als das »dritte Burgunderreich« bezeichnen müsste. Wahrscheinlich weil es nicht vollständig souverän war, wurde seine Existenz häufig ignoriert. Doch die beiden vorhergegangenen burgundischen Reiche waren auf ähnliche Weise Oberherren unterworfen gewesen.
Guntram (Guntramnus) ist eine interessante Figur, nicht weil er später heilig gesprochen wurde, sondern auch weil seine Armeen bis nach Britannien und Septimanien im Südwesten des Frankenreiches zogen. Als »König von Orléans« übte er eine Zeit lang sogar die Herrschaft über Paris aus. Er war ein Zeitgenosse des Bischofs und Chronisten Gregor von Tours, der sorgfältig die Entwicklungen während seiner Regentschaft aufzeichnete, die durch eine nicht enden wollende Abfolge von Kriegen, von dynastischen Streitereien, Morden, Intrigen und Verrat geprägt war. Guntrams Frauenbeziehungen waren ähnlich vielfältig wie seine militärischen Feldzüge:
Der ehrenwerte König Guntram nahm sicli zuerst eine Konkubine namens Venerande, eine Sklavin, die zu seinem Volk gehörte, mit welcher er einen Sohn namens Gundobad hatte. Später heiratete er Marcatrude, die Tochter von Magnar, und schickte seinen Sohn Gundobad nach Orléans. Doch als auch sie einen Sohn gebar, wurde Marcatrude eifersüchtig, so hieß es … und vergiftete [Gundobads] Trunk. Dadurch zog sie, nach dem Willen Gottes, den Zorn des Königs auf sich und wurde von diesem verstoßen. Daraufhin nahm er Austregild, die auch Bobilla genannt wurde, zur Frau. Sie schenkte ihm zwei Söhne, von denen der ältere Clothar und der jüngere Chlodomer genannt wurden.41
An einer Stelle unterbricht Gregor von Tours seine Schilderung und schiebt eine Beschreibung von Divio (Dijon) ein, das eine besondere Rolle in der burgundischen Geschichte spielt. Davor hatte er von Gregorius gesprochen, dem Bischof von Langres:
[Divio], wo Bischof [Gregorius] tätig war … ist eine Festung mit sehr robusten Mauern, mitten in einer Ebene errichtet, ein sehr schöner Ort, mit reichem und fruchtbarem Land, sodass … zur entsprechenden Jahreszeit eine Fülle von Erzeugnissen dort angeliefert wird. Im Süden fließt ein Fluss … der sehr fischreich ist, und aus dem Norden kommt ein weiterer kleiner Strom, der … unter einer Brücke hindurch … um den gesamten befestigten Ort herumfließt … und die Mühlen vor dem Tore mit bewundernswerter Geschwindigkeit antreibt … Die vier Tore weisen nach den vier Himmelsrichtungen, und 33 Türme schmücken die Mauer, die 30 Fuß hoch ist und 15 Fuß dick … Im Westen liegen Hügel, sehr fruchtbar und voller Weingärten, in denen ein solch edler Falerner erzeugt wird, dass [die Bewohner] den Wein von Ascalon verschmähen. Die Alten sagen, dass dieser Ort von Kaiser Aurelian gegründet wurde.42
Trotz dieser opulenten Umgebung verbrachte Guntram, wenn man Gregor Glauben schenken darf, seine letzten Lebensjahre mit Fasten, Beten und Weinen. Seine Hauptstadt war Cabillo (Chalons-sur-Saône), wo er in der Kirche St. Marcellus beigesetzt wurde. Durch spontane Akklamation seiner Untertanen wurde er zum Heiligen erklärt, und später wurde er zum Schutzpatron reuiger Mörder.
Ein Korrektiv zu den bisweilen als übertrieben frankenfreundlich eingestuften Darstellungen von Gregor bilden die Schriften von Marius d’Avenches (532–596), des Bischofs von Lausanne (des späteren St. Marius Aventicensis), der gleichermaßen für seine Frömmigkeit und seine Gelehrsamkeit bekannt war. Er war ein Beschützer der Armen und soll eigenhändig seine Äcker bestellt haben; als Gelehrter setzte er die Arbeit von St. Prosper von Aquitanien fort und erweiterte Prospers Weltchronik bis ins Jahr 581.43 Der bedeutendste Geistliche der Zeit war vermutlich St. Caesarius von Arles (gest. 542), ein wortmächtiger Prediger und Theologe. Geboren in Cabillo, studierte er in Lerinum und wirkte fast 40 Jahre als Primas von Gallien.44 Der irische Missionar St. Kolumban (um 540–615) schließlich dürfte ebenfalls zu Guntrams Lebzeiten in die Region gekommen sein. Er lebte zeitweise als Gast am burgundischen Hof und eine Weile als Eremit in den Vogesen.45
Auf dem Höhepunkt seiner Macht, um 587, beherrschte Guntrams Regnum Burgundiae den größten Teil von Gallien, einschließlich Bordeaux, Rennes und Paris, ebenso wie das frühere Burgund von Gundobad. Doch das Reich erwies sich als zu groß und als überdehnt und lud daher seine Nachbarn zu Plünderungszügen ein. Guntrams kriegerische Nachfolger vollzogen mehrere komplizierte Thron- und Gebietswechsel. Mehrere Herrscher werden von den Chronisten als Könige von Burgund, Neustrien und Burgund oder als Könige »aller Franken« bezeichnet; neben Guntram gehören dazu Childebert II. (reg. 592–595), Theuderich II. (reg. 595–613), Sigebert (reg. 613), Chlothar II. (reg. 613–629), Dagobert (reg. 629–639), Chlodwig II. (reg. 639–655) und Chlothar III. (reg. 655–673).
Einige Abschnitte der Merowinger-Herrschaft liegen weitgehend im Dunkeln, doch ein Chronist, der als Fredegar, Fredegarius oder Pseude-Fredegarius (gest. um 660) bekannt ist, wirft einen Lichtblick auf das dritte Viertel des 7. Jahrhunderts. Er lebte in einem Kloster, möglicherweise in Chalons oder Luxueil, und versuchte zunächst einige bereits bestehende Chroniken »zu verbessern«. Ab 624 erstellte er in 18-jähriger Arbeit einen ausführlichen Kommentar über die Ereignisse der Zeit, der deutlich zeigt, dass in allen Schichten der fränkisch-burgundischen Gesellschaft die Blutrache gepflegt wurde. Ein Satz von Attila ist in diesem Zusammenhang sehr treffend: »Quid viro forti suavis quam vindicta manu querere?« (»Was könnte einen starken Mann mehr erfreuen, als eine Blutfehde zu pflegen?«). Fredegar erwähnt einen Vorfall, an dem der byzantinische Kaiser beteiligt war und der anschaulich belegt, wie wenig ein menschliches Leben wert war. Nachdem zwei burgundische Gesandte bei einer Prügelei in dem von Byzanz beherrschten Karthago getötet worden waren, bot Kaiser Maurikios eine Wiedergutmachung in Gestalt von zwölf Männern an, mit denen die Burgunder »tun könnten, was sie wollten«.46 Mit besonders heftigen Schmähungen bedenkt Fredegar die westgotische Fürstin Brunechildis, die aus Hispania an den burgundischen Hof kam und dort angeblich Gewalt und Hass schürte: »Tanta mala et effusione sanguinem a Brunechildis in Francia factae sunt.47
Fredegars Darstellung endet mit der Geschichte des Flaochad, genere Franco (gebürtiger Franke) und Majordomus, der sich an einem burgundischen Adeligen namens Willebad rächen wollte. Mit ihren Anhängern im Gefolge trafen die beiden vor den Mauern von Augustodunum aufeinander:
Berthar, ein transjuranischer Franke, … griff Willebad als Erster an. Und der Burgunder Manaulf, der vor Wut mit den Zähnen knirschte … trat mit seinen Männern nach vorn, um zu kämpfen. Er war einst mit Berthar befreundet gewesen und sagte nun »Komm unter mein Schild, und ich werde dich schützen« … und er hob sein Schild, um ihm Deckung zu bieten. Doch [Manaulf] stieß mit seiner Lanze nach seiner Brust … Als Chaubedo, Berthars Sohn, sah, dass sein Vater in Gefahr schwebte, stieß er Manaulf zu Boden, durchbohrte ihn mit seinem Speer und tötete alle, die seinen Vater verwundet hatten. Und mit Gottes Hilfe rettete der Junge dadurch Berthar vor dem Tode. Wer von den Herzögen seine Männer lieber nicht auf die Seite Willebads Seite gestellt hatte, plünderte nun seine Zelte … Die Männer, die sich nicht am Kampf beteiligt hatten, schafften große Mengen Goldes und Silber sowie Pferde und andere Gegenstände fort.48
Ein Historiker bemerkte dazu: »Das Erstaunliche an der frühmittelalterlichen Gesellschaft ist nicht der Krieg, sondern der Frieden.«49
Zu Fredegars Zeiten wurden die Merowinger zu reinen Marionetten der Hausmeier und Grafen in den königlichen Palästen. Zudem verlagerte sich das politische Machtzentrum in das fränkische Austrasien (das Ostfrankenreich). Dagobert, der über Neustrien herrschte (das »neue Land im Westen«), wurde in einem französischen Kinderlied verspottet: »Le Bon Roi Dagobert/A mis sa Culotte à l’envers« (»Der gute König Dagobert/trug seine Hose verkehrt herum.«)50 Er machte Paris zu seiner Hauptstadt. Eine entscheidende Schlacht bei Tertry in der Picardie im Jahr 687 verfestigte die Unterordnung Burgunds unter Austrasien.
Anfang des 8. Jahrhunderts wurde von Bischof Savarich von Auxerre eine separatistische burgundische Bewegung ins Leben gerufen, deren Aktivitäten aber gerade zu jenem Ergebnis führten, das sie hatte vermeiden wollen. Karl Martell (688–741), der Begründer nicht nur der Dynastie der Karolinger, sondern maßgeblich auch des karolingischen Reiches, fiel über Burgund her, um es gefügig zu machen. Nachdem er aus der historischen Schlacht gegen die Sarazenen bei Tours im Jahr 732 als Sieger hervorgegangen war, vertrieb er diese auch aus ihren Festungen