Uwe Anton

Corona Magazine #355: Dezember 2020


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       Topthema

      Im Grenzland einer Utopie: Roddenberrys Visionen und andersdenkende Trekkies

       von Thorsten Walch

      Star Trek-Schöpfer Eugene Wesley »Gene« Roddenberry (1921-1991) und der afro-amerikanische Menschenrechtler und Baptistenpastor Dr. Martin Luther King (1929-1968) waren Zeitgenossen. Doch sie hatten noch eine andere Gemeinsamkeit: Beide Männer hatten einen Traum, dessen Essenz trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte ihres Schaffens doch in vielerlei Hinsicht die gleiche war.

       Zwei Männer und zwei Frauen

      Leider ist nicht überliefert, ob die beiden genannten Herren sich jemals persönlich begegnet sind.

      Doch Nichelle Nichols, die legendäre Darstellerin der Lt. Nyota Upenda Uhura aus der klassischen Star Trek-Originalserie Raumschiff Enterprise, hat King einmal persönlich getroffen. Gern erzählt sie auf Conventions und in Interviews davon, wie hoch der berühmte Bürgerrechtler die Serie geachtet und sie dazu überredet hat, ihre Mitwirkung in Star Trek nicht nach der ersten Staffel zu beenden. Die Mitwirkung in jener Science-Fiction-Show, in der es neben weißen Amerikanern auf den Posten des Captains und des Bordarztes und einem Schotten im Maschinenraum auch einen außerirdischen Ersten Offizier, einen japanischen Steuermann, einen russischen Waffenoffizier und eben einen – zudem auch noch weiblichen – afro-amerikanischen Kommunikationsoffizier auf der Brücke des Raumschiffs zu sehen gab. Und das in einer Zeit, in der man Menschen dieser Ethnien allgemein entweder als Feinde oder bestenfalls als Dienstpersonal ansah und Frauen gerade erst mit dem organisierten Kampf für ihre Gleichstellung begonnen hatten.

      »Mum, komm schnell! Im Fernsehen ist eine schwarze Lady, und sie ist kein Dienstmädchen!«, rief ein damals 11-, vielleicht 12-jähriges afro-amerikanisches Mädchen namens Caryn Elaine Johnson erfreut durch das ganze Haus in New York City. Das Mädchen wurde später unter seinem Künstlernamen Whoopi Goldberg ein Weltstar und spielte eine wichtige Rolle in der zweiten Star Trek-Serie Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) – die der weisen und geheimnisvollen Guinan.

      Leider erlebte King den weltweiten Siegeszug der von ihm gewissermaßen protegierten Serie nicht mehr – am 4. April des Jahres 1968 wurde er in Memphis, Tennessee von dem mehrfach vorbestraften, polizeibekannten Rassisten James Earl Ray erschossen. Ein paar Tage zuvor, am 29.03.1968, war mit der Episode Ein Planet, genannt Erde gerade die zweite Staffel der Serie Raumschiff Enterprise (1966–1969) zu Ende gegangen.

       Wir haben einen Traum

      Doch der vielzitierte Traum von King lebte auch nach seinem Tod weiter und ging auch in dem Star Trek-Universum, das Roddenberry weiterentwickelte, auf. Der Traum davon, dass irgendwann einmal alle Menschen gleich sein würden, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Bildungsstandes und ihrer Religion.

      Mit letzterer, das weiß man, hatte der überzeugte Atheist Roddenberry seine Probleme. Doch ging es ihm dabei weniger um den persönlichen Glauben oder die Spiritualität eines jeden Einzelnen, sondern um die vielen Gräueltaten, die auch Ende der 1960er-Jahre schon/noch im Namen verschiedener Weltreligionen begangen wurden.

      Roddenberry konnte die viele Ungerechtigkeit auf der Erde freilich ebenso wenig ändern wie der verstorbene King. Doch Roddenberry vermochte von einer Zukunftswelt im 23. Jahrhundert zu erzählen, in der sein und auch Kings Traum wahr geworden war – jedenfalls auf der Erde.

      Dort hatte man den viele Jahrhunderte währenden Nationalismus mittlerweile überwunden, und einzelne Staaten gab es nur noch dem Namen nach. Sie alle unterstanden einer demokratisch gewählten Weltregierung. Statt auf Kriegstechnologien hatten sich die Menschen nach einem verheerenden Atomkrieg im frühen 21. Jahrhundert, den die Menschheit nur mit Mühe und Not überleben konnte, auf den Ausbau der Raumfahrtwissenschaften konzentriert und schließlich die Warp-Technologie entwickelt, die ihnen Flüge zu anderen, weit entfernten und ebenfalls bewohnten Sternen ermöglichte.

      Der Rest der Geschichte ist hinreichend bekannt: Die Serie und die zehn Jahre nach dieser gestartete Kinofilm-Reihe wurden im Nachhinein ein ungeheurer Erfolg. Und die Fans der Serie, die sich stolz »Trekkies« nannten (und damit als erste Fangemeinschaft einer Science-Fiction-Serie einen Eintrag im renommierten Oxford English Dictionary erhielten), versuchten, Roddenberrys Philosophie in das wahre Leben zu übertragen und dort auszuüben, so gut es eben ging. Viele bahnbrechende Entwicklungen, unter vielem anderen die heutigen Handys und Smartphones, gingen aus dem Grundgedanken der Serie Raumschiff Enterprise hervor, die im Lauf der Jahre dank weiterer Fernsehserien und Filme zu einem gewaltigen Franchise heranwuchs.

      Doch das war leider nicht das Ende der Geschichte.

       Das wird man ja wohl noch sagen dürfen …

      Star Trek war immer ein Kind seiner Zeit und setzte in seiner Handlung unterschiedliche Schwerpunkte. Da die reine Schilderung einer friedlich gewordenen Galaxis zumindest allein naturgemäß nicht für spannende Unterhaltung ausreichte, beleuchtete man in der Serie von Anfang an die nach wie vor bestehenden Konflikte der Wirklichkeit auf metaphorische Weise.

      Wurde in der klassischen Originalserie vorwiegend der Kalte Krieg zwischen den beiden damaligen Supermächten thematisiert, ging es in Das nächste Jahrhundert oftmals um die immer weiter voranschreitende Automatisierung, während man in Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) den niemals völlig überwundenen Faschismus thematisierte. So widmete sich jede der neuen Serien den zentralen Themen ihrer jeweiligen Entstehungszeit.

      Nachdem es eine ganze Weile den Anschein gemacht hatte, dass die (reale) Menschheit wirklich mit kleinen Schritten auf eine Zukunft à la Star Trek zugegangen sei, wendete sich das Blatt ausgerechnet mit Beginn des neuen Jahrtausends. Plötzlich gewannen überall auf der Welt radikale Ideologien, die viele Leute für längst überwunden gehalten hatten, wieder zunehmend an Kraft; plötzlich war wieder verstärkt die Rede von »uns« und den »anderen«, die nicht zu »uns« gehören – oftmals ohne klar zu definieren, warum und weshalb.

      Als sei diese Entwicklung per se nicht schon bedrohlich genug, kristallisierte sich in der Star Trek-Fanszene ein ebenso belastendes wie merkwürdiges Phänomen heraus: Auch unter den Trekkies gab es plötzlich Leute, die besagten extremen Ideologien nicht abgeneigt schienen; der Autor dieses Artikels nennt sie nachfolgend hin und wieder die »andersdenkenden« Trekkies. Während der Großteil der Fans der Meinung war, dass dergleichen nicht mit der Roddenberry’schen Philosophie vereinbar sei, glaubten die andersdenkenden Trekkies, durchaus positive Entsprechungen bezüglich der jeweiligen aktuellen Situation im Star Trek-Universum gefunden zu haben.

      War etwa die Sternenflotte nicht auch manchmal ziemlich rigoros gegen Eindringlinge von außen vorgegangen, die die Föderation zu unterwandern drohten? Und trat man Meinungen, die gegen das Oberkommando gerichtet waren, nicht auch in der Welt von James T. Kirk (William Shatner) und Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) recht entschieden entgegen? Schließlich hatte dieser Arterhaltungstrieb ja nichts mit Extremismus zu tun. Natürlich war man gerade als (andersdenkender) Trekkie ja kein Faschist, aber …!

      Sachlich betrachtet jedoch hinken alle diese Vergleiche, gerade in Bezug auf die Philosophie von Star Trek.

      Roddenberry hatte bereits in den 1960er-Jahren bei der Konzipierung der klassischen Originalserie sehr klar Stellung bezogen,