Sie mir«, rief er angespannt, »hier ist ein Notfall!«
»Sigmar?« Ulf stand vor ihm, das Gesicht schlagartig weiß und angespannt.
»Ruf den Notdienst«, stieß Sigmar hervor.
Nervös zog Ulf sein Handy aus der Hosentasche und gab die Meldung durch, dann steckte er es mit zitternden Fingern wieder ein. »Die Ärztin kommt.« Er zögerte einen kurzen Moment, dann fragte er: »Hast du mir nichts zu sagen? Das ist doch dein Lieblingsfeind da unten.«
»Er saß auf dem Stuhl, dann ist er runtergerutscht.«
»Aber warum? Hast du dafür gesorgt, dass …?«
»Aber …« Er kam nicht dazu zu antworten, denn wieder öffnete sich die Tür, und gleich darauf stand ein Polizist im Raum.
»Was ist hier los?« Seine Stimme klang scharf. »Treten Sie zurück!«
Sigmar stolperte beinahe über das Telefon, als er der Anweisung des Polizisten Folge leistete. »Es ist nicht so, wie Sie denken«, stotterte er.
»Ich glaube nicht, dass Sie wissen, was ich denke«, antwortete der Polizist nachdrücklich. »Die Ärztin und mein Kollege werden gleich hier sein. Solange bleiben Sie stehen, wo Sie sind. Beide.«
Sigmar merkte eine kolossale Wut in sich aufsteigen. Wieso war er immer der Blödmann? Selbst jetzt, da Wurzellage tot war, wenn er denn tot war – er hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, es genau festzustellen – gab es andere, die meinten, über ihn bestimmen zu können. »Wenn die Ärztin kommt, ist es gut. Dann kann ich gehen. Lassen Sie mich durch.«
»Sie bleiben, wo Sie sind. Wenn Sie das nicht verstehen, fixiere ich Sie auch gerne am Tischbein. Sie haben die Wahl!«
Was bildete sich dieser Kerl ein? Wie hieß der Kaugummi kauende Jungspund eigentlich? Er hätte sich zumindest mal vorstellen können. »Zeigen Sie mir bitte Ihren Dienstausweis!«
Der Polizist kam der Aufforderung sofort nach. »Daniel Gebert«, las Sigmar. Na gut. Wenigstens wusste er jetzt, wie er den Mann ansprechen konnte.
»Wie sind Ihre Namen?« Der Polizist nahm sein Handy aus der Tasche.
»Sigmar Benedikt. Und das ist mein Mann Ulf Martens.«
»Kennen Sie den Mann dort?« Gebert zeigte auf Wurzellage.
»Wir kennen ihn. Das heißt, mein Mann kennt ihn«, sagte Ulf. »Er kommt aus Brake, genau wie wir.«
Daniel Gebert horchte auf. »Die Ärztin ist da. Jetzt treten Sie zur Seite. Genau dorthin!« Er zeigte auf einen schmalen Flur, der vom Büro ausging. »Dort warten Sie auf meinen Kollegen.«
»Geht es auch etwas freundlicher?«, murmelte Ulf und schlurfte ganz langsam die drei Meter Richtung Flur, mit gesenktem Kopf an Sigmar vorbei. Der folgte ihm ohne Widerspruch.
6
Es hatte sich bereits eine sehr interessierte Menschenmenge vor dem großen Schaufenster versammelt, als Röder eintraf. Der Rettungswagen stand vor dem Eingang der Galerie, das hatte die Menschen wohl neugierig gemacht.
Daniel ließ ihn herein und informierte ihn mit knappen Worten über die Lage.
Röder rief Meta an und sie versprach, sofort zu kommen. Dann begrüßte er Ellen Neubert, die Ärztin, und die Rettungssanitäter. »Wie sieht es aus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Aber gib uns ein paar Minuten.«
»Wo sind die beiden Männer?«
Daniel deutete in den Flur. »Da stehen sie und warten. Ich habe sie dorthin gebeten, damit sie keine Spuren verwischen und aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden. Siehst du?« Jetzt zeigte er nach draußen. »Da hat schon einer sein Handy gezückt und macht Fotos.«
Tatsächlich. Röder konnte es mal wieder kaum fassen. Diese verdammten Gaffer! Er sprang auf, entriegelte die Tür und wandte sich resolut an die Leute, die neugierig in den Laden schauten: »Machen Sie, dass Sie fortkommen. Alle. Jeder Einzelne, der in zehn Sekunden noch hier ist, muss mit einer kräftigen Geldbuße rechnen, verstanden?«
Seine Warnung zeigte Erfolg. Nach kurzer Zeit waren alle, die ihre Nasen neugierig gegen die Scheibe gedrückt hatten, verschwunden.
»So, jetzt können wir.« Röder begrüßte die beiden Männer, fragte sie nach ihren Namen und warum sie auf der Insel waren.
»Unsere Namen haben wir Ihrem Kollegen bereits mitgeteilt. Aber gerne noch einmal: Ich bin Sigmar Benedikt und das ist mein Mann Ulf Martens. Wir sind seit gestern wegen der Partywoche hier und wollten eigentlich ein paar schöne Tage verbringen. Wir wohnen im Haus Emma bei Familie Flegel.«
»Warum waren Sie hier im Laden und was hat sich zugetragen, Herr Benedikt?«
Sigmar lachte. »Was will ich wohl in einer Galerie? Bilder gucken natürlich.«
»Und weiter?«
»Ich ging rein und grüßte. Mehrmals. Es antwortete niemand. Dann fand ich Herrn Wurzellage im Büro, und gleich darauf kam Ulf herein und rief Sie und die Ärztin an. Das war es schon.«
Röder stöhnte innerlich. Es gab Momente im Leben eines Polizisten, die er eigentlich nicht brauchte. »Sie haben meinem Kollegen gegenüber gesagt, dass Sie den Toten kennen, richtig?«, wandte er sich an Martens.
»Das stimmt. Mein Mann hatte, als er noch im Dienst war, eine Auseinandersetzung mit ihm. Beziehungsweise, er wurde von Herrn Wurzellage übelst beschimpft«, erwiderte Martens.
»Stimmt das? Sie kennen ihn?«, fragte er Benedikt.
»Ja. Er hat mich beschimpft. Allerdings wusste ich nicht, dass er hier seine Bilder ausstellte. Und wenn Sie jetzt meinen, ich hätte den Mann wegen seines Auftritts auf meiner Dienststelle umgebracht, irren Sie sich. Dafür hätte ich nicht nach Baltrum fahren müssen, das hätte ich auch in Brake erledigen können. Weniger auffällig.«
Röder war sich nicht sicher, ob diese Theorie greifen könnte. Im Gegenteil. War es nicht eine wunderbare Möglichkeit? Nur Benedikt und der Künstler allein im Laden? Wenn sein Gatte nicht aufgetaucht wäre, hätte kein Mensch erfahren, wie Wurzellage zu Tode gekommen war. Natürlich stand zunächst die Obduktion und damit hoffentlich eine genaue Eingrenzung der Todesursache an.
»Michael, wir sind durch.« Ellen Neubert deutete auf das Büro.
Röder stand auf und folgte der Ärztin zur Ladentür. »Wie ist deine Einschätzung?«, fragte er leise.
Sie zuckte mit den Schultern. »Er lebt nicht mehr. Klar. Aber aus welchem Grund, da lege ich mich nicht fest. Also haben wir eine ungeklärte Todesursache. Ein Genickbruch liegt ziemlich sicher vor. Woher die Verletzung stammt, sollen die Kollegen herausfinden. Ich für meinen Teil habe festgestellt, dass kein Leben in dem Mann ist.«
»Danke. Ich melde mich, wenn wir euch brauchen.« Röder nahm sein Handy und unterrichtete seinen Chef in Aurich von der Lage. Der versprach, umgehend den Kriminaldauerdienst auf die Insel zu schicken. Außerdem teilte Müller ihm mit, dass sich die Suche nach dem Brandstifter erledigt hatte. Er war auf frischer Tat beim Anzünden von Strohballen in einer Scheune in Dornum vom Bauern erwischt worden. Der Inselpolizist wandte sich wieder den beiden Männern zu. »Ich habe weitere Fragen an Sie. Ich muss Sie zu 16 Uhr auf die Wache bitten. Es wäre sinnvoll, wenn Sie dort erscheinen und nicht etwa auf den Gedanken kommen, die Insel zu verlassen. Mein Kollege wird Fingerabdrücke nehmen. Es ist nützlich, wenn Sie sich kooperativ zeigen.«
Martens verdrehte die Augen. »Herr Kommissar, wir haben verstanden. Allerdings – eigentlich brauchen Sie nur die von Herrn Benedikt, oder? Ich bin erst später erschienen.«
»Von Ihnen beiden«, erwiderte der Inselpolizist nur und nahm seine Kamera aus dem Spurensicherungskoffer. Es war sicher nicht verkehrt, schon einmal ein paar Eindrücke festzuhalten, auch wenn seine Kollegen vom Festland die Lage genauestens untersuchen würden. Doch ehe er mit der Arbeit beginnen konnte, hörte