umzusehen! „Ich muss unbedingt einen anderen Ort finden, an dem ich unterkommen kann. Die Miete in Mrs Chamberlains Pension kann ich mir auf keinen Fall leisten“, sagte sie entschieden, nahm die Handtasche vom Stuhl und stand auf.
„Und was, wenn ich Ihnen nun erzählen würde“, begann Quinn vorsichtig und ein bisschen zögerlich, „dass die Miete für den nächsten Monat bereits bezahlt ist?“
Ungläubig blieb Julia stehen und starrte ihn an. „Was meinen Sie damit?“
Mit einem verschämten Lächeln zuckte er die Achseln.
Als sie schließlich verstand, stieg Ärger in ihr auf, doch sie kam nicht dazu, ihm eine Standpauke zu halten. Sanft berührte Quinn sie am Ellbogen und beugte sich zu ihr hinunter. „Am besten wir reden auf dem Weg darüber, in Ordnung?“ Damit öffnete er die Tür des Cafés und wartete, dass sie hinaustrat.
Da Julia keine Szene machen wollte, schritt sie wortlos hinaus auf den Bürgersteig. Insgeheim war sie sich aber sicher, dass vor lauter Wut kleine Rauchwolken aus ihren Ohren aufstiegen. „Quinten Aspinall – Sie hatten absolut kein Recht, sich so in mein Leben einzumischen. Entweder ich komme selbst für meinen Unterhalt auf oder ich schlafe eben auf der Straße.“
Ihre Empörung verstärkte sich, als sie sich zu ihm umblickte und den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen sah. „Lachen Sie mich etwa aus?“
„Niemals“, erwiderte er eilig, doch sein Grinsen war so breit, dass es im Widerspruch zu seinen Worten stand. „Es tut mir leid. Es ist nur … Sie sehen hinreißend aus, wenn Sie sich ärgern.“
„Hmpf.“ Julia hob den Kopf und ging weiter. Dabei musste sie sich aber bemühen, nicht auch selbst zu lächeln.
Gleich darauf schloss Quinn wieder zu ihr auf. „Bitte, sagen Sie mir, dass Sie nicht ernsthaft darüber nachdenken, auf der Straße zu schlafen. Alles wäre besser als das.“
„Nicht alles. Glauben Sie mir“, erwiderte sie, als vor ihrem inneren Auge Bilder des lüsternen Mr Ketchum aufstiegen, und sie erschauderte. Lieber nahm sie in Kauf, dass im Schlaf Ratten über sie hinwegkrochen, als in seine Art von Bezahlung einzuwilligen.
„Stimmt. Aber betrachten wir das Ganze doch einmal aus einer anderen Perspektive. Welcher Art von Arbeit würden Sie gerne nachgehen, Julia?“
Sie dachte kurz nach und blieb dann an der nächsten Ecke stehen. „Ich würde gern in der Krankenpflege arbeiten. Oder etwas anderes, das Menschen in Not hilft.“
Das laute Klingeln einer vorbeifahrenden Straßenbahn warnte sie, aus dem Weg zu bleiben. Sobald die Straße wieder frei war, überquerten sie sie. Quinn hielt Julia dabei am Unterarm – eine sehr galante Geste, die Julia nicht nur fürsorglich fand, sondern ihr sogar recht gut gefiel.
„Nachdem ich gesehen habe, wie Sam gelitten hat“, erklärte sie, „wollte ich eine Möglichkeit finden, anderen Männern wie ihm zu helfen. Dr. Clayborne sagt, dass die Selbstmordrate unter Soldaten ausgesprochen hoch ist – ihre körperlichen Wunden können gut behandelt werden, aber für die meisten ihrer seelischen Verletzungen gibt es nur wenig bis gar keine Behandlungsmöglichkeiten.“
„Das ist eine sehr ehrenwerte, wenn auch herausfordernde Lebensaufgabe. Aber ich nehme an, dafür bedarf es einer besonderen Ausbildung?“
„Ja. Und sowohl für die Arbeit als Krankenpflegerin als auch für die als Sozialarbeiterin müsste ich Kurse am College belegen. Und das ist auch schon das nächste Problem, da ich auch dafür kein Geld habe.“ Die Ausweglosigkeit ihrer Situation begann an Julia zu nagen. Ganz gleich, in welche Richtung sie ging, alle Wege endeten in einer Sackgasse.
„Sprechen wir mit Mrs C darüber. Vielleicht hat ja jemand aus der Gruppe für Neuankömmlinge eine Lösung für Sie. Oder zumindest eine Idee für eine besser bezahlte Arbeitsstelle.“
Als sie erneut vor einer Kreuzung stehen blieben und warteten, bis die Straße frei war, betrachtete Julia Quinns Profil. Sein Kinn und Unterkiefer sahen vornehm aus und seine Stirn war hoch, beinahe aristokratisch. Ehrlich gesagt wirkte Quinn weitaus mehr wie jemand von hohem Stand als sie selbst. „Darf ich fragen, warum Sie so besorgt um mich sind, wo Sie doch eigentlich genug eigene Schwierigkeiten haben mit der Suche nach Ihren Geschwistern?“
Quinn wandte sich ihr zu und sein durchdringender Blick ließ Julias Puls plötzlich in ungewohnte Höhen schnellen.
„Was für ein Mann wäre ich, wenn ich Sie der Gnade dieses schrecklichen Vermieters überlassen hätte? Sobald Sie bei Mrs Chamberlain in Sicherheit sind und ich weiß, dass Pastor Burke Sie bei der Suche nach Arbeit unterstützen wird, kann ich mich wieder auf meine eigenen Angelegenheiten konzentrieren.“
Julia bemühte sich, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken.
In der Tat, was für ein Mann?
„Ich denke, dass Sie ein echter Gentleman sind. Und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.“
Ihre Worte waren sanft und sie sah, dass sich nun auch Quinns Wangen rötlich färbten. „Es freut mich, Ihnen behilflich sein zu können.“
„Ihre Freundlichkeit werde ich niemals vergessen – und ich verspreche Ihnen, den Gefallen eines Tages zu erwidern!“, sagte Julia mit zittriger Stimme. Abgesehen von Dr. Clayborne hatte sich seit Sams Tod niemand um sie gesorgt. Außer vielleicht Richard Hawkins, der Hausarzt von Sams Familie … Der Gedanke an ihn ließ sie jedoch erzittern und schnell schob sie die Erinnerung wieder von sich. Es brachte nichts, sich erneut dafür zu schämen, wie leicht es ihm gelungen war, Julia hinters Licht zu führen.
Ihr Instinkt sagte ihr außerdem, dass Quinn nichts mit dem trügerischen Dr. Hawkins gemein hatte. Quinn war ein demütiger Mensch, ein Bediensteter ihres Onkels, der Julia mit mehr Respekt und Rücksicht behandelte als jeder andere in der letzten Zeit.
Er lächelte sie erneut an und zwinkerte. „Vorsicht, auch hier werde ich Sie gern beim Wort nehmen, Miss Holloway!“
Kapitel 7
„Wie schön, dass Sie gekommen sind“, sagte Mrs Chamberlain und begrüßte Julia mit einer herzlichen Umarmung, als sie den Flur im Untergeschoss der Holy Trinity Church betrat. „Sicher wird es sich ein bisschen wie Heimat für Sie anfühlen.“
Beim Betreten des großen Saals schlug Julia ein klammer, leicht muffiger Geruch entgegen. Einige Menschen versammelten sich neben einem Tisch, der an der gegenüberliegenden Wand stand.
„Diese Treffen sind immer sehr amüsant“, erzählte Barbara, eine von Mrs Cs dauerhaften Mieterinnen, die sich bei Julia einhakte. „Vor allem nun, wo die Männer wieder aus dem Krieg zurück sind. Über unsere selbst gebackenen Kuchen freuen sie sich immer ganz besonders.“
Jetzt dämmerte es Julia, weshalb die Frauen alle darauf bestanden hatten, den ganzen Nachmittag zu backen.
Mit zwei Körben voll Kuchen und Muffins im Gepäck marschierten Barbara und Mabel zum Tisch und begannen, das mitgebrachte Gebäck darauf zu platzieren.
„Machen Sie sich nichts aus den zweien“, beruhigte Mrs C Julia und kicherte ein wenig. „Die beiden haben mehr Interesse daran, hier einen Mann zu finden, als Pastor Burke bei dem Einwandererprogramm zu unterstützen. Nicht, dass hier nicht schon die eine oder andere Liebesgeschichte entstanden wäre … Aber unser Hauptanliegen ist, Menschen wie Ihnen zu helfen, eine längerfristige Anstellung und eine angemessene Wohnung zu finden. Und natürlich wollen wir Ihnen auch eine geistliche Heimat bieten.“
Dankbar lächelte Julia. „Mir ist jede Hilfe willkommen, auch wenn Sie schon jetzt mehr als genug für mich getan haben.“
„Papperlapapp“, entgegnete Mrs C und schüttelte den Kopf. „Niemals hätte ich eine feine junge Dame wie Sie in einem dieser Löcher leben lassen. Über die Jahre habe ich bereits unzählige Briefe an den Bürgermeister geschrieben, um endlich Veränderung in diesem Stadtteil zu bewirken. Doch bisher leider vergeblich.“
Mrs