Patricia Brandt

Imkersterben


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für ihren Sekt gehabt. Warum hatte sie sich zurückgehalten? Sie würde in Zukunft mehr darauf achten, nicht mehr zu kurz zu kommen. Tilda schielte in ihren Becher und stellte fest, dass er dringend nachgefüllt werden musste. Kurz entschlossen goss sie sich großzügig nach. Hortense nahm keine Notiz davon. Sie war damit beschäftigt, »Gerrit-Maus« leidenschaftlich durch die Haare zu fahren. Er sah inzwischen aus, als wäre er rückwärts durch die Dünenrosen an der Strandpromenade gekrochen.

      »Du kannst dir nicht vorstellen, was wir inzwischen alles nachweisen können! Allein die ganzen Pestizide! Wir prüfen den Honig heutzutage auf mehrere Hundert verschiedene Substanzen.« Das klang arrogant. Gerrit schien ein kleiner Wichtigtuer zu sein und sie bekam plötzlich Lust, den Rotfuchs zu provozieren.

      »Ich wette, es gibt eine Methode, euch auszutricksen.«

      Gerrit reagierte heftiger als erwartet: »Ausgeschlossen!« Dann lehnte er den zerzausten Kopf an Hortenses Busen und räumte ein: »Na, okay. Eine Möglichkeit gäbe es. In dem Fall könnte es passieren, dass wir mal was übersehen.«

      Neugierig lehnte sie sich vor: »Und die wäre?«

      Gerrit grinste schief: »Das darf ich dir leider nicht verraten.«

      Bevor sie nachhaken konnte, wurde sie von trauriger Gothic-Musik aus Hortenses Handy unterbrochen. Gerrit legte den Arm um seine Freundin und zog sie hoch. Dann lief das Paar Hand in Hand zwischen den Strandkörben hindurch Richtung Meer. Die Fransen des Kleides flogen wieder um Hortenses Schenkel, als sie sich plötzlich umdrehte und rief: »Komm, Tilda. Wir gehen alle schwimmen!«

April

      Oke

      Ein Kleinwagen hatte sich auf der Landesstraße 165 überschlagen. Der Fiat lag schräg am Straßenrand. Herabhängende Zweige einer knorrigen Kopfweide kratzten im Wind über den Lack.

      Die Straße war an diesem frühen Aprilmorgen in Dunkelheit gehüllt. Abgesehen von dem unnatürlich blauen Licht, das vom Polizeiwagen ausging. Das Blinken spiegelte sich in blicklosen Pupillen. Oke stieß den leblosen Körper auf dem Asphalt mit dem Fuß an: »Arme Sau.«

      Hinter ihm widersprach eine dünne Fistelstimme: »Das ist keine Sau, sondern ein Keiler.« Oke brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer dort stand: Kurt Tietjen, Hohwachts neuer Revierförster. Die Kollegen aus Lütjenburg mussten ihn zur Unfallstelle gerufen haben. Dammi noch mal to!

      Tietjen gehörte zu den Menschen, die einem durch bloße Anwesenheit den Tag verderben konnten. Was zum Beispiel sollte dieser Spruch? Als ob er nicht wüsste, dass eine Sau keine Hauer hatte. Aber er hatte keine Lust, sich von diesem Gernegroß belehren zu lassen. Er konnte eine arme Sau nennen, wen er wollte.

      Oke verlegte sich auf grimmiges Starren. Eine Kunst, die er seit seiner Geburt beherrschte, wie seine Mutter nicht müde wurde zu betonen. »Ich meine ja nur: Nicht, dass du in deinen Polizeibericht was Falsches schreibst«, beharrte Tietjen auf seinem Hinweis. In seinem Ton lag etwas Unverschämtes. Grimmiges Starren reichte bei dem Förster nicht.

      »Verdammig! Tietjen! Meine Berichte sind immer richtig!« Oke schnaufte wie ein Stier in einer spanischen Arena, was zum Teil an seiner verstopften Nase lag. Um diese Jahreszeit hatte die Grippe die Hälfte der Hohwachter fest im Griff.

      Oke blickte erneut zum Kleinwagen hinüber, wo sein Kollege Vincent Gott mit dem benommen wirkenden Fahrer stand. Gott, ein 36-jähriger, unverschämt gut aussehender Kripobeamter mit Hipster-Bart, Männer-Dutt und jeder Menge Markenklamotten, hatte sich von Köln nach Schleswig-Holstein versetzen lassen. Dass Oke seither Kölsches Kauderwelsch entschlüsseln musste, dafür hatte die Deutsche Post gesorgt: Gott hatte nämlich im Glücksatlas des Unternehmens gelesen, dass an der Ostsee die glücklichsten Menschen Deutschlands lebten.

      »Et kütt wie et kütt. Un et hätt noch immer jot jejange«, hörte er den Kölner gerade einen seiner Lieblingssprüche aufsagen. Adressat war das Unfallopfer, das nun Hilfe suchend in Okes Richtung schaute. »Es kommt, wie es kommt, und es ist noch immer gut gegangen«, rief Oke hinüber. Wenn noch mehr Rheinländer dem Ruf der Deutschen Post folgten, könnte er sich seinen Chefs bald als Dolmetscher anbieten.

      Der Unglücksfahrer, dessen Gesichtsfarbe man bestenfalls als grau beschreiben konnte, fand offenbar überhaupt nicht, dass alles gut ausgegangen war. Mit schreckgeweiteten Augen deutete er auf seinen Wagen. Der Fiat sah aus, als wäre eine ganze Rotte Wildschweine darüber getobt.

      Dabei hatte der Mann Glück im Unglück gehabt. Ein Wildunfall konnte für den Fahrer tödlich enden. Die Wucht, mit der beispielsweise ein Hirsch auf ein 60 Stundenkilometer fahrendes Auto prallte, entsprach mit fünf Tonnen dem Gewicht eines ausgewachsenen Elefanten. Wie wäre es da erst bei diesem extrem großgewachsenen Wildschwein?

      Besonders viele Unfälle ereigneten sich in der Zeit von September bis Januar, weil sich die Tiere in der Brunft befanden. Sie liefen oft völlig unkontrolliert auf die Straße. Jetzt war April, trotzdem gab es Wildunfälle. Dieser Tage hatte er den Eindruck, als gäbe es seit dem Winter nichts anderes mehr zu tun, als Unfallstellen zu sichern.

      Immerhin hatte ihm der Unfall ein Präparationsobjekt beschert. Und was für eins. Oke sah das Tier schon auf seiner Werkbank. Ein prächtiger Wildschwein-Vorleger-Kopf! Gleich nach Feierabend würde er den Schädel auskochen.

      Obwohl, das ging nicht: Seine Frau Inse veranstaltete ja ihren Mädelsabend. Dann säße sie wieder mit Wencke Husmann und ihrer neuen Freundin Tilda Schwan in der Küche und probierte unwahrscheinliche Rezepte aus. Bis zu ihren Treffen hatte Oke jedenfalls nie davon gehört, dass man Kohlrabi grillen konnte. Die Küche war für ihn allein schon zu klein. Mit Inse und ihrem Besuch würde er sich wie in einer Besenkammer vorkommen. Außerdem würden sich die Frauen garantiert beklagen, wenn er zwischen ihnen mit der Knochensäge herumfuhrwerkte. Den Küchentisch bräuchte er eigentlich sowieso komplett für seine Zwecke.

      Dann eben morgen Abend. Gern hätte er das Vieh im Kofferraum verstaut, aber dazu könnte er Gotts Hilfe gebrauchen. Und der textete immer noch das Unfallopfer zu. »Nix bliev, wie et wor«, hörte er den Kollegen sagen. Und als er den angeschlagenen Fahrer in die Wärmedecke hüllte: »Nehmen Sie die Decke. Jetz maache mer et wärm.« Wie konnte man nur so viel sabbeln? In Ostholstein waren die Menschen um einiges wortkarger. Oke hoffte, der Kollege würde sich bald umgewöhnen.

      Dann versuchte er, Gott durch Handzeichen auf die arme Sau aufmerksam zu machen.

      »Der Keiler bleibt, wo er ist – sonst machst du dich der Wilderei schuldig«, meldete sich Tietjen zu Wort. Dieser Striethammel ging wirklich keinem Ärger aus dem Weg.

      Oke taxierte den drei Köpfe kleineren Mann. Sein stechender Polizistenblick hatte weitaus härtere Burschen einknicken lassen. Mit Genugtuung registrierte Oke, dass jetzt zumindest die Feder an Kurts Jägerhut zitterte. Eventuell lag das aber doch nur am Fahrer eines Audi TT, der in diesem Moment mit mindestens 150 Klamotten über die Landesstraße bügelte.

      »250 Euronen und du kannst den Keiler haben«, stieß Tietjen hervor. 250 Euro. Viel Geld für einen Polizisten. Zumal Inse einen Bienen-Spleen entwickelt hatte, seit sie sich mit dieser Tilda Schwan angefreundet hatte. Tilda hielt Bienen, und Inse hatte sich sogar schon einen Imkeranzug im Internet bestellt. Kostenpunkt: 129 Euro.

      »Ich bin Polizist, nicht Krösus«, hatte er beim Abendbrot gemurrt. Aber sie hatte gemeint, dass sie mit ihrem Job bei der Fewo-Agentur schließlich selbst Geld verdiene. Sie übernahm dort neuerdings zwei Tage die Woche den Telefondienst und vermittelte exklusive Ferienappartements an Urlauber. »Wir brauchen auch noch ein Refraktometer«, war sie ungerührt fortgefahren. Wieso wir? Er wusste nicht mal, was das war: ein Refraktometer. »Damit misst du den Wassergehalt des Honigs«, hatte Inse ihm daraufhin erklärt und in ihr mit Brunnenkresse belegtes Dinkelbrot gebissen.

      »Aber wir haben ja noch nicht mal Bienen«, hatte er eingewandt. Da hatte sie ihn traurig angesehen. Und ihm war eingefallen, dass er ihr die Bienen schenken sollte – zum Hochzeitstag.

      Inse hatte sogar schon Bienenvölker reserviert. Bei ihrer Freundin Tilda Schwan aus dem Nixenweg.

      In Kürze sollte