Ulrike Barow

Baltrumer Dünensingen


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Jägermeister, nahmen jeder einen kräftigen Schluck und …«

      »… warfen die leeren Flaschen ins Wasser!«, fuhr der Inselpolizist fort.

      »Nein, das nicht. Sie haben das Leergut in eine Tasche gesteckt, die offensichtlich schon recht gut gefüllt war. Dann allerdings musste ich sie daran hindern loszufahren, was bei den kräftig geschminkten jungen Damen für reichlich Ärger sorgte. Ich konnte sie jedoch davon überzeugen, dass der Gebrauch der Dinger hier verboten ist.«

      »Junggesellinnenabschied?« Röder war heilfroh, dass dieser Einsatz an ihm vorbeigegangen war. Die Stimmung konnte nämlich ganz schnell ins Gegenteil umschlagen, wenn man die Herrschaften auf Recht und Ordnung hinwies. »Normalerweise fahren die doch nach Norderney.«

      Daniel lachte. »Die wollten nur ein ganz klein wenig feiern. Das erwähnte die Frau, die wohl die zukünftige Gattin war. Sie trug rosa Öhrchen, eine buntbedruckte Küchenschürze und einen Bikini darunter.«

      »Woher weißt du …?«

      »Keine Sorge. Ich habe keine Ganzkörperkontrolle durchgeführt. Eine Bö hob den Kittel, und so war der Bikini im Blick.«

      »Wie habt ihr euch geeinigt?«, fragte Röder.

      »Die Scooter warten nun auf dem Schiff auf die Rückkehr der Mädels. Und eben die habe ich zuletzt laut singend, Arm in Arm, mit einem weiteren Schnäpschen in der Hand auf der Hafenstraße gesehen«, berichtete Daniel.

      »Dann hoffen wir mal das Beste. Liegt bei dir sonst etwas an?«

      »Nein. Eigentlich nicht. Bis darauf, dass Meta Paulsen sich gemeldet hat. Jemand hat Pferdeäpfel an ihrer Fensterscheibe verschmiert.« Daniel Gebert zog einen Kaugummistreifen aus einer kleinen Plastikdose, die auf dem Schreibtisch lag, und schob ihn sich in den Mund.

      Michael Röder schüttelte sich innerlich. Beinahe hätte er dieses Döschen heute Morgen bereits entsorgt, wusste jedoch genau, dass das nichts nützte. Daniel hätte seinen Vorrat in Kürze wieder bereitgelegt. Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht verzog. Kaugummi hasste er, solange er denken konnte. Nein, nicht solange er denken konnte, sondern seit dem Tag, als er als Kind nichtsahnend in einen dicken Klumpen, der auf der Straße lag, hineingetreten war und verzweifelt versucht hatte, die klebrige Masse abzupulen. Letztendlich hatte seine Mutter die Reste mit dem Küchenmesser von der Sohle geschabt.

      Daniel schaute ihn freundlich an, aus seinem Mund drang leichtes Schmatzen, als er bestätigte: »Ja, ich weiß. Pferdeäpfel sind ekelig. Es war sicher einer dieser Kinderscherze. Soll ich hinfahren?«

      Sein Kollege hatte offensichtlich die Situation ein wenig falsch verstanden. Nicht die Pferdeäpfel waren der Grund für seinen Ekel gewesen. Irgendwann bald würde er mit seinem Kollegen darüber sprechen.

      »Mach das. Wer weiß, ob nicht etwas anderes dahintersteckt. Wenn sie sich schon bei uns meldet, kümmern wir uns«, erwiderte Röder.

      »Galerie Eiland, richtig?«

      »Genau. Meta Paulsen betreibt die Galerie, und dann ist da ihre Schwester Änne Paulsen. Die kümmert sich mehr um das Haus, wenn ich richtig informiert bin. Zwei nette ältere Damen.«

      »Ich bin schon unterwegs.«

      Ein feiner Kerl. Röder war froh, ihn bei sich zu haben. Trotz der blöden Angewohnheit mit dem Kaugummi. Von April bis Oktober musste sich der Inselpolizist alle paar Wochen an neue Gesichter gewöhnen. Es war klar, dass es unter seinen Kollegen, die ihn in der Saison unterstützten, nicht nur Sympathieträger gab. Aber wenn er zurückdachte, hatte er Glück gehabt. Beinahe alle hatten sich schnell an die Inselgegebenheiten gewöhnt und, er erinnerte sich gern, kein Problem damit gehabt, sich um die Reparatur der Diensträder zu kümmern. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Aber immerhin. Er hatte so gar kein Händchen dafür. Er liebte seine Arbeit. Meistens war es ruhig. Nur einmal im Jahr passierte etwas, das seine ganze Aufmerksamkeit und die seiner Kollegen verlangte. Da hatten die Kommissare am Festland mehr Unruhe. Wobei er wieder mitten im Thema war. Sein bester Freund, Hauptkommissar Arndt Kleemann aus Aurich, würde am Wochenende mit seiner Frau auf die Insel kommen, um, wie er sagte, richtig abzutanzen. Natürlich ging kein Weg daran vorbei, sich dieser Idee anzuschließen. Das hatte zumindest Sandra festgestellt. Röder war sich nicht ganz klar, ob er bereit war, seinem Freund zu verzeihen, aber es nützte nichts. Sein Umfeld wollte es so, und er kam da nicht raus. Dabei wäre er so gerne ans Festland gefahren, denn er hatte ein neues Hobby für sich entdeckt: seine Vespa. Ein warmes Gefühl durchlief ihn. Er hatte den Roller vor zwei Wochen bei eBay gefunden, als er auf der Suche nach einer Harley, dem Traum seiner Jugendzeit, war, und sich sofort verliebt. Am nächsten Tag war er mit dem Bus nach Norden gefahren, hatte sich die Maschine angesehen und mit Erlaubnis des Besitzers eine Probefahrt gemacht. Ohne lange zu überlegen, hatte er sie gekauft. Keinen Gedanken verschwendete er mehr daran, mit einem Affenzahn die Harzer Bergwelt aufzumischen, nie wissend, was hinter der nächsten Kurve auf ihn wartete. Stattdessen hatte er sich fest vorgenommen, auf der Primavera mit elf PS erst einmal Ostfriesland in Ruhe zu erkunden. Doch mit einem freien Tag hatte es bisher nicht funktioniert. So stand die Vespa in Neßmersiel in der Garage und wartete dringend auf Bewegung.

      Aber jetzt gab es anderes zu tun. Sein Chef, Müller, hatte ihn gebeten, nach einem jungen Mann zu schauen, der am Festland ein paar Brände gelegt hatte und eventuell auf Baltrum seit einiger Zeit untergetaucht war. Die Daten waren gerade hereingekommen.

      4

      Peter Wurzellage. Meta Paulsen lächelte. Diesen Namen würde sie sich nicht einmal als Künstlername zulegen. Es war 10 Uhr, also an der Zeit, die Ladentür zu öffnen. Wenn nicht jetzt, wann dann, waren Gäste auf der Insel, die ihre Galerie mit den monatlich wechselnden Ausstellungen zu schätzen wussten. Seit einer Woche war es eben Peter Wurzellage aus Brake, der seine Bilder zeigen durfte. Ihr gefielen seine Landschaftsbilder, Aquarelle vom Meer, von der Weser und der Seenlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Sonst hätte sie ihm auch nie den Platz in ihren Räumen zur Verfügung gestellt. Das Geschäft lief gut. Die Bilder waren erschwinglich, und sie bekam grundsätzlich 20 Prozent des Verkaufspreises ab. So war es geregelt. Wenn die Künstler nicht einverstanden waren, war eben nichts zu machen. Dann mussten sie sich einen anderen Ausstellungsort suchen. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stand schon ein Gast neben ihr und grüßte sie freundlich.

      »Darf ich mich umsehen?«

      »Natürlich. Dafür sind die Bilder hier«, erwiderte sie. Sie wunderte sich, dass Wurzellage noch nicht aufgetaucht war. Sie hatte ihn gebeten, heute im Laden zu sein, da sie in das Fest des Heimatvereins eingebunden war. Ebenso wie ihre Schwester Änne. Sie hatte sich für den Kuchenstand entschieden.

      »Lebt der Künstler noch?«, fragte der Gast.

      Sie nickte. »Ja. Herr Wurzellage aus Brake. Da kommt er auch schon.« Sie sah mit Erstaunen, dass der Mann mit dem Schlapphut und der blauen Lederjacke knapp lächelte, als er in die Galerie trat. So schön seine Bilder auch waren, meistens erlebte sie ihn in sich gekehrt, bisweilen sogar missmutig. Daher hatte sie auch eine Weile überlegt, ob sie ihn bitten sollte, auf den Laden aufzupassen, aber es war ihr als die beste Lösung erschienen. Auch wenn das Lächeln aus dem Gesicht des Mannes bereits wieder verschwunden war und sich die Falten des Missmuts über seine Augen gelegt hatten.

      »Hallo, Herr Wurzellage. Sie können Ihre Jacke ins Büro bringen. Ich gehe mal und lasse Sie mit dem Herrn hier allein. Bis Ladenschluss bin ich zurück.« Sie wartete kaum die Antwort ab, dann hastete sie in die Wohnung und begann, sich umzukleiden. Aus dem Augenwinkel sah sie Änne, die bereits den dunkelblauen langen Rock, die weiße Spitzenbluse und die beige Schürze trug. Dazu eine weiße Haube. Ob dies eine original ostfriesische Tracht war, wusste sie eigentlich nicht genau. Änne hatte sie nach Bildern aus dem Internet genäht, und Meta fand sie wunderschön. Sie selbst trug die Tracht, die die Frauen der Baltrumer Gitarrengruppe bei ihren Auftritten getragen hatten, bevor sie sich im Jahr 2010 aufgelöst hatten. Es gab damals keinen Nachwuchs mehr, und auch der Musikgeschmack veränderte sich. Sie wusste, dass die Tracht passte, denn hin und wieder hatte sie die Sachen aus dem Schrank geholt und angezogen. Dann hatte sie ihre Gitarre genommen, sich an einsamen Winterabenden ins Wohnzimmer