Patricia Brandt

Imkersterben


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auf der Suche nach einem Wurm raschelte ganz dicht neben ihr im Laub. Das Tier schien sich nicht an ihrer Anwesenheit zu stören. Tilda hatte sich den Imkeranzug angezogen und stand nun hinten im Garten ihres Hauses am Nixenweg bei den Bienenkästen.

      Viel Zeit hatte sie nicht. In zwei Stunden sollte der neue Sargbaukursus beginnen. Doch sie wollte die ersten Völker möglichst vor Kursbeginn kontrollieren. Sie besaß inzwischen so viele Völker, dass ihre Durchsicht eine ganze Weile in Anspruch nahm, und gerade jetzt war es wichtig, die Bienen im Blick zu behalten. Schließlich begann im Mai die Schwarmzeit.

      Wenn es den Bienen im Frühsommer zu eng wurde im Stock, flog die alte Königin mit der Hälfte des Volkes auf und davon. Sie würde eine neue Bleibe für den Schwarm suchen, die Höhle eines Spechts vielleicht oder einen Spalt im Dach eines alten Bauernhauses. Doch Tilda konnte es sich nicht leisten, Bienen zu verlieren. Je weniger Bienen, desto weniger Honig, desto weniger Geld hatte sie in der Börse.

      Deshalb achtete Tilda peinlich genau darauf, ob sich eines der Völker auf den Abflug der alten Königin vorbereitete, indem es eine neue Königin in einer besonders großen Weiselzelle heranzog. Die alte Königin verließ ihr Volk nie, ohne Ersatz zu hinterlassen. Deshalb drückte Tilda eilig alle Weiselzellen, die sie finden konnte, mit dem Daumen platt.

      Scheinbar ziellos liefen die Bienen auf den Waben herum. Doch Tilda wusste, dass die Bienen im Gegenteil nach ihrem eigenen Plan lebten: Sie würgten den gesammelten Nektar aus und gaben ihn an andere Bienen weiter. Diese wiederum fütterten damit die Brut. Es gab viele Aufgaben im Stock. Und das Tolle, fand Tilda: Jede Biene übernahm im Laufe ihres Lebens einmal jeden einzelnen dieser Jobs. Bienen hatten den Menschen in vieler Hinsicht etwas voraus.

      Ihre Völker hatten sich toll entwickelt. Es gab viel Nachwuchs. Sie sah winzige weiße Stifte und dickere Streckmaden. Die Zahl der Bienen würde in den nächsten Tagen und Wochen explodieren. Bis zu 50.000 Bienen konnten in einem Stock leben.

      Tilda steckte das Holzrähmchen mit der Bienenwabe wieder in den Kasten. Sie hatte auf den letzten beiden Waben noch drei Weiselzellen gefunden und zerstört. Höchste Zeit, den Bienen mehr Platz zu bieten: Deshalb holte sie einen zweiten Holzkasten, den sie auf den ersten Bienenkasten stellen wollte.

      Sie hatte die schwere Zarge schon an zwei Kanten aufgesetzt, als es knackte. Unbeabsichtigt hatte sie beim Herablassen des Kastens eine Biene zerteilt. Während der Hinterleib im Kasten blieb, fiel der vordere Teil mit dem Kopf ins Gras. »Sorry«, entschuldigte sich Tilda. Sie fühlte sich immer mies, wenn solche Unfälle passierten.

      Wenn sie an den Bienen arbeitete, vergaß sie oft alles um sich herum. Tilda nahm den Deckel vom nächsten Kasten ab. Auch hier wimmelte es von emsigen Bienen. Sie streifte die Insekten mit geschultem Blick. Tilda schätzte ihre Größe auf 13 Millimeter, ihr fielen keine Deformierungen an den Flügeln auf. Auch dieses Volk schien gesund zu sein.

      Gab es zu wenig Nahrung, blieben die Bienen klein. Schuld waren die Landwirte mit ihren Monokulturen. Ihre Gedanken sprangen von öden Maisfeldern zur geistlosen Sandy Ahrens. Die zweite Vorsitzende des Kleingartenvereins »Glückliche Gartenfreunde« verlangte aktuell, dass sie ihren Honigbienenstand im Schrebergarten aufgab. Was natürlich nicht infrage kam!

      Sandy Ahrens glaubte irrigerweise, dass die Honigbienen den Wildbienen bei der Nahrungssuche Konkurrenz machten. »Aus ökologischer Sicht wiegt der Verlust unserer Wildbiene wesentlich schwerer als der der Honigbiene«, stand in dem Schreiben, das ihr Sandy Ahrens persönlich in den Briefkasten geworfen haben musste. Jedenfalls klebte keine Marke auf dem Umschlag. Als letzten Satz las sie: »Deshalb ist Honigbienenhaltung zum Schutz der Wildbienen ab sofort auf dem Vereinsgelände verboten.«

      Sie würde sich so bald wie möglich um dieses Problem kümmern: Wenn diese Honigbienenhasserin nämlich nicht nur ihren Stellvertreter Hans Wöhlers, sondern den gesamten Vereinsvorstand auf ihre Seite zog, musste Tilda für knapp 20 Völker einen neuen Standort suchen. Und wo sollte sie mit ihnen hin? Hier am Nixenweg ging es nicht. Hier standen bereits 18 Völker. Und auch auf dem Golfplatz war das Limit mit 22 Völkern erreicht. Immerhin brauchte jedes Volk mindestens zwei Kilo Nektar am Tag. So viele Blüten gab es dann an den einzelnen Standorten auch wieder nicht. Und weiter als drei Kilometer flogen Bienen selten für die Nahrungssuche. Falls doch, würden sie wegen des Energieverbrauchs keine anständige Menge Honig zusammenbekommen. Eine vertrackte Situation.

      Wie spät war es eigentlich? Tilda legte den Deckel auf den Bienenstock, den sie zuletzt durchgesehen hatte, drehte sich weg und zog ihren Anzugärmel hoch. Auf ihrer blassen Haut blitzte das Uhrenglas im fahlen Licht des Morgens auf. »So spät schon!«

      Sie musste sich jetzt wirklich sputen. Die ersten Teilnehmer des Kursus kämen in wenigen Minuten. Der Kursus lief nicht schlecht. Zumindest bei den Einheimischen kam er an. Schade, dass sie die Kursgebühren nicht gleich etwas höher angesetzt hatte.

      Sie hoffte, dass sich künftig mehr Touristen anmeldeten. Fischbudenbesitzerin Wencke Husmann hatte ihr freundlicherweise gestattet, einen weiteren Aushang am Fischhus zu machen: »Finales Ferienglück: Bau deinen Sarg in drei Urlaubstagen«.

      Noch hielt sich das Interesse auswärtiger Gäste in Grenzen. Wencke Husmann mutmaßte, das könne mit dem Transportproblem zusammenhängen: Nicht jeder hatte einen Dachgepäckträger für den Selbstbausarg.

      Aktuell dachte sie darüber nach, eine Bauanleitung für einen Klapp-Sarg auszutüfteln, den die Teilnehmer im Kofferraum verstauen konnten.

      Ihr handwerkliches Geschick hatte sie von ihrem Vater geerbt, einem Tischler, der schon lange unter der Erde lag. In einem gekauften Sarg, der viel Geld gekostet hatte. Das Selbermachen sparte. Auch beim Imkern. Bienenkästen und Holzrähmchen baute sie selbst, statt sie fertig zu kaufen.

      Seit sie einen Fernsehbericht über das Bienensterben gesehen hatte, hatte sie Feuer gefangen. Inzwischen war das Imkern zu ihrer Herzensangelegenheit geworden. Tilda war eine Tierfreundin durch und durch, und für sie stand fest, dass sie ihren Teil für die Umwelt leisten wollte. Die Beschäftigung mit Bienen hatte zudem einen schönen Nebeneffekt: Sie lenkte ab, wenn einen der Ehemann mit einem Berg Rechnungen für ein marodes Haus und einen kaputten Wagen sitzen ließ. Außerdem interessierten sich Bienen, anders als Konrad, nicht für die Hinterteile von Plus-Size-Models. Es sei denn, diese setzten sich direkt auf sie drauf.

      Seit sich Konrad, Immobilienmakler mit attraktivem, kantigem Gesicht und vom Heimtrainer gestählten Muskelpaketen, in die Tochter des neuen Försters Kurt Tietjen verliebt hatte, wusste sie, was es hieß, auf sich allein gestellt zu sein.

      Sie würde sich nicht unterkriegen lassen und beschloss, dem Kleingarten-Vorstand den Artikel zu kopieren, den die örtliche Zeitung über ihr Engagement beim Golfverein gedruckt hatte. Den Bericht kannten die Kleingärtner vermutlich schon, aber egal. Der Beitrag war ein einziger Lobgesang auf ihr Blühstreifenprojekt für eine neue Insektenvielfalt an Bahn 4 gewesen. Der Artikel berichtete, dass sie mit ihrem Bruder Toni, dem Greenkeeper des Klubs, Obstbäume gepflanzt hatte. Es handelte sich um eine Spende der örtlichen Baumschule. Dazu hatten sie zwei Kofferraumladungen mit Pflanzen von privat organisiert.

      Der Golfplatz glich nun bereits früh im Jahr einem Blütenmeer. Schneeglöckchen, Märzenbecher, Winterling, Lungenkraut und noch viele andere Arten hatten sie in die Erde gebracht. Sie und Toni, den Konrad ihren »kleinen Sklaven« nannte, obwohl das totaler Quatsch war. Toni half ihr freiwillig.

      Es klingelte durchdringend. Erst jetzt realisierte sie, dass ihr eigenes Telefon läutete. Das Ringen kam ihr drängend vor.

      Hastig eilte sie über die Rasenfläche in Richtung des Hauses. Schnell zog sie sich mit den Zähnen die Lederhandschuhe von den schwitzigen Fingern und öffnete den Reißverschluss am Kopfteil des Imkeranzugs, um den Schleierhut herunterzuziehen. Ihr Pony klebte an der Stirn.

      »Tilda Schwan!«, meldete sie sich atemlos.

      »Ach, gut, dass du da bist, Tilda.«

      Natürlich erkannte sie Tonis raue Stimme. Toni war ein paar Jahre älter als sie und hatte sich nach seiner Gärtnerlehre zum Greenkeeper weitergebildet. Mittlerweile verfügte er über ein enormes Spezialwissen zur Pflege von Rasenflächen.

      Als