Leben, und er vertraut den Menschen als seinen Freunden.«
»Sind Sie denn wirklich so sicher, daß ich Ihren Hund erschossen habe?« fragte der Mann da ernst.
Angelika schaute sich um. »Ganz sicher«, behauptete sie dann, »Puck wäre sonst schon lange erschienen.«
»Er hat sich irgendwo verkrochen und beleckt jetzt zweifellos traurig seine Wunden«, sagte der Mann, »doch ich habe nicht auf ihn geschossen. Ihr Puck, so heißt er ja wohl, war so tollkühn, es mit einem alten, erfahrenen Keiler aufnehmen zu wollen. Es blieb mir nichts weiter übrig, als das Wildschwein zu erlegen, um Ihren Hund zu retten. Aber ich konnte nicht verhindern, daß der Keiler mit seinen Hauern Ihren Hund noch erreichte. Sehen Sie nur.«
Er deutete mit der Hand zur Seite, und erschauernd sah Angelika ein riesiges Wildschwein mit gefährlichen Hauern verendet am Boden liegen.
»Aber dann?«
»Dann haben Sie mir unrecht getan, mein kleines Fräulein«, lächelte der Mann da gutmütig.
»Darüber aber können wir uns später noch unterhalten. Jetzt scheint es mir erst mal an der Zeit zu sein, Ihren Hund zu suchen.«
Und so krochen sie gleich darauf beide durch das dichte Unterholz.
Der Jäger war es dann, der Puck als erster fand. Ein leises Winseln hatte ihm den Weg gewiesen.
»Hier«, rief er laut. »Kommen Sie hierher! Ich habe ihn gefunden.«
Angelika war überglücklich. Sie schloß den Hund erleichtert in die Arme und erschrak zu Tode, als an ihren Händen Blut zurückblieb.
Aber der Jäger lachte nur laut auf, als er ihr Entsetzen sah.
»Oh«, entrüstete sich Angelika da. »Sie roher Mensch! Über den Schmerz eines kleinen Hundes so zu lachen. Puck kann sterben, er kann…«
»Aber schauen Sie doch genauer hin! Die Verletzung ist gering, nur ein Haukratzer. Das schlechte Gewissen hat ihn sich verkriechen lassen. Es ist so typisch für die an sich tapferen Dackel. Sie wissen stets genau, wann sie unrecht getan haben. Den Keiler ging er an, aber vor seiner Herrin und deren zu erwartender Schelte verkriecht sich der Schlingel.«
»O Puck«, stöhnte Angelika halb wütend, halb erleichtert auf, »in was für eine Situation hast du mich da nur gebracht! Wie konntest du nur! Ich bin dir sehr böse.«
»Schelten Sie nicht. Puck hat sich eine Wurst verdient.«
»Womit?« fragte Angelika erstaunt.
»Er hat mir die reizendste Bekanntschaft meines Lebens vermittelt.« Der Mann machte eine tadellose Verbeugung.
»Rudolf von Wertach«, stellte er sich vor.
»Ich bin Angelika Prinzessin de Roussillon.«
»Oh, eine richtige Prinzessin wie aus einem Märchen. So befinden wir uns in einem verzauberten Wald und…«
»Und Puck könnte ein wenig Jod auf seine Wunde brauchen«, stellte Angelika sachlich fest. Nun, da die Angst um Puck abgeklungen war, fand sie zu sich selbst zurück und bemühte sich, der Situation Herr zu werden. Auf keinen Fall aber war sie bereit, sich fade Komplimente eines Fremden anzuhören, wenn der genannte Name auch klangvoll war. Aber ein Name sagte noch lange nichts über einen Menschen aus.
»Ganz recht«, erwiderte Rudolf ernsthaft, »und seine reizende Herrin einen Schluck zur Beruhigung. Ich habe in der Nähe eine Jagdhütte, dort kann ich Sie mit dem Nötigsten versorgen. Auch mit Jod«, setzte er rasch hinzu, als er Angelikas abweisende Handbewegung bemerkte.
Und das gab den Ausschlag. Für Puck war Angelika bereit, alles zu tun.
*
Die Jagdhütte erwies sich als ein solider und überraschend geräumiger Holzbau. In der Halle befand sich ein Kamin, in welchem sogar ein Feuer brannte. Die Wände schmückten Geweihe aller Art, darunter einige Prachtexemplare. Ledersessel waren um einen runden Eichentisch gruppiert, und Tierfelle bedeckten den Boden. Lustig gemusterte Bauerngardinen hingen vor den Fenstern.
»Das nennen Sie eine Jagdhütte?« fragte Angelika ein wenig sarkastisch
»Gefällt sie Ihnen nicht?«
»Sehr«, gab Angelika widerwillig zu und wunderte sich, wie still Puck die schmerzhafte Jodbehandlung durch Rudolf über sich ergehen ließ. Er leckte ihm sogar ganz kurz und wie verstohlen über die Hand, und Angelika bemerkte zu ihrer eigenen Überraschung, wie fein die Hände ihres seltsamen Gastgebers waren.
Dann wurde ein Glas in einer klaren Flüssigkeit vor sie hingestellt.
»Eigentlich nicht das Richtige für eine junge bezaubernde Prinzessin, aber trinken Sie nur, es wird Ihnen auf den Schreck hin doch guttun.«
Angelika schossen Tränen in die Augen, als sie trank.
»Puh!« Sie schüttelte sich. »Das ist ja gräßlich.«
»Ein guter alter Jägerschnaps. Eine Jägerin sollte dergleichen vertragen!«
»Ich bin keine Jägerin«, protestierte Angelika. »Ich könnte niemals ein Tier töten. «
Rudolf betrachtete Angelika lange und gedankenvoll, und die Prinzessin spürte, wie ihr langsam eine feine Röte ins Antlitz kroch. Verlegen beugte sie sich zu Puck nieder.
»Ja, das glaube ich wohl«, meinte Rudolf dann merkwürdig sanft, »es würde nicht zu Ihnen passen. Es ist etwas Märchenhaftes um Sie.«
Angelika fühlte ihr Herz sonderbar hart pochen. Etwas stieg in ihr auf, das sie bisher nicht kannte, süß und schmerzlich zugleich. Sie fühlte sich zu de Mann hingezogen und wußte nicht einmal weshalb.
»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte sie aus ihrer Verlegenheit heraus.
»Weshalb?«
»Ich habe Sie zu Unrecht beschuldigt, auf Puck geschossen zu haben. Und außerdem war Puck in Ihrem Forst. Und ich auch«, fügte sie leise hinzu.
»Sie brauchen sich deswegen nicht zu entschuldigen. Puck hat seine Lehre weg, und ich habe einen kapitalen Keiler geschossen, hinter dem ich schon lange her war. Puck hat mir gewissermaßen geholfen. Dafür sei ihm verziehen, auf meinem Gebiet das Wild erschreckt zu haben.«
»Sie sind sehr liebenswürdig.«
»Aber ich bitte Sie! Ich bin sehr glücklich, einen so reizenden Gast unter meinem Dach zu haben. Auf einen so schönen Tagesanfang war ich nicht gefaßt.«
Prinzessin Angelika wußte nun nicht mehr so recht, was sie darauf antworten sollte. Es war ihr ganz eigen zumute, und sie fragte sich, ob das die Liebe sei. Aber sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß sie gefangen war von einem seltsamen Gefühl, dessen sie nicht Herr zu werden vermochte.
»Sie sagen ja gar nichts mehr«, lächelte Rudolf leicht. Er war bezaubert von der Prinzessin. Sie war so reizend und so natürlich, und er verspürte den Wunsch, noch länger in ihrer Gesellschaft zu verweilen. Dabei hätte sie dem Alter nach seine Tochter sein können.
Daran aber dachte er nicht. Es war wie eine heimliche Verzauberung, und sie spürten es beide.
Angelika hob ein wenig die Schultern.
»Was soll ich sagen?« murmelte sie. »Dies alles ist so sonderbar, so neu für mich.«
»Aber es wird Ihnen doch schon jemand gesagt haben, daß Sie eine bezaubernde junge Dame sind?«
»Sicher, aber niemand anders als Sie.«
Voll schlug Angelika die großen Augen zu dem Mann auf, und alles, was sie empfand, war in ihnen zu lesen.
Es rührte und beglückte den Mann zugleich.
»Darf ich einmal wiederkommen?« fragte Angelika ernsthaft.
»Aber jederzeit. Ich würde mich freuen – und ich werde auf Sie warten. Das heißt, wenn Ihnen meine Gesellschaft nicht unangenehm ist.«