Mais anhalten sah. Zwischen den beiden zugezogenen Vorhängen war ein Spalt freigeblieben, der es ihm von seinem Platz aus ermöglichte, die Straße vor dem Haus der Mais einzusehen. Obwohl es inzwischen dunkel war, konnte er die Polizisten, die gleich darauf ausstiegen, im Schein der Straßenlaterne gut erkennen. Ihm war klar, dass Arnold von dem, was sich da draußen abspielte, nichts mitbekommen sollte.
»Wie wäre es, wenn ich uns ein bisschen Licht mache«, schlug Danny vor.
»Gute Idee«, erklärte sich Arnold gleich einverstanden. »Merkwürdig, wie schnell wir uns an die Dunkelheit gewöhnen und sie gar nicht richtig wahrnehmen, solange unser Geist beschäftigt ist. So ist es viel besser«, sagte er, nachdem Danny die Lampe mit dem großen weißen Schirm eingeschaltet hatte, die das ganze Zimmer in helles Licht tauchte.
Danny atmete innerlich auf. Selbst wenn Arnold jetzt auf seine Seite des Schreibtisches wechselte, wäre das Licht im Zimmer zu hell, um draußen noch etwas erkennen zu können. Wenn es ihm noch gelang, Arnold mit irgendetwas zu beschäftigen, dann würde es der Polizei ihren geplanten Zugriff erleichtern. Arnold hatte von einem Gespräch unter Männern gesprochen, dazu fiel ihm der Cognac ein, den er in der untersten Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte. Wenn er Arnold dazu brachte, einen Cognac mit ihm zu trinken, würde es ihm möglicherweise gelingen, ihm ein Schlafmittel einzuflößen.
In dem Medikamentenschrank am Fußende der Untersuchungsliege standen einige Fläschchen eines neuen Schlafmittels, die ihm ein Pharmavertreter dagelassen hatte. Er lagerte sie in der verschlossenen Schublade. Falls Arnold ihn nicht aus dem Zimmer ließ, um Gläser zu holen, wovon er ausging, würde er Pappbecher aus dem Becherspender neben dem Medikamentenschrank holen. Wenn er Arnold irgendwie ablenkte, sollte es ihm gelingen, an das Schlafmittel zu kommen. Er beschloss, ihn noch eine Weile reden zu lassen, sich in allem kooperativ zu zeigen, dann würde er ihm einen Drink anbieten.
*
»Können wir auch irgendetwas tun?«, wolle Olivia von Thea wissen, als die Kommissarin nach einem erneuten Gespräch mit ihrer Dienststelle in den Hof der Mais gehen wollte. Dort warteten ihre Kollegen, die gerade eingetroffen waren, auf weitere Anweisungen.
»Im Moment leider nicht. Wir können gerade keinen Kontakt mit Doktor Norden aufnehmen. Berheim kontrolliert sicher auch das Festnetztelefon, und wir wissen nicht, wie er auf einen Anruf von außen reagieren würde.«
»Anruf von außen, das ist es«, mischte sich Ottilie ein, die mit Ortrud auf dem Arm aufgestanden war, um wieder in ihr Zimmer zu gehen.
»Was genau meinen Sie?«, wollte Thea wissen.
»In einer Arztpraxis rufen ständig Leute an. Wir tun einfach so, als würde ein Patient anrufen und versuchen herauszufinden, wie es Doktor Norden gerade geht«, schlug Ottilie vor. »Im schlimmsten Fall verhindert Berheim, dass Doktor Norden den Anruf annimmt oder er unterbricht das Gespräch. Mehr kann nicht passieren, richtig?«, fragte sie und sah zuerst ihre Tochter und danach Thea an.
»Gut, versuchen wir es«, erklärte Thea sich sofort einverstanden. »Aber es muss jemand anrufen, dessen Stimme Berheim nicht kennt.«
»Ich kann anrufen«, meldete sich Marius, der auf keinen Fall nach Hause gehen wollte, bevor dieser Mann, der Doktor Norden in der Praxis festhielt, von der Polizei abgeführt wurde. »Ich könnte Doktor Norden fragen, ob es meiner Baseballkappe gut geht und sie sicher aufbewahrt wird.«
»Cleverer Junge«, lobte Thea Marius. »Also dann, ruf an.«
»Wird gemacht.« Marius zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Arztpraxis, die er schon am Nachmittag in sein Telefon einprogrammiert hatte. »Weggedrückt«, stellte er enttäuscht fest, als der Anruf abgelehnt wurde.
»Warte einen Moment, dann versuchst du es noch mal«, bat ihn Thea. »Sollte sich Doktor Norden erneut nicht melden, werden meine Kollegen und ich uns seinem Haus nähern und uns Zutritt durch den Keller verschaffen. Die Kellertür ist weit genug vom Sprechzimmer entfernt, um Berheim nicht gleich aufmerksam zu machen.«
»Hoffentlich geht das alles gut aus. Es darf einfach nicht sein, dass Daniel Norden etwas zustößt. Das würde ich mir nie verzeihen«, sagte Olivia leise.
»Sie sind nicht für Arnold Berheims Taten verantwortlich. Im Gegenteil, Sie haben alles getan, um so etwas zu verhindern«, versicherte ihr Thea.
»Mag sein, trotzdem ist er nur wegen mir in dieser Lage.«
»Es wird ihm nichts passieren«, sagte Thea und streichelte mitfühlend über Olivias Arm.
»Richtig, es wird ihm nichts passieren, weil er die Situation in den Griff bekommt. Berheim mag sich ihm überlegen fühlen, aber in Wirklichkeit ist er es nicht. Berheim ist in seinem Wahn gefangen, dass Doktor Norden ihm Olivia wegnehmen könnte. Er kann an nichts anderes denken. Doktor Norden weiß das inzwischen, ihm wird etwas einfallen, um ihn auszutricksen«, erklärte Ottilie mit überzeugter Stimme.
»Ich hoffe es, aber ich werde mich nicht darauf verlassen. Ich werde meine Kollegen auf ein mögliches Eingreifen vorbereiten«, sagte Thea.
»Ihr bleibt hier«, forderte Olivia ihre Tochter und Marius auf, die Thea folgen wollten.
»Ortrud, das gilt auch für dich!«, rief Ottilie, als die Katze von ihrem Arm sprang, auf die Haustür zuschoss, die Thea geöffnet hatte, und in der Dunkelheit verschwand.
»Falls Sie in Doktor Nordens Haus eindringen, könnte es sein, dass sie mitkommt«, klärte Ophelia Thea darüber auf, was von der Katze zu erwarten war.
»Es wird ihr nichts passieren«, versicherte ihr Thea und zog die Haustür hinter sich zu.
»Du solltest deinen Eltern Bescheid geben, dass du später kommst. Aber sage ihnen besser nicht, was hier gerade los ist, sonst machen sie sich Sorgen«, wandte sich Olivia an den Jungen, der zusammen mit Ophelia zum Küchenfenster stürmte, um wenigstens etwas von dem mitzubekommen, was draußen vor sich ging.
»Und meine Oma könnte auf die Idee kommen, mit der halben Nachbarschaft hier aufzukreuzen, was Frau Seeger bestimmt nicht gefallen würde«, erwiderte er schmunzelnd.
»Warum musst du eigentlich eine Ehrenrunde in der sechsten drehen? Du bist doch ein schlaues Kerlchen«, stellte Ophelia verwundert fest.
»Doktor Norden sagt, dass der Eisenmangel schuld an meiner Müdigkeit und meiner miesen Laune ist. Seitdem ich das weiß, geht es mir irgendwie besser, weil ich jetzt jedem sagen kann, dass ich kein Freak bin, sondern unter Mangelerscheinungen leide.«
»Okay, verstehe, und jetzt ruf deine Eltern an.
»Mache ich. Mama, ich bin noch bei einer Freundin, Ophelia Mai, sie wohnt in dem Haus neben Doktor Norden«, sagte Marius, als seine Mutter sich am Telefon meldete. »Ja, bis zum Abendessen bin ich da, bis dann.«
»Bei einer Freundin?«, fragte Ophelia verblüfft, nachdem Marius das Gespräch beendet hatte.
»Könnten wir denn nicht Freunde sein?«
»Möglicherweise«, entgegnete Ophelia. Sie musste sich eingestehen, dass Marius sich in dieser Ausnahmesituation ziemlich gut geschlagen hatte.
»Ich würde es super finden«, sagte er mit einem schüchternen Lächeln. »Soll ich jetzt noch mal in der Praxis anrufen?«, wandte er sich an Olivia.
»Warte noch eine Minute«, sagte sie und schaute über die beiden Kinder hinweg auf Dannys Grundstück.
*
»Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie noch immer nicht ganz begriffen haben, dass Sie Olivia nicht haben können?« Arnold hatte seine Hände zu Fäusten geballt und trommelte schon eine ganze Weile mit den Knöcheln auf die Seitenlehnen des Stuhles.
»Glauben Sie mir, ich habe genau verstanden, worum es Ihnen geht«, versicherte ihm Danny. Nachdem er sich erneut minutenlang hatte anhören müssen, wie groß Olivia Mais Liebe für Arnold Berheim war und dass niemand sich zwischen die beiden drängen durfte, war er fest entschlossen, diese Unterhaltung jetzt zu beenden.
Er