Hugo Bettauer

Kampf um Wien


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ins Gesicht, sein Herzschlag setzte aus, fassungslos, erschreckt und beglückt stand er dem blonden Mädchen mit den grauen Augen gegenüber, das er seit Tagen vergeblich gesucht hatte.

      Auch das Mädchen erkannte ihn wohl auf den ersten Blick, es errötete, ein anmutiges Lächeln blitzte auf, aber mit einem „Ich danke, mein Herr“ wandte es sich rasch ab.

      Ralph, der noch nie ein Mädchen auf der Straße angesprochen, nahm seinen ganzen Mut zusammen und sagte mit heiserer, gepreßter Stimme:

      „Nein, mein Fräulein, so können Sie nicht gehen! Sie sind über und über mit Schraßenschmutz bedeckt, ihre Handschuhe sind blutig. Wenn Sie gestatten, werde ich einen Wagen nehmen. Schließlich – wir kennen uns ja schon!“

      Das junge Mädchen blickte ihn voll an. Und aus seinem Gesicht strömte so viel Güte und Zärtlichkeit zu ihr über, daß ihre Augen dunkel wurden und sie leise, mit zitternden Lippen, erwiderte:

      „Jawohl, wir haben uns wie im Fluge begegnet. Wenn Sie wirklich so gütig sein wollen und einen Wagen. besorgen – ich kann tatsächlich so nicht mit der Elektrischen weiter fahren.“

      Plötzlich bemerkten beide, wie Leben in die Menschenmenge kam, die sich vor dem Haustor, unter dem die Verunglückte lag, angesammelt hatte. Rufe wurden laut, der Polizeimann erschien verstört auf der Straße, sah Ralph und rief ihm zu:

      „Der Frau ist nicht mehr zu helfen, sie ist tot! Schädelbruch!“

      Ralph konnte nicht einmal seinem Entsetzen Ausdruck geben, denn das Mädchen an seiner Seite wurde totenbleich und fing zu schwanken an. Willenlos ließ sie es geschehen, daß Ralph den Arm um ihre Schulter legte und sie rasch mit sich nach dem Café Bristol führte, um sie dort im Hintergrund auf einen Stuhl gleiten zu lassen. Schon war sie zu sich gekommen und als sie das Gläschen Kognak, das Ralph ihr an die Lippen führte, ausgetrunken hatte, kam wieder rosige Farbe in ihre Wangen.

      „Dummes Mädel“, schalt sie sich selbst, „gleich schwach zu werden und noch dazu auf der Straße! Aber ich habe noch nie einen Toten gesehen und es berührte mich so seltsam – – Sie werden sich aber für dieses Abenteuer bedanken, mein Herr!“

      „Jawohl, das werde ich“, sagte Ralph ernst, „von ganzem Herzen danke ich dem Schicksal, das Sie zu mir geführt hat. Wenn auch der Weg weniger schauerlich hätte sein dürfen. Sie müssen wissen, mein Fräulein, daß ich seit damals, da Sie in der Straßenbahn an mir vorbeifuhren, Sie jeden Tag stundenlang gesucht habe.“

      Das Mädchen senkte den Kopf.

      „Seltsam, auch ich habe immer am Schottentor mich umgesehen und geahnt, daß ich Sie nochmals sehen würde.“

      Und beide schwiegen, weil sie so sehr von dem Augenblick erfaßt waren, daß sie keine Worte finden konnten.

      Bis der Amerikaner es an der Zeit fand, sich vorzustellen. Aber schon schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: Um Himmelswillen, sie soll nicht erfahren, wer ich bin, noch nicht, sie darf nicht verwirrt werden dadurch, daß sie ein goldstrotzendes Monstrum vor sich hat, nicht einen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern eine lebende Schatzkammer, die man mit Hohn und Wut, mit geifernder Ehrfurcht und mit ätzendem Haß den „reichsten Mann der Welt“ nennt.

      „Patrick Ralph“, murmelte er leise, worauf ihm eine weiße, schmale Hand mit spitzen Fingern und rosigen Nägeln entgegengestreckt wurde:

      „Ich heiße Hilde Wehningen.“

      11. Kapitel

      Lazlo Bartos.

      Als Ralph später mit dem jungen Mädchen ein Autotaxi bestieg und dem Chauffeur als Adresse die Kreuzgasse Nummer 73 nannte, beachtete er den hageren Herrn mit rötlichem Haar und scharfer Nase durchaus nicht, der jetzt dicht neben dem Wagen stand und tat, als wäre er intensiv beschäftigt, seinen Zigarettenstummel in Brand zu setzen. Wie er auch nicht wußte, daß dieser Mann ihm schon von der Herrengasse aus in einem Autotaxi gefolgt, dann hinter ihm her durch die Kärntnerstraße gegangen war und im Café Bristol am Nebentisch gesessen hatte.

      Dieser Mann war nun Lazlo Bartos, seinem Beruf nach Privatdedektiv, der sich in eingeweihten Kreisen seiner besonderen Geschicklichkeit halber großer Beliebtheit erfreute. Nachdem Generaldirektor Klopfer-Hart vor einigen Tagen seinen Beamten Heinrich Lank beauftragt hatte, mit dem Amerikaner in Fühlung zu treten, kam ihm der Einfall, daß es eigentlich ganz ratsam wäre, Ralph O’Flanagan unter Beobachtung zu stellen. Er rief das Dedektivbureau „Luna“ an und erteilte dem Inhaber, Herrn Lazlo Bartos, den Auftrag, bis auf Widerruf O’Flanagan zu beobachten und ihm täglich schriftlichen Bericht zu erstatten. „Aber bitte, diese sehr heikle und diskrete Aufgabe selbst zu besorgen und nicht etwa einem Ihrer Leute zu übergeben.“

      Der Zufall fügte es, daß am Vormittag des Tages, an dem Ralph dem Bundeskanzler seinen Besuch machte, dieser vom Polizeipräsidium die Verständigung erhielt, daß für die Staatspolizei keinerlei Ursache bestehe, den zugereisten Ralph O’Flanagan, dessen amerikanischer Reisepaß nicht nur in voller Ordnung sei, sondern auch einen empfehlenden Vermerk für alle amerikanischen Legationen enthalte, weiterhin zu beobachten.

      „Falls also Exzellenz nicht besondere Gründe für eine weitere Observanz haben, wird eine solche unterbleiben, um so mehr, als der auch bei uns eingesetzte Beamtenabbau das Polizeipräsidium zur äußersten Ökonomie zwingt!“

      Der Bundeskanzler ärgerte sich, wußte aber, daß er gegen die außerordentliche Korrektheit und Pflichttreue des Polizeipräsidenten nichts ausrichten konnte und verzichtete auf staatspolizeiliche Observanz. Hingegen erteilte er einen solchen Auftrag dem Lazlo Bartos, der ihm schon, als er nur Parteiführer gewesen, wiederholt gute Dienste durch Beobachtung politischer Gegner geleistet hatte.

      So erhielt denn Lazlo Bartos einen gleichlautenden Auftrag von zwei hervorragenden Seiten, hütete sich aber, dies seinen Mandataren mitzuteilen, da er ja sonst nicht von beiden Seiten die sehr erheblichen Honorare und Spesen hätte einziehen können. Um was es sich eigentlich handelte, bekam er rasch heraus.

      Lazlo Bartos hatte eine reichlich bewegte Vergangenheit hinter sich. Er war ungarischer Honved-Offizier gewesen, hatte Schulden und schmutziger Weiberaffären halber quittieren müssen, trieb sich jahrelang in Nord- und Südamerika herum, kam vor dem Weltkrieg zurück, erhielt, als er einrückte, die Offizierscharge gnadenhalber wieder verliehen, wurde seiner reichen Sprachkenntnisse wegen dem Nachrichtendienst zugeteilt und verstand es, so wichtig zu tun und durch fleißige Angeberei so oft arme Teufel von Popen und ruthenischen Intellektuellen an den Galgen zu bringen, daß er rasch zum Hauptmann avancierte.

      Als der Umsturz kam, stellte Bartos sich dem Grafen Karolyi zur Verfügung, trat dann in den Dienst der Räteregierung, schlug sich aber nach dem neuerlichen Umsturz mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit auf die Seite des weißen Terrors, denunzierte Hunderte von Kommunisten, schloß sich den „Erwachenden Ungarn“ an und wäre wahrscheinlich noch Minister geworden, wenn nicht eine kühne Interpellation im ungarischen Abgeordnetenhaus seine Vergangenheit und sein Treiben so rücksichtslos enthüllt hätte, daß er rettungslos kompromittiert war. Er verstand den Wink von oben, ließ sich eine entsprechende Abfertigung geben und übersiedelte nach Wien, wo er sich als Privatdedektiv etablierte. Jetzt arbeitete er erst recht, wenn auch inoffiziell, im Dienste der ungarischen Regierung und ihrer Wiener Gesandtschaft, bespitzelte die Emigranten, zerstörte mehr als eine Existenz, benahm sich aber dabei so vorsichtig und geschickt, daß sein Name nicht an die Öffentlichkeit drang. Außerdem erhielt er durch vorsichtige und diskrete Vermittlung der ungarischen Gesandtschaft eine reiche Klientel unter den Wiener Finanzgrößen, die oft genug alles Interesse hatte, die Verbindungen dieses oder jenes Spekulanten, Haussiers oder Kontermineurs zu erfahren. In der letzten Zeit hatte er auch mühelos Zutritt zu christlichsozialen Parteigrößen gefunden, und so kam es, daß sich nun seiner der Bundeskanzler bediente.

      Bartos ließ das Autotaxi mit Ralph und dem jungen Mädchen ruhig nach Währing fahren, vergrub seine Hände in die Taschen des eleganten Stadtsportpelzes und überlegte.

      Dieser junge Schwärmer, sagte er sich, namens Ralph O’Flanagan, der sich soeben dem blonden Mädel unter dem unvollkommenen