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TEXT + KRITIK 228 - Gabriele Tergit


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überdeutlich »mimetische Abbildung und prospektiver Entwurf«36 mischen. Die Romane von Frauen unterscheiden sich, so Erhard Schütz, grundsätzlich von denen der männlichen Autoren der Zeit, indem sie »eine viel tiefergehende Erfahrung von Unglück, von der Unmöglichkeit der Liebe haben, und ihr Schicksal nüchterner, weniger sentimental und pathetisch, weitaus gefaßter hinnehmen. (…) Stereotype von Männern über Frauen in Literatur (greifen) nicht mehr.«37 Dies veranschaulicht Tergit anhand der Figuren Fräulein Dr. Kohler und Käte Herzfeld, mit denen sie in ihrem Roman exemplarisch zwei ›Neue Frauen‹ der Weimarer Republik entwirft, die sich dem Dilemma zwischen Tradition und Moderne stellen und sich in dem Zwischenraum behaupten müssen, der auf der einen Seite von der Müttergeneration und deren moralischen Vorstellungen und auf der anderen Seite vom Typus der »Girlgeneration« mit ihren zahlreichen Implikationen geprägt ist. Anhand des »weiblichen Flaneurs«38 Charlotte Kohler, die auf ihren Streifzügen durch Berlin die heterogenen Lebensverhältnisse wahrnimmt, versucht Tergit ein Zeitschicksal abzubilden.39 Frances Mossop bemerkt in diesem Zusammenhang: »What perhaps surprises about Tergit’s literary explorations of the Weimar capital is the way in which they do not thematize the 1920s topic of the ›New Woman‹ and her new freedom of mobility.«40 Und tatsächlich legt Tergit keinen Fokus auf die Verbindung von Topografie und Genderfragen, sondern auf Aspekte der Wahrnehmung von Großstadt.41 In der Figur Charlotte Kohler zeigen sich die Veränderung des sozialen und politischen Klimas am Ende der Weimarer Republik und die Auswirkungen auf den »Subjektstatus des Individuums«.42

      In Tergits Texten zeigt sich das Soziale als zentrales Thema der Moderne. Und ihre Frauenfiguren verdeutlichen die Widersprüchlichkeit der ›Neuen Frauen‹ in der Weimarer Republik, die im privaten und öffentlichen Sektor zwischen Selbstverantwortung und Abhängigkeit sowie der konservativ-(groß)bürgerlichen Müttergeneration und dem Ideal der emanzipiert-gleichberechtigten Frau oszillieren. In Bezug auf Oberflächenphänomene – äußere Erscheinung, Habitus, Mode und Attribute – zeigen sich ihre Frauen emanzipiert, während der innere Entwicklungsprozess mit Verzögerung folgt; prägende traditionelle Verhaltensmuster können, vor allem im Umgang zwischen den Geschlechtern, nicht mit gleicher Konsequenz und vergleichbarem Tempo abgelegt werden.

      3 Soziale Herrschaftsverhältnisse und Narrative der Ungerechtigkeit