Mr. Campbell.
„Ja, lieber Vater“, versetzte Henry, errötend.
„Ich nehme an, euch hier nichts nützen zu können“, sagte Alfred, „und schlage daher vor, daß ich noch heute nachmittag nach Liverpool fahre, denn von dort aus werden wir uns am besten einschiffen können. Ich werde an unseren Zahlmeister schreiben und ihn um weitere Auskunft bitten, und dann sehe ich, was ich in Liverpool in Erfahrung bringen kann. Sobald ich etwas von Wichtigkeit mitzuteilen habe, schreibe ich.“
„Schreibe, sobald du angelangt bist, Alfred, wir erfahren dann deine glückliche Ankunft.“
„Das werde ich tun, liebe Mutter.“
„Hast du Geld, Alfred?“
„Ja, genügend, Vater; ich reise ja nicht mit vier Pferden.“
„Gut, wir werden hierbleiben und packen, und du, Alfred, mußt dich nach einem billigen Quartier umsehen, das wir in Liverpool, sobald wir ankommen, beziehen können. Zu welcher Zeit segeln die Schiffe nach Quebec?“
„Gerade um diese Zeit, Vater. Wir sind im März; es wird jede Woche ein Schiff abgehen. Je eher wir fortkommen, desto besser; damit wir vor dem Winter bereits behaglich eingerichtet sein können.“
Wenige Stunden nach diesem Gespräch verließen Henry und Alfred Wexton Hall. Mr. und Mrs. Campbell und die beiden Mädchen hatten vollauf mit dem Einpacken zu tun. Es hatte sich bald in der Nachbarschaft das Gerücht verbreitet, daß die Familie sich zur Auswanderung nach Kanada vorbereite, und die Pächter, welche unter Mr. Campbell Farmen inne hatten, kamen und boten ihre Wagen und Pferde an, um seine Sachen nach Liverpool zu schaffen, ohne eine Vergütung dafür zu verlangen. Inzwischen traf ein Brief von Alfred ein. Er hatte Bekanntschaft mit einigen Kaufleuten angeknüpft, die nach Kanada Handel trieben, und war von diesen an einige Personen gewiesen worden, die sich dort vor mehreren Jahren niedergelassen hatten und ihnen jede Auskunft geben konnten. Sie rieten ihm, was am besten mitzunehmen sei und wie man sich bei der Landung zu verhalten habe. Von höherem Werte aber war es, daß sie ihm Empfehlungsschreiben an englische Kaufleute in Quebec gaben, deren Beistand bei Auswahl und Kauf des Landes sowie bei dem Transport ins Innere sie in Aussicht stellten. Alfred hatte auch ein Schiff ausgesucht, das in drei Wochen absegeln wollte; er hatte bereits wegen des Preises der Überfahrt verhandelt.
Henry kehrte, nachdem er seine Rechnungen bezahlt hatte, von Oxford heim mit dem Erlös in der Tasche, den er durch Verkauf seiner Bücher erzielt hatte. — Er war jetzt besseren Mutes und leistete seinen Eltern den größten Beistand. Alfred hatte bei allem, was er unternommen, so viel Überlegung gezeigt, daß sein Vater ihm schrieb, sie würden sich für das von ihm bezeichnete Schiff fertig halten, er möge die Kajüten bestellen und die verschiedenen Gegenstände besorgen, die man ihm mitzunehmen geraten habe. Nach vierzehn Tagen waren alle reisefertig. Die Wagen mit den Sachen waren früher abgegangen. Mr. Campbell schrieb einen Brief an Mr. Douglas Campbell, dankte ihm für seine Güte und Schonung und benachrichtigte ihn, daß er am folgenden Tage Wexton Hall verlassen würde. Als Gunst erbat er sich nur, daß der Lehrer und die Lehrerin der Dorfschule in ihrem Amt belassen würden, da es von großer Wichtigkeit sei, daß der Unterricht der Arbeiter nicht vernachlässigt würde. Er fügte hinzu, daß er durch die Zeitung Mr. Douglas Campbells kürzlich vollzogene Vermählung erfahren habe, und er, wie Mrs. Campbell ihm und seiner Gattin hierzu die besten Glückwünsche ausssprächen.
Nachdem dieser Brief befördert war, gab es vor ihrer Abreise von Wexton Hall nichts mehr zu tun, als die wenigen Dienstleute, die noch bei ihnen waren, abzulohnen und zu entlassen. Zum letztenmal gingen sie durch die Felder und den Park. Mrs. Campbell und die Mädchen machten einen Rundgang durch die Zimmer, um sich zu überzeugen, daß alles ordentlich und sauber zurückgelassen wurde. Die Mädchen seufzten, als sie im Wohnzimmer an der Harfe und dem Klavier vorüberkamen, denn diese waren ihre liebsten Freunde.
„Laß nur, Mary“, sagte Emma, „wir haben unsere Guitarren und können in den Wäldern von Kanada auch ohne Harfe und Klavier musizieren.“
Am andern Morgen fuhr die Postkutsche vor ihrer Schloßtür vor; sie stiegen ein, umgeben von den Pächtern und armen Leuten, die respektvoll mit abgezogenen Hüten vor ihnen standen, und ihnen alles Gute wünschten, während sie durch die Allee nach dem Parktor fuhren. Wexton Hall und der Park waren längst ihren Blicken entschwunden, bevor sie ein Wort miteinander gewechselt hatten. Sie hielten ihre Tränen zurück und ihre Herzen waren zu voll, um sprechen zu können. Am folgenden Tag kamen sie in Liverpool an, wo Alfred eine Wohnung für sie besorgt hatte. Es wurde alles an Bord des Schiffes, das bereits in den Strom gebracht worden war, geschafft. Da sie nichts mehr am Lande zurückhielt, und der Kapitän den ersten günstigen Wind zu benutzen wünschte, schifften sie sich vier Tage nach ihrer Ankunft in Liverpool ein.
IV.
Mr. Campbell war ein Mann mit vielen liebenswürdigen Eigenschaften, ein religiöser guter Mensch, seiner Frau, deren Ansichten er häufig den Vorzug vor den seinigen einräumte, sehr zugetan und sehr eingenommen von seinen Kindern, die er bis zu übergroßer Nachsicht liebte. Er war verständig und wohl unterrichtet, doch besaß er wenig Energie. In seiner Herzensgüte war er leicht zu täuschen, denn er vermutete niemals einen Betrug, obwohl man ihn bereits vielfach hintergangen hatte. Sein Charakter war der eines einfachen, guten, ehrenwerten Mannes.
Mrs. Campbell war für ihn eine sehr geeignete Frau, denn in ihrem Charakter lag die Willenskraft und Entschiedenheit, welche ihrem Gatten bisweilen fehlte. Trotzdem hatte sie weder in ihrer Art und Weise noch in ihrem Äußern etwas Männliches an sich, im Gegenteil; sie war eine zarte Erscheinung und sehr sanft in ihrem Auftreten. Sie besaß große Festigkeit und Selbstbeherrschung und hatte ihre Kinder vorzüglich erzogen. Gehorsam gegen die Eltern hatte sie ihnen als vornehmstes Gebot, nächst den Pflichten gegen Gott, eingeprägt. Wenn je eine Frau geeignet war, Schwierigkeiten und Gefahren zu trotzen, wie sie ihr jetzt drohten, so war es Mrs. Campbell, denn in ihrem Charakter war Mut, Tatkraft und Klugheit vereinigt.
Henry, der älteste Sohn, war beinahe zwanzig Jahre alt. Er hatte viel von der Gemütsart seines Vaters. Ohne schlimme Fehler zu besitzen, neigte er doch mehr zur Untätigkeit als zum Gegenteil. Dieser Hang war seiner Erziehung und dem Universitätsleben, zumeist jedoch seiner natürlichen Anlage zuzuschreiben.
Alfred, der Seemann, war voller Willens- und Tatkraft, geduldig und arbeitsam, wo es erforderlich war. Er nahm nie eine Sache in die Hand, ohne sie zu vollenden, wenn es irgend anging. Er war etwas schroff, doch nicht roh, in Sprache sowohl wie in Manieren, und zugleich voller Selbstvertrauen, er fürchtete sich vor nichts in der Welt.
Mary Percival war ein sehr angenehmes, sinniges Mädchen. Still, ohne schwermütig zu sein, neigte sie wenig zu Unterhaltungen, außer wenn sie mit ihrer Schwester Emma allein war. Mit großer Hingabe liebte sie ihren Onkel und ihre Tante, und war für manches befähigt, wovon sie selbst keine Ahnung hatte, denn sie war bescheiden und dachte sehr gering von sich. Ihre Gesinnungsweise war liebenswürdig und dies prägte sich auch in ihrem Benehmen aus. Sie war jetzt siebzehn Jahre alt und wurde viel bewundert.
Ihre Schwester Emma, die erst fünfzehn zählte, war ganz anders veranlagt, von Natur heiter und geneigt, bei allem ein Vergnügen herauszufinden. Fröhlich wie die Lerche, sang sie vom Morgen bis zum Abend. Ihr Wesen war, dank der Sorgfalt und Aufmerksamkeit ihrer Tante, ebenso liebenswürdig wie das ihrer Schwester, und ihr lebhaftes Temperament verleitete sie nur selten zu Unvorsichtigkeiten. Sie war das Leben in der Familie, wenn Alfred fort war, der außer ihr allein ein so heiteres Gemüt besaß.
Percival, der dritte Knabe, war jetzt zwölf Jahre alt, er war ein ruhiger, kluger Bursche, sehr gehorsam und aufmerksam. Von Natur sehr wißbegierig, war ihm jede Belehrung willkommen.
John, der vierte Sohn, im Alter von zehn Jahren, war ein derber Junge. Das Lernen liebte er nicht, doch war er gut veranlagt. Seinen Büchern zog er alles andere vor, doch war er gehorsam und versuchte seine Aufmerksamkeit festzuhalten, so gut es nur gehen mochte. Er war in allem sehr langsam, sehr bedächtig, und sprach meist nur, wenn er angeredet wurde. Dabei war er nicht dumm, obgleich mancher ihn dafür halten mochte, vielmehr ein höchst eigentümlicher Knabe, bei dem sich schwer voraussehen ließ,