Theresa Hannig

König und Meister


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       Danksagung

       Die Autorin

      1. Kapitel

      Ada zwickte sich in die empfindliche Haut ihres Unterarms, um nicht einzuschlafen. Es war wie ein Reflex: Kaum lehnte sie sich in das weiche Polster des Beifahrersitzes, atmete den unverwechselbaren Geruch von Leder und frisch gesaugter Fußmatte ein und lauschte den unablässigen Reden ihres Vaters, wollte ihr Geist abschalten. Für die nächsten dreißig, vierzig Minuten gab es nichts anderes zu tun, als zuzuhören und ab und zu ein »hm« oder »aha« vor sich hinzubrummen. Nicht einmal ein Nicken war vonnöten, denn ihr Vater widmete seine Aufmerksamkeit gewissenhaft der Straße und sah nur selten zu ihr herüber. Umso verlockender war der Gedanke, kurz die Augen zu schließen und wegzudösen. Ein Teil ihres Bewusstseins sank langsam tiefer in warme Abgründe, ließ hyperrealistische Traumbilder an ihr vorbeiziehen, die wundersame Abenteuer versprachen. Doch es blieb bei dem Versprechen, denn der wohlerzogene Teil in ihr mahnte sie: Es ist unhöflich, einzuschlafen, wenn dein Vater mit dir redet!

      Wie sie diesen Brave-Tochter-Modus hasste! Also fingerte sie am Radio herum und suchte nach einem Sender, der etwas anderes als Werbung brachte. Adas Vater schien nur kurz irritiert und sprach dann weiter, als wäre nichts geschehen. Sie versuchte, ihre Konzentration auf den Liedtext zu richten, vergeblich.

      »Und dabei hätte ich ihm das Land schon vor zehn Jahren abgekauft. Aber nein, mir wollte er es ja nicht überlassen. Wahrscheinlich, weil ich seiner Tochter damals keine besseren Noten gegeben habe. Hat mich immer wieder beschimpft, ich sei ein arroganter Pinkel, einer, der sich für was Besseres hält. Pah! Dabei war er es doch, der seine Tochter gegen jede Vernunft aufs Gymnasium schicken wollte. Und ich soll dann Schuld sein, wenn sie versagt. Was jetzt passiert, ist ja klar. Die wollen sicher einen Dreispänner hinbauen oder ein Hochhaus oder was weiß ich. Da kann man sich ja denken, was da für Leute einziehen. Dann ist es aus mit der Ruhe. Aber das kriegen die nicht durch. Ich habe schon einen Termin bei der Bürgermeisterin!«

      Ada änderte ihre Sitzposition und richtete sich auf, um die Müdigkeit zu bekämpfen. Dabei streifte ihr Blick die Handtasche, die sie zwischen ihren Beinen im Fußraum deponiert hatte.

      »Ach Papa, ich habe dir noch etwas mitgebracht«, sagte sie, glücklich darüber, das Thema wechseln zu können. »Hier, Pralinen vom Dallmayr. Die magst du doch so gerne.«

      »Ja, Danke sehr. Tu sie am besten gleich ins Handschuhfach.«

      Sie öffnete die Klappe vor sich, doch das Fach war bereits voll. In zwei durchsichtigen Zellophan-Tüten lagen eng aneinandergequetscht Dallmayr-Pralinen, dem Aussehen nach schon mehrmals geschmolzen und wieder hart geworden.

      »Sag mir halt, wenn du keine Pralinen mehr magst«, knurrte sie und warf die Klappe zu.

      »Nicht so feste, sonst geht der Verschluss kaputt«, ermahnte sie ihr Vater und begann gleich wieder über die Familie zu schimpfen, die auf dem Nachbargrundstück ein Haus bauen wollte.

      Ada stopfte die Pralinen zurück in ihre Handtasche und verschränkte die Arme. Wäre sie doch einfach zu Hause geblieben. Die Wäsche wartete und ein Tag Ruhe wäre auch nicht schlecht gewesen.

      Zu allem Überfluss hatte Adas Vater die Angewohnheit, immer langsamer zu fahren, je aufgewühlter er war. So würde es noch länger dauern, bis sie am Restaurant ankamen. Ada versuchte, mit ihrem Handy zu überprüfen, ob der Laden an diesem Sonntag auch wirklich geöffnet hatte. Nicht dass ausgerechnet heute der Wirt krank war oder eine geschlossene Gesellschaft den Schankraum besetzte, und sie am Ende den ganzen Weg hungrig wieder nach Hause fahren mussten. Aber sie hatte kein Netz, von wegen Internet an jeder Milchkanne.

      Noch konnte sie sich zusammenreißen, doch je größer ihr Hunger wurde, desto ungeduldiger würde sie werden und das führte beim Redebedürfnis ihres Vaters über kurz oder lang zu Streit.

      »Essen spielt in deinem Leben eine viel zu große Rolle«, hatte ihre Mutter Karin erst kürzlich zu Ada gesagt. »Versuch, dir im Alltag andere Belohnungen anzugewöhnen, als immer nur zu essen. Du siehst ja, wohin das führt. Geh lieber spazieren oder zum Yoga. Dafür hat wirklich jeder Zeit.«

      Ada seufzte. Dann schon lieber essen gehen mit ihrem Vater.

      Sie hatten Glück. Auf dem Parkplatz vom Huberwirt standen vier Fahrzeuge. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Küche geöffnet hatte. Es war schon fast zu einem Ritual geworden: Wenn Ada ihren Vater besuchte und sie wichtige Dinge zu besprechen hatten, fuhren sie zuerst gemeinsam zum Huberwirt, tranken ein dunkles Bier, aßen jeder eine Portion Pfannkuchensuppe und danach Wiener Schnitzel mit Pommes, natürlich mit Bratensoße. Wer Pommes ohne Bratensoße aß, war nach Ansicht von Adas Vater ein rückständiger Barbar.

      Als sie die schwere Tür zum Schankraum aufdrückte, quoll Ada der vertraute Duft nach Bier, Bratfett und heißem Kachelofen entgegen. Obwohl der Sommer draußen nicht zu Ende gehen wollte, war die Gastwirtschaft schon auf gemütliches Herbstwetter eingestellt. Denn je mehr die Gäste schwitzten, desto mehr tranken sie. Ada hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie liebte die Hitze.

      Kaum hatten sie an einem Tisch Platz genommen, erschien eine überaus füllige Bedienung in einem schwarzen Dienstdirndl von beeindruckenden Ausmaßen. Sie lächelte Ada herzlich an und begrüßte ihren Vater mit einem schelmischen Nicken.

      »Ja, da schau her, der König gibt sich die Ehre. Wie geht’s, wie steht’s?«

      »Gut. Danke. Viel zu tun.«

      »Ach ja, so ist des immer bei den Rentnern. Kaum haben sie nichts mehr zum Arbeiten, geht der Stress schon los.«

      »Ganz genau«, pflichtete er ihr ohne die geringste Spur von Ironie bei.

      »Machen wir das Gleiche wie immer?«

      »Ja, wie immer. Oder, Ada?«

      Sie nickte, woraufhin die Bedienung das Bestellblöckchen in das Lederhalfter an ihrer Hüfte gleiten ließ und auf die Bierzapfanlage zusteuerte. Fasziniert blickte Ada ihr hinterher. Sie konnte die Füße nicht sehen und hätte schwören können, die Frau bewege sich auf Schienen, so elegant und zielstrebig glitt sie durch den Raum.

      »Starr nicht so, Ada«, wies ihr Vater sie in wohlkalkulierter Lautstärke zurecht.

      Er war ein Meister der Dosierung seiner Stimme. Das musste sie ihm lassen. Dass er auch in vielen anderen Dingen ein Meister war, glaubte oft nur er selbst. Wie selbstverständlich nahm er zur Kenntnis, dass ihn die Leute nur König, anstatt Herr König nannten. Als Ada klein gewesen war, hatte sie deshalb geglaubt, dass sie eine echte Prinzessin sei. Verbissen hatte sie sich gegen die Kinder aus dem Dorf gewehrt, die ihre adelige Abstammung bezweifelten. Nur Josef, der Nachbarsjunge von gegenüber, hatte ihr geglaubt und sie gegen die