Ханс Фаллада

Heute bei uns zu Haus


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das Stroh, schließlich das Wasser – denn das Sauerfutter ist naß, und vielleicht bringt der Durst die Olsch dazu, es zu fressen.

      Nichts! Sie fischt eher nach jedem verlorenen Strohhalm ihrer Streu, den sie noch vor fünf Tagen nicht angesehen hätte. Manchmal, wenn der Hunger gar zu groß wird, nimmt sie ein paar Stengel Sauerfutter ins Maul. Sie priemt zögernd darauf herum, dann reißt sie das Maul auf, die Stengel fallen zur Erde, und sie brüllt, sie brüllt herzzerreißend.

      Ihre Seiten sind schon eingefallen, der Milchertrag ist von zwanzig auf vier Liter heruntergegangen, und noch immer kein Nachgeben! Vielleicht wird sie morgen überhaupt keine Milch mehr haben, und was mache ich mit einer Kuh ohne Milch? Anderes Futter? Aber wir leben im Kriege, wir stehen am Ausgang eines harten Winters – niemand hat Futter abzugeben! Und da, in den beiden Säuregruben, ist Futter für fast ein Vierteljahr, es reicht, bis Grün genug auf Wiesen und Koppeln ist! So war es ausgerechnet, und nun will die Olsch anders rechnen!

      Sieh es doch ein, Olsch, ich kann dir nicht helfen, du mußt das Sauerfutter fressen! Oh, dieses herzzerreißende Brüllen! In einem größeren Stall ist so was kein Problem: unter fünfzig Kühen, ja, schon unter zehn findet sich immer eine, der das Sauerfutter von Natur schmeckt. Darin sind die Kühe wie die Menschen: sie machen nach, was ihnen eine vormacht. Aber meine Olsch hat keine, die's ihr vormacht, sie muß es sich selber vormachen, und grade das will sie nicht!

      Natürlich sind auch die Kinder aufgeregt, das Brüllen ist in ihrer Stube nicht zu überhören. Alle Augenblicke kommt eines: »Papa, hat die Kuh jetzt gefressen?«

      Ich bin sehr ungnädig: »Ach, laß mich zufrieden! Das hörst du doch wohl, daß sie nicht gefressen hat!«

      Und mein armer alter Futtersmann! Er ist schwer zuckerkrank, solchen Aufregungen ist er nicht mehr gewachsen. Ich finde ihn in einem Winkel zwischen Holzfeimen und Torfmull. Er hat die Hände gegen die Ohren gepreßt und starrt pieplings vor sich hin. Von meinem Kommen hat er nichts gemerkt. »Se fret nich, se fret nich!« jammert er mit seiner hohen alten Fistelstimme vor sich hin. »Lewe Herrgott, giv, dat se hüt fret! Mach doch zu, lewe Herrgott!«

      Heute nacht bin ich von dem Gedanken (und von dem Gebrüll) wachgeworden, ich könnte mit dem Saatgut angeschmiert sein. Es waren vielleicht gar keine Süßlupinen, es waren vielleicht bittere Lupinen. Dann hätte die Olsch recht: bittere Lupinen darf man auch einer modernen Kuh nicht zumuten.

      Der Gedanke ließ mir keine Ruhe. Im Bademantel, mit nackten Beinen, schlich ich zum Stall hinüber. Der Mond stand klar am Himmel, es ist der 31. März. Wir haben wieder fünf Grad Frost, noch immer läßt der Frühling auf sich warten. Noch kein Samenkorn in der Erde, noch keine Furche gepflügt! Sorgen. Sorgen. Durch eine dünne Wand von mir getrennt, brüllt die Kuh. Es klingt erschütternd in der Nachtstille. Ja, ich weiß, du hast Hunger, Olsch, ich würde dir gerne helfen. Jetzt fresse ich erst mal dein Sauerfutter, ich mache es dir vor, Olsch, ich, die Krone der Schöpfung!

      Es schmeckt gar nicht unangenehm, schwach säuerlich, ein bißchen salzig. Nicht die Spur von Bitterkeit, mit dem Saatgut bin ich nicht angeschmiert. Du hast unrecht, Olsch! Du mußt nachgeben, dazu bist du verpflichtet, nach allen Fütterungsregeln und nach der ganzen modernen landwirtschaftlichen Wissenschaft!

      Ich liege wieder im Bett. Das ungewohnte Sauerfutter grummelt und brummelt in meinem Magen. Mit dem Schlaf wird es wohl nicht mehr viel. Ich überlege, wie lange wir es wohl noch so aushalten, die Olsch und ich. Beinahe möchte ich ein Stoßgebet zum Himmel senden, wie mein alter Futtersmann. Ist man ganz hilflos, erinnert man sich wieder, wie schön es doch damals war, als man noch ungläubiggläubig beten konnte: »Lieber Gott, ich weiß, ich habe dreizehn Fehler im Extemporale. Mach doch bitte, daß es nur fünf sind, ja? Sonst kriege ich eine Vier!« –

      Seit ich als sehr junger Mann Elevendienst auf einem thüringischen Rittergut tat, habe ich eine aufrichtige Vorliebe für Kühe. Da der Zug, der unsere Milch zur Stadt brachte, morgens um sechs Uhr fuhr, fing das Melken schon um drei Uhr an. Ich hatte die Aufsicht über das Melken, und so mußte auch ich jeden Morgen, alltags wie sonntags, um drei Uhr morgens im Stall sein.

      Völlig verschlafen kam ich aus dem warmen Bett in den warmen Stalldunst. Am liebsten hätte ich mich zwischen zwei Kühen ins Stroh gehauen und hätte weitergeschlafen. Aber das ging nicht. Ich war Aufsichtsperson, ich hatte die Stallschweizer zu ordentlichem Melken anzuhalten.

      Sie waren nicht weniger verschlafen als ich, und oft waren sie geneigt, ihre üble Laune an den Kühen auszulassen. Dann hallte der ganze Stall von unserm Geschimpfe wider, dazu brüllten die Kühe aus voller Kraft. Sie sehnten sich nach ihrem Futter, das erst gegeben wurde, wenn ausgemolken war.

      Ich hatte Stichproben zu machen: ich hockte mich unter eine Kuh und strippte das Euter nach, ob die Schweizer auch den letzten Rest Milch ausgemolken hatten. Oder ich jagte nach den Katzen. Zur Melkzeit war der Kuhstall das Stelldichein sämtlicher Gutskatzen. Aus allen Ecken und Winkeln kamen sie geschlichen, begierig auf die kuhwarme Milch. Unser Inspektor, der auf den schönen Namen ›Kurzhals‹ hörte, hatte mich dafür verantwortlich gemacht, daß die Katzen nicht an die Milch gingen. Das sei eine Schweinerei. Er hatte mir auch einen künstlichen Griff gezeigt, wie man solch eine Katze, dieses zähe Tier, dem sieben Leben nachgesagt werden, im Bruchteil einer Minute erledigte, in aller Stille.

      Auf die Stille kam viel an, denn jede umgebrachte Katze führte zu endlosen Streitereien, Krach, Feindschaft. Ich habe diesen künstlichen Griff nur einmal versucht, mit völligem Mißerfolg. Die Katze jammerte gellend, und gellend entrann sie mir. Von da an war ich für alle Leute der Katzenmörder, jede verschwundene Katze wurde mir in die Schuhe geschoben, und auf diesen Katzen ging es sich nicht wie auf Rosen. Oh, ich war bald der unbeliebteste Jüngling des Dorfes. Von Jugend ab ist mir die schöne Gabe abgegangen, fünf grade sein zu lassen, und ich erntete oft die Früchte davon. Ich litt schrecklich unter meiner Unbeliebtheit und konnte es doch nicht lassen, unermüdlich die sechs Gänge des großen Stalles mit seinen hundertzwanzig Kühen auf der Jagd nach naschenden Katzen abzustreifen.

      Aber in meiner Unbeliebtheit und Verlassenheit waren mir schließlich die Kühe ein tiefer Trost. Sie waren so geduldig und sanft, sie hatten nicht das geringste gegen mich einzuwenden. Ich lernte sie lieben. Wenn ich mich unter eine von ihnen hockte, den Kopf in ihre Weiche stemmte, die Hände um die Striche des Euters legte – wenn dann der laue weiche Milchdunst zu mir aufstieg, die Kuh den Kopf wandte und mit ihren großen blauen Augen nach dem ungewohnten Melker sah, der keine rotweiß gestreifte Jacke trug, und wenn sie dabei ein wenig fragend muhte – dann fühlte ich mich geborgen.

      Auch in all den vielen Jahren – es sind nun schon dreißig –, die auf meinen ersten Stalldienst folgten, ist mein Verhältnis zu den Kühen ungetrübt geblieben: alle waren sie fromm und sanft. Ich mußte es erst zu einer eigenen Kuh bringen, um zu erfahren, daß es auch bösartige Kühe gibt, wahre Teufelinnen in einer Rindshaut. Eine solche Teufelin überließ mir Herr Pendel. Sinnig hatte er sie Erikuh genannt; es war eine große Schwarzbunte, die schon vier- oder fünfmal gekalbt hatte, den Lauf der Welt und also auch das Melken schon hätte kennen müssen.

      Aber weit von dem! Sobald sich nur ein Mensch ihrem Euter nahte, legte sie die Ohren zurück, fing an zu schnauben, und faßte man das Euter nur an, so schlug sie aus – aber wie! Sie tippte nicht etwa ziellos mit dem Hinterhuf ins Gelände, wie es etwa Kühe tun, die eine Euterentzündung haben und denen darum das Melken Schmerz bereitet – nein, die Erikuh zielte haargenau, und dann schlug sie zu! Der Eimer rollte auf den Boden, das bißchen gemolkene Milch versickerte, und glücklich der Mann oder die Frau, die noch Hand und Arme ohne Schaden in Sicherheit gebracht hatten: der Schlag einer Kuh kann einem den Knochen zerschmettern!

      Wir ließen das Euter der Kuh untersuchen: keine Entzündung, kein Schmerz, keine Verdickung. Erikuh war einfach böse, wahrscheinlich hatte sie der tüchtige Herr Pendel durch ungeschicktes Melken oder Schläge verdorben. Melken war der Erikuh ein erwünschter Kampf, dies Aas freute sich direkt daran, wie es uns heiß machte.

      Leider war Herr Pendel, als ich diese Vorzüge der Erikuh entdeckte, bereits in ferne Bezirke unseres deutschen Vaterlandes verzogen. Wie aber hatte er die Erikuh gemolken? Wir hielten Nachfrage und erfuhren, daß Herr Pendel die Erikuh auf Raten gemolken hatte.