Eva Holzmair

Der Verdrüssliche


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      Sie schaut vom Tablet auf zu Franz I. Stephan von Lothringen. Dieser zum Nichtregieren bestimmte Kaiser wusste, wie man Macht anhäuft. Ein Kapitalist mit vielen Interessen, aber vor allem lukrativen Geschäften, einem eigenen Parallelimperium, das es ihm erlaubte, dem Staat Geld zu leihen und den Grundstein für den Versorgungsfonds der Habsburger zu legen. Das hat Messerschmidt erkannt und dargestellt, nicht nur in der tradierten Haltung, sondern vor allem in den Gesichtszügen des Mannes. So sehen fokussierte Manager aus. Auch Wilfried hatte diese leicht brutalen Mundwinkel. Auch er sah sich als Herr über eine Welt, von der viele keine Ahnung hatten, und die, die davon wussten, schwiegen, sie eingeschlossen.

      Carola wechselt zurück zur Augusta Imperantibus, als die sich Maria Theresia selbstbewusst auf dem Nordgiebel der Schönbrunner Gloriette hatte eintragen lassen. Was für ein Unterschied! Das Gesicht, ja, das zeigt die Entschlossenheit einer Frau, die Friedrich von Preußen Paroli bieten musste. Der Kampf um Schlesien hatte bereits begonnen. Aber sonst? Carolas Blick fällt auf die schmale Taille der Dargestellten. Auch wenn hier die junge Maria Theresia am Tag ihrer Krönung zur Königin von Ungarn gezeigt wird, hat ihr Messerschmidt einen ungestüm unschuldigen Elan verpasst, der die Erfahrungen dieser Frau ausblendet. Mit ihren damals 24 Jahren hatte Maria Theresia bereits vier Kinder geboren, eines davon war verstorben. Sie war mittendrin in den Erbfolgekriegen, angezettelt von Männern, die ihren Regierungsantritt nach dem Tod Karls VI. nicht akzeptieren wollten. So spielerisch und mit tänzerischem Schwung, wie es Faltenwurf und Gehbewegung andeuten, konnte sie zu diesem Zeitpunkt weder als Frau noch als Herrscherin gewesen sein. Nur, was verstand Messerschmidt schon von Frauen! Allein, das tut der außerordentlichen Qualität der Statue keinen Abbruch. Carola wischt noch einmal übers Tablet, automatisch und ohne darauf zu achten, ehe sie es aus alter Gewohnheit wie ihre vormalige Aktentasche unter die Achsel klemmt und über die Prunkstiege hinauf in den ersten Stock des Oberen Belvedere geht.

      Zielstrebig marschiert sie zu einem barocken Tischchen, auf dem ein alter Gipsabguss des Verdrüsslichen steht. Der echte hätte die Sammlung grandios ergänzt. Warum, verdammt noch mal, haben ihn die Belvedere-Leute nicht gekauft? Und warum hat das Bundesdenkmalamt eine Ausfuhrbewilligung erteilt? Kopien von Messerschmidts Charakterköpfen gibt es viele. Um die vorletzte Jahrhundertwende standen sie auf den Kaminsimsen, Schreibtischen oder in den Eingangsnischen bürgerlicher Häuser. Die Originale waren in Museen und private Sammlungen gewandert, eine der größten davon die des Bronzewarenfabrikanten Josef Klinkosch. Er besaß die nahezu komplette Originalserie, nur, ob der Verdrüssliche darunter war, ist nicht gesichert. 1889 war das Jahr, als Klinkosch starb und seine Sammlung versteigert wurde. 1889. Carola blickt sich um. Jetzt hat sie doch glatt Applaus erwartet, weil ihr auch das eingefallen ist, aber die Museumswärterin schaut zum Fenster hinaus, und sonst ist niemand hier.

      Vielleicht haben es die Ungeheuer gar nicht auf ihr Gedächtnis abgesehen, sondern aufs Sprachzentrum? Oder den Sehnerv? Wenn Carola die Wahl hätte, würde sie … nein, nichts würde sie. Zwischen Skylla und Charybdis wird sie in jedem Fall aufgerieben. Skylla mit den sechs Hundeköpfen, die sich von der einen Seite durch ihren Körper frisst, und der Strudel der Charybdis, der von der anderen heranrollt. So geht das nicht! Sie wird ihrem Lungenkrebs und seinem Nachwuchs andere Namen geben. Schließlich muss sie mit dieser Kanaille noch ein kleines Weilchen leben. Wie wär’s mit Laurel und Hardy? Nein, das Bild mit den Ungeheuern stimmt schon.

      Aufhören! Sie ist hier, um das Hirn durchzuputzen, und nicht, um es zu belasten. Klare Gedankengänge will sie haben, keinen Irrgarten mit lauernden Monstern. Carola öffnet den gespeicherten Link zu den Provenienzangaben des Getty Museums. Dass da nahezu nichts stimmt, ist ihr schon heute Morgen aufgefallen. Korrekt ist bloß, dass der Verdrüssliche von Franz Xaver Messerschmidt geschaffen, von seinem Bruder übernommen und später an einen Mister Strantz weiterverkauft wurde. Der hieß doch Strunz, Franz Friedrich Strunz, nicht einmal das haben die Getty-Experten hingekriegt. Außerdem war’s nicht der Bruder, sondern dessen Tochter, die den Verdrüsslichen nebst allen anderen Charakterköpfen abgestoßen hat, aber bitte, es handelt sich immer noch um die gleiche Familie. Der Rest der Angaben ist allerdings fragwürdig. Wann hören die Fachleute endlich auf mit dem G’schichterl, dass der Verdrüssliche Ende des 19. Jahrhunderts vom Wiener Architekten Camillo Sitte erworben wurde? Dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis. Carola hat das mehrmals überprüft. Unter dem von Sitte initiierten Ankauf von zehn Alabasterköpfen durch die Wiener Staatsgewerbeschule war er dezidiert nicht, der Mann mit dem ungewöhnlich langen Nackenhaar. Einer der besten Charakterköpfe Messerschmidts, und diese Deppen ließen ihn ziehen! Das stinkt zum Himmel.

      - Schon wieder die!

      Carola sieht gerade noch, wie die jungen Leute von vorhin in den angrenzenden Saal hasten. Ist sie das Schreckgespenst, vor dem sie flüchten? Oder haben die Italiener, die nun hinter einem Fremdenführer hereindrängen, die beiden verscheucht? Übergangslos stimmt der Mann seine mit zahlreichen -issimo, -issima, -issimi durchsetzte Suada an, während die Menschentraube um ihn herum ständig wächst. Als die letzten versprengten Mitglieder seiner Gruppe eintrudeln, marschiert er bereits weiter, ohne den Gipsabguss, vor dem Carola steht, überhaupt erwähnt zu haben. Und dabei hätte sich diese Kopie durchaus einen Superlativ verdient, gibt sie doch recht gut das Original wieder, dessen verkniffenen Mund sie einst berührt hat.

      Carola hätte den Getty-Experten auch sonst einiges sagen können, nicht nur, bei wem der Verdrüssliche jahrelang im Salon stand. Erstmals gesehen hat sie ihn dort im Sommer 1962. Da hatte sie den Wiener Antiquitätenhändler bereits gut gekannt und geglaubt, er wäre ›ihr Wilfried‹. Dumme Gans! Carola spürt, wie ihre Stirn heiß wird, so sehr ärgert sie ihre damalige Naivität noch heute. Wie konnte sie nur annehmen, dass dieser Mann sie liebte, sie, die unbedeutende Studentin, die gerade an ihrer Doktorarbeit über barocke Gartenarchitektur schrieb. Sie wertete die Tatsache, dass Wilfried sie noch vor Studienabschluss im Bundesdenkmalamt unterbrachte, als Beweis für seine Zuneigung. Er hatte schon damals einen Plan. Einer wie Wilfried hatte immer einen Plan, suchte gezielt nach Subjekten und Objekten, die ihm nützlich sein konnten. Doch beim Verdrüsslichen haben andere den Reibach gemacht. 4,3 Millionen Euro war der Kopf den Amerikanern wert. Wilfried hatte ihn um einen Bettel gekauft. Waren es 8.000, 9.000 Schilling gewesen? Er hat ihr den Kaufbeleg einmal gezeigt, datiert mit August 1960. Die Verkäuferin hatte das Geld gebraucht. Dringend. Wilfried hatte es nicht gebraucht, er konnte warten. Das war sein Geschäftsmodell: kaufen, einbunkern und warten. Nur nicht zu viel herzeigen. Die Auslagen seines Geschäfts in der Wiener Innenstadt waren spartanisch geschmückt. Ein Ölbild. Zwei Leuchter. Mehr nicht. Im Laden einige Putti, eine Mappe mit Zeichnungen auf dem Biedermeiersekretär, vier oder fünf Gemälde an der Wand. Die Sammler und Museumsleiter kamen auch so. Ins Souterrain, wo die wahren Schätze lagerten.

      Carola klickt den Link zum Getty-Museum weg. Diesen Deal, den hast du nicht mehr über die Bühne gebracht. Bist zu früh gestorben, nur irgendjemand hat in deinem Sinn weitergemacht. Wer aller wurde hier betrogen? Und nun ist der Verdrüssliche außer Landes, raunzt in Los Angeles still vor sich hin, rümpft die Nase wegen der falschen Provenienzangaben. Wer hat den Getty-Leuten eingeredet, der Kopf wäre seit den 1920er-Jahren im Besitz deiner Familie gewesen? Dein Sohn? Die Stiftung? Du warst es jedenfalls nicht, hättest es aber kühl lächelnd getan, denn wer außer mir hätte widersprechen wollen und vor allem können?

      II.

      Zu Hülfe! Ich will nicht verrückt werden. Einmal vier Zoll nach links, dann wieder drei Zoll nach rechts, und Mamsell ist noch immer nicht zufrieden. Sie mustert mich, als ob ich etwas verbrochen hätte. Bähhhh! Nicht einmal bemerken tut sie meinen Verdruss, so beschäftigt ist sie, befehligt eine Riege starker Männer, die hinter ihrem Rücken die Augen rollen. Ahhhhh, endlich lassen sie ab von mir und gehen hinaus.

      Wie ruhig es plötzlich ist, nur die Frau noch hier. Nervös blättert sie in einer Mappe mit Skizzen. Na, meine Schöne, wie wär’s mit einer klitzekleinen Tändelei? Hm? Spürst du den zarten Hauch? Er ist anders als jener, den eure Air-Condition verströmt. Ach, mach nicht diese wegwerfende Handbewegung, weil dich ein ungewohnter Luftzug ablenkt. Ich könnte auch deine blonden Locken zerzausen, doch bilde dir bloß nichts darauf ein. An Ilonas Haarpracht kommen sie nicht heran. Nein, nein und abermalen nein. Nie wieder bin ich einer Frau mit derart dicken Zöpfen begegnet. Schwarzbraune