burgund (Franche-Comté). |
VIII. | Die Landgrafschaft Burgund, Teil des Reiches Nr. VI. |
IX. | Der Burgundische Reichskreis, errichtet 1548. |
X. | Das Herzogtum Burgund (Bourgogne), das »immer ein Lehen der französischen Krone war«.16 |
Wie komplex dieses Thema ist, liegt auf der Hand, und schon eine kurze Beschäftigung mit der Anmerkung von Bryce weckt Zweifel. Doch dies war der erste Versuch, das Burgund-Problem in seiner Gesamtheit zu erfassen. Selbstverständlich sind weitere Nachforschungen erforderlich.
Das Königreich der Burgunder (Nr. I auf der Liste von Bryce) war eine relativ kurzlebige Angelegenheit. Es wurde von einem Stammesführer namens Gundahar in der ersten Dekade des 5. Jahrhunderts am westlichen Ufer des Mittelrheins gegründet. Er und sein Vater Gibica hatten ihren Stamm über den Fluss in das Gebiet des Römischen Reiches geführt, wahrscheinlich während des großen Barbareneinfalls im Winter 406/07, und schlugen sich anschließend auf die Seite eines lokalen Usurpators namens Jovinus, der sich 411 in Moguntiacum (Mainz) zum »Gegenkaiser« ausrufen ließ; Jovinus erklärte im Gegenzug die Burgunder zu »Verbündeten« seines Reiches. Nach Ansicht Roms allerdings waren alle diese Vereinbarungen unrechtmäßig.
Woher die Burgunder genau stammten, ist Gegenstand vieler wissenschaftlicher Spekulationen.17 Dass sie Ende des 4. Jahrhunderts am Main (unmittelbar östlich des Limes) lebten, ist in römischen Quellen dokumentiert, ebenso ihre Kriege mit den Alamannen. In einer Gedenkinschrift in Augusta Treverorum (Trier) wird ein gewisser Hanulfus erwähnt, der in römischen Diensten stand und Mitglied einer burgundischen Königsfamilie war. Die früheren Stationen der Wanderungen der Burgunder sind dagegen unklar. Eine Hypothese geht von einer Wanderung aus, die sich über vier Abschnitte erstreckte;18 der erste führte sie demzufolge im 1. Jahrhundert n. Chr. von Skandinavien an die untere Weichsel. In der zweiten Phase zogen sie zur Oder, in der dritten zur mittleren Elbe und in der vierten zum Main.
Die Burgunder sprachen eine germanische Sprache, die der Sprache der Goten ähnelte, die ebenfalls aus Skandinavien kamen. Wie die Goten hatten sie die arianische Form des Christentums angenommen und waren wohl auch mit der Wulfila-Bibel vertraut, einer Übersetzung des Neuen Testaments ins Gotische, die der aus Nordbulgarien stammende Bischof Wulfila angefertigt hatte.19 Zudem hatten sie durch den Austausch mit verschiedenen nichtgermanischen Stämmen den hunnischen Brauch des Kopfbandagierens übernommen, bei dem der Kopf von Mädchen von klein auf durch fest geschnürte Bandagen in eine längliche Form gebracht wurde. Dies hatte die unbeabsichtigte Folge, dass ihre Gräber von den Archäologen sofort erkannt wurden.
Den Mittelpunkt von Gundahars Königreich bildete die alte keltische Hauptstadt Borbetomagus (Worms); es erstreckte sich im Süden bis nach Noviomagus (Speyer) und nach Argentoratum (Straßburg). Die Neuankömmlinge, die ungefähr 80.000 Personen umfassten, gingen in der gallisch-romanischen Bevölkerung auf. Sie werden in dem angelsächsischen Gedicht Widsith erwähnt, in dem Herrscher aus dem 5. Jahrhundert aufgeführt werden. Widsith, der »Fernreisende«, behauptete, er habe das Reich Gundahars persönlich besucht:
Mid Pyringum ic waes … ond mid Burgendum. Paer ic geag geþah. aer ic beag geþah. Me þaer Guðohere forgeaf Glaedlicne maþþum. Songes to leane. Naes þaet saene cyning! | Ich war bei den Thüringern … und bei den Burgundern. Dort schenkten sie mir einen Ring. Dort gab Gunthere mir Einen glänzenden Schatz Um mich für meine Lieder zu bezahlen. Er war kein schlechter König.20 |
Doch Gundahars Stellung war von Anfang an schwach. Sobald die römischen Behörden wieder Tritt gefasst hatten, entschieden sie, ihn zu vernichten. Im Jahr 436 holte der römische General Flavius Aetius, ein Diener von Kaiser Valentinian III., Attilas Hunnen ins Land und ließ sie die blutige Arbeit