Eva Holzmair

Der Verdrüssliche


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Unser Tête-à-tête hat eben erst begonnen. Und du hast wieder nichts mitgekriegt, weil dir deine Mappe und das, was sie nun hereintragen, wichtiger sind als ich.

      - Not here, over there.

      Na, großartig! Hört denn dieses Herumgeschleppe nie auf? Ja, ja, schiebt mich nur wieder. Und die neuen Sockel dazu. Schön ist so ein Ringelspiel! Des is’ a Hetz und kost net viel … Das hat der Sepp der Marie ins Ohr gesummt. Und sie hat gelacht, wie allein die Marie lachen konnte. Hell mit diesem verführerischen rauen Ton, der stets mitschwang. Sie wusste, dass die Männer ihn heraushörten. Die Marie. Sie nahm und gab. Unterm Strich eine ausgeglichene Bilanz, hätte der Kommerzialrat gesagt. Doch es blieb nicht dabei. Autsch, einen Deut sanfter, wenn ich bitten darf!

      - Stop! That’s it. Now they can have a conversation.

      Was meinen gnädige Frau? Mit wem soll ich mich unterhalten? Die Sockel sind doch leer! Oh nein, was bringen sie denn nun? Bälle? Köpfe? Aus Pappmaché. Was in Dreiteufelsnamen wollen sie damit? Soll das etwa Kunst sein?

      - Belisarius opposite our Vexed Guy.

      Belisarius? Kann mir bitte jemand sagen, wer Belisarius ist! Mit dem soll ich reden? Wie stellen Mamsell sich das vor? Ich lasse mir nicht vorschreiben, mit wem ich konversiere. Ganz bestimmt nicht. Ich und verkleistertes Papier! Eine Impertinenz!

      Hm. Der Pappkopf ist also Belisarius. Soll das, was ihm vom Kinn runterhängt, ein Bart sein? Oder ist bloß zu viel Kleisterbrei übrig geblieben? Kein Vergleich mit unserer Truppe. Ausgeprägte Kinn-, Nasen- und Stirnpartien ja, aber keine Gesichtsbehaarung.

      - Closer!

      Oh nein, nicht schon wieder rücken! Und warum gerade zum Nebenmann links? Warum nicht nach vorne oder nach hinten?

      - Otherwise people won’t perceive the similarity.

      Ähnlichkeit? Also bitte, ich bin doch einzigartig, unverwechselbar.

      - Perfect! Here the Vexed Man’s wavy hair and there the lank strands of his counterpart, as if showing us a before and after of the same man. See what I mean?

      Ich sehe gar nichts, mein Blondschopf, es sei denn, ich drehte mich zur Seite … Hi Belisarius, ist der Pappkamerad von nebenan einer, der mir tatsächlich ähnlich schaut, nur nicht so schönes Haar hat? Was heißt, das kannst du nicht erkennen? Wegen des San Francisco Examiner? Ach so, für ihn haben sie den Examiner zu Kleisterbrei verarbeitet, nicht wie bei dir die Los Angeles Times. Beruhige dich, ich verstehe durchaus, was Qualität ausmacht, bin ich doch ein besonders eindrückliches Exempel: von Meisterhand aus dem Stein der Götter gehauen, nicht so eine kindische Bastelei wie du. Ach, sei nicht gleich beleidigt. Ich will mich bloß unterhalten. Seit sie unsere Gallery gesperrt haben, schauen keine Leute mehr vorbei, einzig die blonde Frau mit ihrer Entourage.

      Übrigens, ich kenne da eine Anekdote über einen eurer Schriftsteller. Mark Twain hieß er. Als er sich auf seiner Europareise in das Fremdenbuch eines Hotels eintragen wollte, las er, was der letzte Gast vor ihm geschrieben hatte: Baron von Blanck mit Diener aus Wien. Woraufhin er daruntersetzte: Mark Twain mit Koffer aus Leder. Hehehe. Ist das nicht lustig?

      …

      Nun denn, ich kann auch schweigen.

      III.

      Das Festnetztelefon läutet. Es ist Paul. Er wird heute Abend nicht kommen, erst morgen Mittag, weil er noch einen Termin hat.

      - Ich nehme die Swissair. Ankunft 11.50 Uhr. Aus Zürich. Merk’s dir!

      Gitta legt den Hörer auf, hat fast nur genickt, nicht gesprochen. Eine stumme Reaktion auf allzu Bekanntes. Selten genug wartet Paul ihre Antworten ab, die zumeist ohnedies ausbleiben, bestimmt lieber, was seines Erachtens geschehen soll. Gitta hat wieder einmal keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie muss Bernhard von einem Geburtstagsfest abholen. An sich kann Bernhard recht gut allein nach Hause gehen, aber von Kinderpartys ist er abzuholen, denn es schickt sich, ein paar Dankesworte an die Gastgeber zu richten. Eine dieser Regeln, mit denen Paul aufgewachsen ist, doch Paul ist nicht da, um sie zu befolgen. Und Gitta tut es gut, zwischendurch hinauszukommen, weg von der Staffelei. Einer der Punkte auf der täglichen To-do-Liste.

      Als Gitta kurz darauf die fremde Wohnung betritt, kann sie Bernhard in dem Gewühl nicht gleich ausnehmen. Sie kreuzt die Arme vorm Oberkörper, um das beklemmende Gefühl in ihrer Brust wegzudrücken. Hilfesuchend schaut sie sich um. Papierschlangen fliegen durch die Luft. Eine bleibt an Gittas Pulli hängen. Unwillig reißt sie an dem bunten Papierstreifen. Endlich entdeckt sie Bernhard in einem Knäuel balgender Buben. Sie zerrt ihn hoch, doch er will bleiben, weil es gerade so schön ist.

      - Na gut. Aber nur fünf Minuten. Nicht mehr. Verstanden?

      Um die Zeit zu überbrücken und vor allem um dem Geschrei zu entkommen, bietet Gitta der hektisch hin- und hereilenden Mutter des Geburtstagskindes ihre Hilfe an.

      - Nicht nötig. Machen Sie es sich gemütlich!

      Gitta verzieht den Mund, wendet sich ab von angebissenen Krapfen, zerbröselten Keksresten, verschmiertem Ketchup und nimmt auf dem äußersten Rand einer Couch Platz, die mit Kinderrucksäcken, Jacken und Mänteln vollgeräumt ist. Die Gastgeberin begreift. Vielleicht doch helfen, das Geschirr in die Küche tragen. Essen eh nicht mehr, die Kleinen. Die Küche? Dort drüben links. Einfach irgendwo abstellen. Zwischen johlenden Kindern schleppt Gitta leere Plastikflaschen, Gläser, Tassen und Teller. Der Wirbel verfolgt sie bis in die Küche. Ein Kind jault auf. Bernhard! Maxi hat ihn in den Bauch getreten. Warum?

      - Der Berni hat …

      - Nein, der Maxi …

      - Du lügst!

      Bernhard ist nun bereit, das Fest zu verlassen, weil es nicht mehr schön ist und außerdem andere Mütter und ein Vater in der Tür stehen, um ihre Kinder abzuholen. Er ist somit nicht der Einzige, der fort muss. Nichts wie weg von hier! Hoffentlich hat sie den Anruf des Galeristen nicht überhört. Sie schaut aufs Handy: keine Nachricht.

      Auf dem Heimweg vernimmt sie Bernhards Geplapper nur undeutlich. Seine helle Stimme kann den Nachhall des Kinderlärms nicht durchdringen. Erst, als er empört ausruft – Mama, du hörst gar nicht zu! –, lässt das ständige Summen in Gittas Ohr und dieses schwammige Gefühl im Kopf nach.

      - Entschuldige! Ich war mit meinen Gedanken woanders.

      - Das bist du immer.

      Schweigend setzen sie den Heimweg fort, biegen in die schmale Gasse ein und betreten das alte Gründerzeithaus mit dem schmiedeeisernen Treppengeländer. Gitta blickt auf den gesenkten Wuschelkopf ihres Sohnes. Zu Fuß oder Lift? Zu Fuß, lacht er und flitzt los. Sie hinterher. Natürlich wird er das Rennen gewinnen. Erster, schreit er ihr entgegen, als sie außer Atem zur massiven Flügeltür im dritten Stock sprintet. Bernhards Stimme, die hört Gitta gern, egal, wie laut, es macht ihr nichts aus. Bernhard ist die Ausnahme, die große. Trotzdem legt Gitta den Finger an den Mund, bevor sie aufsperrt. Mit Blick auf die Nachbartür gluckst Bernhard in beide Hände und stakst mit übertrieben ausholenden Schritten ins dunkle Vorzimmer. Während er auf dem Boden sitzend die Schuhe auszieht, fragt er:

      - Musst du noch den Papa abholen?

      - Nein, er kommt erst morgen.

      - Wann?

      - Zu Mittag.

      - Aber er wollte doch zur Lehrerin gehen!

      Richtig, auch das noch! Bernhard ist ein schlechter Schüler. Morgen um neun will die Lehrerin einen Elternteil sprechen. So steht es im Mitteilungsheft. Einen Teil fordert sie an, nicht das Ganze. Paul wollte diesen Part übernehmen. Wie immer. Denn das gehört nicht zu ihrer Agenda. Nur Paul wird erst um 11.50 Uhr landen. Merk’s dir!

      - Dann geh eben ich.

      - Sicher?

      - Ja.

      Nein. Aber hat sie eine Wahl? Sie wird das schon schaffen, ihren morgigen Aufgabenbereich erweitern und Paul damit überraschen. Nachdenklich steht Bernhard auf und trottet in sein Zimmer. Gitta will noch etwas sagen, ihren