warten. Er hat es auf mich abgesehen, glaubt, mich zu lieben.«
»Und das geht zu weit«, erklärte die rothaarige Frau mit den strahlend blauen Augen, die mit einer großen Auflaufform aus dem Haus kam.
»Darf ich vorstellen, meine Mutter Ottilie Mai«, machte Olivia ihre Gäste mit der Frau in dem eleganten hellen Kleid bekannt, die die nach Oregano und Basilikum duftende Gemüselasagne auf den Tisch stellte.
Wirklich interessant, dachte Danny, als sein Blick von Olivia zu Ophelia und danach zu Ottilie wanderte. Alle drei hatten das gleiche hellrote Haar und die gleichen hellblauen Augen. Selbst Ortrud, die Katze, machte da keine Ausnahme.
»So sehen uns alle Leute an, wenn sie uns das erste Mal zusammen sehen«, meldete sich Ophelia zu Wort, als auch Franziska, Lorenz, Sophia und Lydia sie verblüfft anschauten. »Um die nächste Frage, die irgendwann jeder stellt, zu beantworten. Ja, unsere Namen beginnen alle mit einem O, ein O wie ein Kreis, weil ein Kreis Unendlichkeit bedeutet und das O perfekt zum M passt«, sagt meine Oma. »Unsere Initialen O und M gleich OM, auch als bedeutendes Mantra bekannt.«
»Danke, Kleines, besser hätte ich das Geheimnis der Os nicht zusammenfassen können«, sagte Ottilie und nahm ihre Enkelin liebevoll in den Arm. »Da das nun geklärt ist, gehen wir doch zum gemütlichen Teil des Abends über.«
»Falls das heißt, wir können essen, bin ich dabei.« Ophelia hob ihren Teller an, stellte ihn aber sofort mit einem verschmitzten Lächeln wieder ab, schließlich wusste sie, was sich gehörte, dass zuerst die Teller der Gäste gefüllt wurden.
Nach einer Weile vergaßen alle, warum sie an diesem Abend eigentlich zusammengekommen waren. Ottilie erzählte ihnen die Geschichte ihrer Geburt, die sich ein paar Wochen zu früh ankündigte. Ihre Eltern unternahmen gerade einen Sonntagsspaziergang auf dem Ottilienberg bei Heilbronn, als bei Ottilies Mutter die Wehen einsetzten und Ottilie auf dem Berg zur Welt kam.
»Der Ottilienberg ist ein mystischer Ort, der schon in der Jungsteinzeit besiedelt wurde. Es gab dort auch einmal eine Kapelle, die der heiligen Ottilie geweiht war, und genau an dieser Stelle kam ich zwar zur früh, aber gesund zur Welt. Dass meine Eltern mich Ottilie tauften, war wohl unumgänglich«, fügte sie nachdenklich hinzu.
»Wie hieß Ihre Mutter?«, wollte Sophia wissen.
»Sie hieß Niamh, das mit den Os war meine Idee.«
»Niamh ist ein irischer Name«, stellte Danny fest.
»Unsere Vorfahren mütterlicherseits waren Iren.«
»Das erklärt einiges, nicht wahr?«, raunte Olivia Danny zu. Sie verteilte die Teller mit dem Heidelbeerkuchen, den es zum Dessert gab, und hatte sich leicht über ihn gebeugt, um den Teller für ihn auf den Tisch zu stellen.
»Ja, allerdings, das tut es«, antwortete er und wandte sich ihr mit einem Lächeln zu.
Wow, da geht doch was, dachte Ophelia, und als sie ihre Großmutter ansah, wusste sie, dass auch sie es bemerkte. – Was ist das?, dachte sie, als sie auf die schöne alte Eiche schaute, die auf der Straße hinter ihrem Garten stand und deren Äste über die halbhohe Mauer hinwegragten.
Für einen kurzen Moment glaubte sie, einen Mann im Kapuzenshirt zu sehen, der hinter dem Baumstamm verschwand. Unsinn, ich sehe schon Gespenster, dachte sie, als ein Rabe plötzlich aus dem Baum herausschoss und davonflog. Vermutlich hatte das Tier nur ein paar Zweige bewegt und ihre Fantasie hatte daraus eine menschliche Gestalt geformt.
»Du wirst sie niemals bekommen«, murmelte der Mann in dem Kapuzenshirt und der dunklen Sonnenbrille, der auf der Straße, die hinter dem Garten der Mais vorbeiführte, durch einen Baum geschützt das Haus beobachtete. Er hatte das Fernglas, das er an einem Lederband befestigt um seinen Hals trug, genau auf Danny und Olivia gerichtet.
Auf der Terrasse der Mais ahnten sie nicht, dass sie in diesem Moment beobachtet wurden und dass ihre Fröhlichkeit und ihr liebevoller Umgang miteinander die Wut des fremden Mannes noch weiter anstachelte.
Der unheimliche Patient
Er sah in Danny Norden den Rivalen
»Guten Morgen, Doc! Ich komme heute in einer dringenden Angelegenheit«, verkündete Ophelia, als sie durch die geöffnete Terrassentür in Dannys Wohnküche schaute, einen lichtdurchfluteten Raum mit zwei großen Fenstern, Küchenmöbeln aus weißem Holz und einem Esstisch mit hellen Lederstühlen.
»Wie dringend ist denn diese Angelegenheit?«, fragte Danny und stellte die Kaffeetasse wieder ab, die er gerade hochheben wollte. Er musste gegen das Sonnenlicht blinzeln, als er aufblickte, um in Ophelias Richtung zu sehen.
»Meine Oma ist krank. Sie hat Fieber, und Mama meint, ich soll Sie fragen, ob Sie vor Ihrer Sprechstunde nach ihr sehen könnten.«
»Das ist bestimmt diese Grippe, die gerade umgeht«, meldete sich Valentina zu Wort, die in ihrer rotweiß gestreiften Schürze vor dem Herd stand. Wie an jedem Vormittag in der Woche kümmerte sie sich um den Haushalt des jungen Arztes und sorgte auch dafür, dass er nicht ohne Frühstück in den Tag startete.
»Oma hält es nicht für die Grippe. Sie denkt, es sei nur eine Erkältung, aber Mama besteht darauf, dass sie sich untersuchen lässt«, entgegnete Ophelia. »Könnte es sein, dass es hier nach Apfelkuchen duftet?«, fragte sie, warf ihr langes rotes Haar in den Nacken und sah Valentina mit ihren hellen blauen Augen an.
»Möglich wär’s«, antwortete Valentina schmunzelnd und öffnete die Backofentür.
»Ich nehme an, du hast erst zur zweiten Stunde Schule?«, fragte Danny, nachdem er kurz auf das Display seines Handys geschaut hatte, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es war bereits nach acht, die erste Schulstunde hatte längst begonnen.
»Heute habe ich sogar erst zur dritten Stunde. Unser Mathelehrer ist krank. Ab morgen übernimmt Frau Kern ein paar Stunden bei uns«, erzählte Ophelia, während sie sich zu Danny an den Tisch setzte.
»Kann sie denn schon wieder ohne Krücken laufen?«, erkundigte sich Valentina.
»Inzwischen braucht sie nur noch eine. Dank unseres Docs und Lorenz Bergwald, ihres Physiotherapeuten, wird es von Tag zu Tag besser.«
»Mei, vielleicht finden Sie den Kerl, der sie angefahren hat, doch noch irgendwann, damit ein bissel Schmerzensgeld für sie herausspringt«, sagte Valentina.
»Das hoffen wir alle«, stimmte Danny ihr zu. »Was ist eigentlich mit Ortrud? Sie war heute noch gar nicht da«, wunderte er sich, weil die Katze seiner Nachbarinnen noch nicht aufgetaucht war. Sie kam sonst jeden Morgen über die Terrasse herein, um auf der Fensterbank des Esszimmers ein Schläfchen zu halten.
»Ortrud rührt sich nicht von Omas Seite. Das macht sie immer so, wenn jemand von uns krank ist. Oma meint, dass sie spürt, wenn wir Gesellschaft und Trost brauchen«, erzählte Ophelia und schob eine Gabel mit einem Stück von dem noch warmen Apfelkuchen mit Zimt, den Valentina ihr auf einem weißen Porzellanteller servierte, behutsam in den Mund. »Echt köstlich, Frau Merzinger«, lobte sie Valentinas Backkünste.
»Lass es dir nur schmecken, Spatzl«, entgegnete Valentina mit einem liebevollen Lächeln. »Möchten Sie auch noch ein Stückl Kuchen, Herr Doktor?«, wandte sie sich an Danny, der inzwischen die Spiegeleier auf Toastbrot gegessen hatte, die sie ihm zum Frühstück zubereitet hatte.
»Nein, vielen Dank, Valentina, im Moment nicht. Ich werde den Kuchen heute Nachmittag versuchen«, versicherte Danny ihr. »Ich sehe jetzt erst mal nach Frau Mai.«
»Echt super von Ihnen, Doc, danke«, sagte Ophelia.
»Das fällt unter Nachbarschaftshilfe«, entgegnete Danny lächelnd.
»Falls Sie nach dem Hausbesuch gleich in die Praxis gehen, Herr Doktor, und wir uns nicht mehr sehen, ich gehe heute ein bissel früher. Mein Mann und ich fahren zu meiner Schwester nach Fürstenfeldbruck.