Ruck in den Strudel des Wiener Lebens gezogen und hatte sich schon so weit akklimatisiert, daß er der Frau Günzel die Hand küßte. Worauf sie ihm zuflüsterte:
„Wenn es Ihnen paßt, so übermorgen nachmittags bei Tommasoni. Dort ist man ziemlich ungestört. Rufen Sie mich aber vorher an!“
Generaldirektor Klopfer-Hart begleitete ihn bis zur Garderobe.
„Darf ich Sie bitten, mich nächstens in der Bankgesellschaft aufzusuchen? Ich werde Ihnen Pläne vorlegen, aus denen Sie ersehen können, daß wir gemeinsame Ideen haben. Mir schwebt längst –“
Schon hatte sich Direktor Beiner von der Harmoniebank herangedrängt:
„Bitte, darf ich Sie in Ihrem Hotel besuchen? Ich habe weitausgreifende Industrialisierungspläne, die Ihnen sicher –“
Herr Gottlieb Gnaus schüttelte dem Amerikaner kräftig die Hand.
„Würde mich freuen, wenn wir morgen bei Sacher das Dejeuner zusammen nehmen könnten. Zwischen Suppe und Braten würde ich Ihnen eine Idee vorlegen, die – –“
Felix Korn erschien als rettender Engel.
„Kommen Sie, Herr Vandergold, sonst haben Sie bis übermorgen dreitausend Fabriken und nicht einen Heller Geld. Das paßt mir aber nicht. Ich setze große Hoffnungen auf Sie!“
Lachend zog Ralph mit ihm ab, der Hausherr flüsterte aber seinem Sohn, der auch schon Bankdirektor war, ärgerlich zu:
„Dieser Bajazzo, der Korn, betritt mein Haus nicht mehr.“
Und Frau Günzel sagte ihrer besten Freundin, Lili Smeral, einem Mädchen mit blassen Farben, hysterischen Augen und gierigem Mund:
„Du, der Amerikaner ist das leibhaftige Ideal eines Mannes: Muskeln, Geist und Geld.“
Lili seufzte und preßte den Arm der schönen Frau mild an sich:
„Jetzt wirst du mich wieder vernachlässigen! Aber du mußt mir wenigstens immer alles erzählen!“
13. Kapitel
Hilde.
„Grüß Gott, Herr Ralph!“
Mit diesen Worten wurde O’Flanagan an der Ecke der Mariahilferstraße und Neubaugasse, wo er schon etliche Minuten gewartet hatte, begrüßt, und er wollte über die Intimität dieser Ansprache sich sehr freuen, als er sich erinnerte, daß das Mädchen den Namen Ralph für seinen Familiennamen halten mußte.
Es war das erste Rendezvous, das ihm Hilde Wehningen gewährt hatte. Als er sie darum gebeten, hatte sie ruhig und selbstsicher gesagt:
„Gerne will ich mit Ihnen eine Plauderstunde verbringen. Mache Sie aber gleich darauf aufmerksam, daß ich, so frei und konventionslos ich mich fühle, doch weder auf einen sogenannten Freund noch auf einen Bräutigam reflektiere. Aufrichtig gesagt: Ich freue mich auf ein Wiedersehen, und es wird nur an Ihnen liegen, mir diese Freude nicht dadurch zu vergällen, daß Sie den Versuch machen, erotische Beziehungen anzubahnen.“
Und nun stand sie schlank, sehr einfach, aber geschmackvoll gekleidet vor ihm, schüttelte ihm kräftig die Hand und wäre dabei niedergefallen, weil ein seltsames Gemisch von Schnee, Regen, Tauwetter und leichtem Frost die Straßen in holperige Eisbahnen verwandelt hatte.
Sie nahm den angebotenen Arm, als aber Ralph einem Auto winken wollte – sein eigenes hatte er wohlweislich zu Hause gelassen – wehrte sie entschieden ab:
„Was fällt Ihnen ein? Neulich schon war es ein arger Leichtsinn von mir, das geduldet zu haben. Bitte, bei diesen unerhörten Preisen! Und dann, wir gehen einfach in irgend ein Kaffeehaus in nächster Nähe.“
Im Café Siller sah Ralph erst recht, wie schön Hilde Wehningen war. Von jener unregelmäßigen Schönheit, die sich schwer photographisch wiedergeben läßt, um so intensiver aber im Leben wirkt. Der Mund vielleicht um eine Nuance zu voll, die Nase aber von klassischer Form und in wohltätigem Gegensatz zu den typischen Wiener Naserln, die Stirn hoch und frei, die kleinen, tadellos geformten Ohren Zeugnis unverdorbener guter Rasse, und Augen von seltener Schönheit und Ausdrucksfähigkeit.
„So, nachdem Sie mich genügend gemustert haben, werde ich Sie ein wenig inquirieren. Wenn man mit jemand gut Freund werden soll, muß man doch wissen, was und wie, weil solche Äußerlichkeiten die unerläßliche Brücke zum gegenseitigen Verständnis bilden. Also sagen Sie mir, welchen Beruf Sie haben, was Sie hier in Wien tun und überhaupt erzählen Sie von sich.“
Ralph errötete und seine Augen flackerten unruhig. Er mußte weiter lügen, wollte um jeden Preis die menschlichen Beziehungen, die sich hier entspannen, nicht stören, indem er die ungeheuere Kluft, die ihn materiell von allen anderen schied, enthüllte.
„Wie ich heiße, wissen Sie ja, Fräulein Wehningen. Beruf? Momentan habe ich eigentlich keinen. Bin Kaufmann, Businessman, wie man bei uns sagt, und will mich ein wenig umsehen, bevor ich mich zu Taten entschließe.“
Dann erzählte er von seiner Mutter, von seinem Elternhaus und seiner halbwienerischen Abstammung.
„Und nun ist die Reihe an mir, mein Fräulein. Wollen Sie mich auch einen Blick in Ihr Leben tun lassen?“
Ein Schatten flog über Hildes Gesicht.
„Da ist nicht viel zu erzählen. Bin zwanzig Jahre alt, ein armes Mädel, das nach einer recht heiteren, sorglosen Kindheit plötzlich in die Zwangslage versetzt wurde, sich selbst und eine dem Leben hilflos gegenüberstehende Mutter zu erhalten. Was gar nicht so leicht ist, wie sich der Herr Amerikaner das vorstellen mag.“
Hildes Vater, Freiherr von Wehningen, war ein wohlhabender steirischer Gutsbesitzer gewesen, der die Torheit begangen, in den ersten Kriegsjahren sein Gut zu verkaufen, um in Wien von seiner ansehnlichen Rente mit Frau und Kind zu leben. Hauptsächlich, um damit einen Lieblingswunsch seiner Gattin, einer geborenen Gräfin Boos, zu erfüllen, die Sehnsucht nach dem großstädtischen und höfischen Leben hatte. Der Umsturz kam, mit ihm die fortschreitende Geldentwertung, das Vermögen wurde zuerst zaghaft, dann immer stürmischer angegriffen. Herr von Wehningen verstand es nicht, rechtzeitig die Flucht vor der Krone zu ergreifen, und vor anderthalb Jahren, gerade als Hilde mit Auszeichnung maturiert hatte, trug Herr Wehningen das letzte Schmuckstück seiner Gattin zum Händler. Kaufte für den Erlös mit ungenügender Deckung Aktien, zu denen ihm geraten worden war, wurde von dem Bankier, als eine unvermutet starke Baisse einsetzte, exekutiert und stand nun sozusagen als Bettler da. Am nächsten Tage wurde er im Badezimmer infolge einer Leuchtgasvergiftung tot aufgefunden. Ob Unfall oder Selbstmord blieb unentschieden.
Frau Wehningen brach unter diesem Schlag vollständig zusammen. Hilde aber ließ sich nicht unterkriegen, gab den Gedanken, Naturwissenschaft zu studieren auf, lernte rasch Buchhaltung und Schreibmaschine und nahm eine Stellung an.
„Heute bin ich die rechte Hand meiner Chefs, der Brüder Krause, und habe eine ganze Million Monatsgehalt. Klingt nach wer weiß was und ist furchtbar wenig.“
Ralph überlief ein gelinder Schauer.
„Ungefähr vierzehn Dollar“, murmelte er. „Merkwürdiges Land, das beim Ausgeben die Weltparität beinahe einhält und beim Bezahlen seiner werktätigen Kräfte sich mit dem sechsten Teil begnügt. Aber um Himmelswillen, wie können Sie damit leben? Und sich so nett kleiden?“
„Garderobe habe ich noch von früher genug, und Mama lernt auf ihre alten Tage wenden, ausbessern und modernisieren. Und sonst – na ja, es geht auch schwer. Wir haben beide glücklicherweise keinen Bärenappetit und sonst muß eben auf alles verzichtet werden. Leider ganz besonders auf die Oper, was mir am meisten leid tut. Übrigens – das Schlimmste kommt wohl noch für mich. Meine Chefs betreiben eine Fabrik elektrotechnischer Artikel. Das Geschäft geht nicht, so tüchtig die beiden Herren auch sind. Zuerst waren wir zwanzig im Bureau, jetzt nur mehr zehn und ich fürchte, daß, wenn Weihnachten vorüber ist, die ganze Herrlichkeit ein Ende nehmen wird.“
„Und dann?“ fragte Ralph erschreckt.
„Dann?