Paul Oskar Höcker

Die verbotene Frucht


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in Empfang und gab ihnen Führer zu ihren Kabinen. Die des Ehepaares hatte die beste Lage: am oberen Promenadendeck.

      „Sie haben wohl die Staatskabine bekommen?“ fragte der Rittmeister, grosse Augen machend. „Ja — wer den Papst zum Vetter hat.“

      Jutta schüttelte lachend den Kopf. „Nein, denken Sie, Papa wollte selbst uns die Fahrkarten besorgen und uns bei der Direktion eine Ermässigung erwirken, aber hier dieser Mann der strengen Grundsätze war nicht zu bewegen, sie anzunehmen.“

      „Na, Prozente nehme ich nu ziemlich skrupellos“, sagte Stangenberg. „Und vorhin im Hotel bei der Rechnung hab’ ich sie sogar gefordert. Schlankweg. Als Offiziervereinsmitglied.“

      „Siehst du, siehst du. Gustl!“

      Succo schaute nur auf, ohne etwas zu erwidern.

      „Na, armes Luder wie unsereins“, fuhr Stangenberg schmunzelnd fort, „muss sich eben durchs Kommissbrot durchbeissen, so gut es geht. — Hier an Bord hab’ ich nämlich bloss einen Platz im Hauptdeck belegt. Das ist um ein paar Stockwerke tiefer, aber auch um mindestens zweihundertundfünfzig Meter billiger.“

      Sie lachten und verabredeten ein Wiedersehen vor dem Gabelfrühstück, um sich Tischplätze nebeneinander anweisen zu lassen. Dann begaben sie sich zum Auspacken des Handgepäcks in ihre Kabine.

      „Darin verstehe ich den Rittmeister nicht“, sagte Succo, in dem eleganten, geräumigen Salon sich umblickend, der mit grossem Kleiderschrank, bequemer Waschtoilette, Tisch und zwei Betten versehen war. „Hauptdeck ist nicht viel besser als zweite Klasse.“

      „Dort wohnen ja auch Menschen, Gustl.“

      „Hm. Eben. Die sich zweiter Klasse einschätzen.“

      „Nein, Gustl, wenn man dich so hochmütig reden hört. Du sagst das alles bloss, um mich zu ärgern.“

      „Erlaube, Schatz. Gewisse Schranken muss es nun doch mal geben. Stangenberg wird das auch noch am eigenen Leibe erfahren.“

      „Wieso?“

      „I, natürlich schläft er in seiner Kabine nicht allein, sondern er teilt sie mit einem andern Herrn, der ebenso billig reisen will. Wen bekommt er da also als Reisegenossen? Vielleicht den Kammerdiener eines amerikanischen Schweinespeckkönigs.“

      „Vielleicht muss sich Stangenberg wirklich einschränken?“

      „Es ist purer Geiz.“

      „Meinst du? Dann verständ’ ich’s freilich nicht.“ Jutta selbst besass eine offene Hand, und sie hatte an diesem Morgen auch ihren Gatten wieder einmal als sehr freigebig kennengelernt, was sie mit vielem aussöhnte. Als „Schmerzensgeld“ nämlich für die unnötigerweise unter falschem Verdacht auf der Polizeiwache verbrachte Nacht hatte dem Polizeimeister ein blankes Zwanzigfrankenstück als durchaus ausreichend für die beiden unglücklichen Arrestanten erscheinen wollen. Succo war aber anderer Meinung; er hatte seiner Brieftasche schon zwei Hundertfrankenscheine entnommen, die er dem Geschwisterpaar ohne Wimpernzucken einhändigte. Diese reiche Gabe wandelte die Szene sofort von Grund aus: der Verdacht, die ungemütliche Nacht, die Angst der beiden waren vergessen, und Succo konnte als der grosse Wohltäter vom Platze scheiden, mit südländisch lebhaften Dankesbezeigungen überschüttet. Seine Schilderung dem Rittmeister gegenüber war in ihrer Selbstironie so drastisch, dass auch der letzte Rest Sentimentalität in Juttas Teilnahme schwinden musste. „Im Grunde ist er eben doch ein guter Kerl“, sagte sie zu sich. Bei aller Korrektheit, die von einer gewissen Engherzigkeit nicht frei war, bewies ihr Gatte oftmals einen durchaus ritterlichen Zug. Geizig war er jedenfalls nicht. Häufig mahnte sie selbst, obwohl sie sich auch daheim nicht einzuschränken brauchte, zu grösserer Sparsamkeit. So hatte sie’s ihrem Manne als übertriebenes Selbstbewusstsein ausgelegt, dass er als Staatsbeamter von einer Privatgesellschaft keine Vergünstigung entgegennehmen wollte. Er nannte das aber bloss: sein stark ausgeprägtes berufliches Taktgefühl. In derlei Fragen fochten sie öfters einen kleinen Strauss aus.

      Nachdem sie sich in der schwimmenden Wohnung, die sie nun für fünf Tage beherbergen sollte, alles zurechtgelegt hatten, begaben sie sich auf einen Spaziergang durchs Schiff.

      Es war sehr bequem eingerichtet, der Gesamteindruck der ersten Klasse war geradezu glänzend. Der Speisesaal, das Damenzimmer, der Musiksalon hatten mächtige Ausdehnung, eine in altdeutschem Stil eingerichtete Schenke bildete jetzt schon den Sammelpunkt einer stattlichen Herrenrunde, die internationale Gesellschaft war höchst elegant. Es war ein Damenfriseur an Bord, eine kleine Druckerei, ein Rasiersalon, und nun baute sich auf dem Promenadendeck auch schon die von zwanzig Stewards in blauem Matrosenanzug gebildete Musikkapelle auf.

      Rasselnd lief die Kette des grossen Krans auf dem Achterdeck über die eiserne Rolle, der mächtige Haken hob die grössten Koffer auf und liess sie im Gepäckraum verschwinden. In das Poltern und Klirren mischte sich das Rufen aufgeregter Reisender, die Dampfpfeife gab in tiefem Dreiklang ein unheimlich dröhnendes Zeichen, das man kilometerweit hören musste.

      Schlag zwölf Uhr wurde der Anker aufgewunden, und eine kleine Dampfbarkasse, die neben dem Riesendampfer wie ein Liliput wirkte, spannte sich vor, um die „Holstein“ aus dem Hafen von Joliette in den grau und farblos daliegenden, von einem leisen Blasius gekräuselten Golf hinauszuschleppen. Die Musik spielte die Marseillaise, darauf das Deutschlandlied und zum Schluss: „Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus.“

      Jutta hatte auf eigene Faust den Bummel durchs Schiff weiter ausgedehnt, während ihr Gatte beim Zahlmeister geschäftlich in Anspruch genommen war.

      Er suchte sie hernach lange. Auch Herr von Stangenberg beteiligte sich daran.

      Sie stellte sich erst auf den Ruf, der die Gesellschaft zum Gabelfrühstück sammelte, im Speisesaal ein.

      „Oh, Gustl, an Bord weiss ich Bescheid, da kann mir nichts geschehen. Ich bin auch drüben in der dritten Klasse gewesen. Denk nur, da ist ein französischer Koch, der reist nach Assuan, ein Witwer, und er hat seine drei kleinen Mädelchen mit, eine ist vier, die andern sechs und sieben Jahre. Und eine italienische Truppe; die will in Kairo Varietévorstellungen geben. Wie lustig das dort zugeht. Aber auch eine schwächliche junge Frau. Ihr Mann hat in Alexandrien eine Stellung als Kutscher. Sie reist ihm nach, fürchtet sich aber so schrecklich vor der Seereise. Na, ich hab’ ihr Mut gemacht, und da ist sie ordentlich aufgetaut.“

      Der Landsmann wunderte sich über ihren Tatendrang und ihre vielseitige Teilnahme. Succo seufzte: „Natürlich — die dritte Klasse ist wieder das nächste, worüber du dich unterrichten musst.“

      „Sie ist unterhaltender als die erste, lieber Gustav.“

      „Eine Varietétruppe reist bei uns allerdings nicht mit.“

      „Brummbär!“ sagte sie lachend.

      Die Herren hatten wegen der Tischplätze schon mit dem Obersteward verhandelt. Sie suchten nun an der Tafel neben der Freitreppe nach ihren Namen.

      „Hier — Mister Succo!“ sagte der Rittmeister, auf eines der Kärtchen zeigend, die in der Reihenfolge der Tischplätze in die Tafel eingesteckt waren. „Aber da hat der wackere Beamte nun doch Verwirrung angerichtet, wie mir scheint. Sie sitzen dieser Schlachtordnung zufolge mitten in einer stockenglischen Gesellschaft.“

      „Das fehlte noch. Unter Larven die einzige fühlende Brust.“

      „Obersteward!“

      Der Allmächtige kam sofort näher. „Ich habe Ihnen drei Plätze in der ersten Seitenkoje rechts gegeben. Das ist nahe bei den Fenstern. Sehr beliebter Platz.“

      „Auch nicht zu weit von der Tür — wegen etwaigen Verschwindens in Fällen erzwungener Opfer?“ warf Stangenberg ein.

      „Aber mein Name steht doch hier. Wie kommt das? — Earl of Westmoreland, Mister Smith, Mister Succo, Mister Brown, Lady Salmour.“

      „Oh — das ist Mister Succo aus Kairo. Übrigens von Geburt auch Deutscher. Und ebenfalls ‚von Succo‘.“

      „Ein Herr von Succo?