Blut schoß Michael in die Stirn, gleich darauf wurde er leichenblaß.
Und dann sah er sie herankommen. Sie ging am Arm eines hochgewachsenen Mannes, der ihr Pferd am Zügel führte. Ganz vertraut hatte sie sich bei dem Mann eingehängt und schien lustig mit ihm zu plaudern.
Michael spürte, wie sein Herz vor Zorn und Eifersucht zu rasen begann.
Da kam sie ihm entgegen auf der schmalen Schneise. Die Frau, die er so liebte. Sie trug dunkle Reithosen und eine weiße Seidenbluse. Ein weißes Stirnband hielt ihr dunkles Haar zurück, und sie sah hinreißend aus.
Das schien auch der Mann an ihrer Seite zu erkennen, denn er wandte keinen Blick von seiner reizenden Begleiterin, und sein Lächeln, mit dem er Angelika betrachtete, war warm und herzlich.
Ohne es wirklich zu wollen, aus seiner Überraschung heraus, rief Michael die junge Prinzessin beim Namen.
Angelika wandte sich ihm erstaunt zu, und auch der Mann schaute ihm entgegen.
Und da erkannte Michael den Begleiter der Prinzessin.
Alles Blut wich aus seinem Gesicht, und sekundenlang schien es, als könne er sich nicht im Sattel halten.
Aber dann preßte er die Lippen aufeinander, riß sein Pferd herum und galoppierte wie irrsinnig davon, auf Rothenstein zu.
Er wußte, daß er sich unmöglich benahm, aber er wußte auch, daß er etwas Unverzeihliches getan hätte, wäre er geblieben. Zorn, Verzweiflung und Eifersucht hatten ihn um die Beherrschung gebracht.
Und er war noch ganz erfüllt von diesen Gefühlen, als er in Christinas Salon stürzte.
»Michael!« Die Marquise sprang entsetzt auf, als sie seinen wilden Blick sah, und auch Helene de Ravoux erhob sich und ging mit ärgerlichem Stirnrunzeln dem jungen Grafen ein paar Schritte entgegen.
»Ich habe Angelika gefunden«, sagte Michael laut, »doch es war mir nicht möglich, die Prinzessin zurückzugeleiten. Sie befand sich in der denkbar besten Gesellschaft.«
»Michael!« rief Christina und wurde leichenblaß. »Wollen Sie mir nicht näher erklären…«
»Da gibt es nichts mehr zu erklären. Gegen den Begleiter der Prinzessin Angelika bin ich machtlos.«
»Aber wer ist es denn, um Himmels willen?«
»Die Prinzessin de Roussillon«, erklärte Michael von Seebach sehr förmlich und übersah in seinem wilden Schmerz die Angst und das aufsteigende Entsetzen in den Augen der Marquis, »befindet sich zur Zeit in Begleitung des Königs. Erlauben Sie mir, daß ich mich unter diesen Umständen zurückziehe.«
Er wartete eine Erwiderung nicht ab, verbeugte sich knapp und eilte hinaus, unfähig, seine Gefühle länger zu verbergen.
So sah er nicht, daß die Marquise de Roussillon mit einem ächzenden Wehlaut langsam in sich zusammensank, in letzter Sekunde von den Armen ihrer Kammerfrau aufgefangen.
*
»Michael!« rief Angelika hinter dem jungen Grafen her, der sich, völlig unverständlich für die Prinzessin, so unvermutet herumwarf und davonritt, ohne sie und ihren Begleiter zu begrüßen.
Dann wandte sie sich dem Mann an ihrer Seite zu.
»Das war Michael Graf von Seebach«, sagte sie ein wenig unglücklich. »Ich verstehe gar nicht, was in ihn gefahren ist. Er ist sonst immer freundlich und liebenswürdig.«
Rudolf biß sich auf die Unterlippe. Sein Gesicht sah sorgenvoll aus.
Diese Begegnung war mehr als peinlich und konnte die Prinzessin leicht in einen schlechten Ruf bringen. Man ging als junge Dame der ersten Gesellschaft nicht allein mit einem Mann im Wald spazieren, auch nicht, wenn er ein König war. Gerade dann nicht.
Und für ihn selbst war die Begegnung nicht weniger unangenehm, war sie doch geeignet, ihm Konsequenzen aufzuzwingen, an die er bisher nicht ernsthaft gedacht hatte.
Aber würde das wirklich unangenehm für ihn sein? War die Liebe dieses jungen Mädchens an seiner Seite, das noch dazu aus einer der ersten Familien stammte, nicht ein wundervolles Geschenk des Schicksals, das er nicht zurückweisen durfte?
Tiefe Zärtlichkeit durchflutete den hochgewachsenen Mann, als er auf Angelika herunterblickte, die so hilflos und verwirrt dreinschaute.
»Sie sollten ihm nachreiten, Angelika«, sagte er weich und sanft, »er liebt Sie. Es ist Eifersucht, die ihn davonjagt.«
»Aber er hat kein Recht zur Eifersucht«, rief sie da hell aus, »ich habe ihm nie Hoffnungen gemacht. Bitte, glauben Sie mir das, Herr von Wertach!«
»Liegt Ihnen denn so viel daran, daß ich Ihnen glaube?«
»Ja, sehr viel. lch möchte nicht, daß Sie denken, ich meine…« Sie brach verwirrt ab, wußte nicht, was sie weiter erklären sollte.
»Und warum?« entschlüpfte es ihm, und sofort biß er sich ärgerlich auf die Unterlippe.
Das hätte er nicht fragen dürfen, das nicht. Es forderte sie heraus, und er kannte Angelika bereits gut genug, um zu wissen, daß sie immer die Wahrheit sagte, daß sie nicht fähig war, ihre Gefühle zu verheimlichen.
Angelika hob den Kopf zu ihm auf und sah ihn mit ihren schönen klaren Augen offen an.
»Weil ich Sie liebe«, sagte sie einfach, »das wissen Sie doch, Herr von Wertach.«
»Kind«, erwiderte Rudolf, völlig aus der Fassung gebracht. »Sie wissen ja nicht, was Sie da sagen.«
»Ich weiß es sehr gut.« Angelika sah ihn unverwandt an, und ihr Gesicht schien zu leuchten. »Ich werde niemals einen anderen Mann lieben können als Sie, Herr von Wertach.«
Rudolf blieb stehen und ließ das Pferd los. Statt dessen nahm er, wie schon einmal, Angelikas Gesichtchen in beide Hände.
»Vergessen Sie diese Liebe, Kind«, murmelte er. »Ich bin ein alter Mann und passe nicht an Ihre Seite, obwohl Ihre Worte mich sehr glücklich machen. Jeder Mann würde durch ein solches Geständnis aus Ihrem Mund sehr glücklich, Angelika. «
»Das kann ich nicht. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an Sie, und ich wäre sehr unglücklich, wenn ich Sie nicht mehr sehen dürfte. Und das wollen Sie doch nicht, daß ich unglücklich bin?«
Rudolf schüttelte den Kopf und schaute unverwandt in das glühende Gesichtchen der Prinzessin.
Welch ein Schatz bot sich ihm da dar, welch ein namenloses Glück wollte da auf ihn zukommen.
Er riß sich fast gewaltsam zusammen und ließ sie los. Stumm ging er weiter.
»Verzeihen Sie mir«, murmelte Angelika ein wenig unglücklich, »ich hätte das natürlich nicht sagen dürfen, nicht wahr? Mama tadelt mich oft deswegen, daß ich mein Herz auf der Zunge trage.«
»Sie sollten auf Ihre Mama hören.«
Angelika schwieg. Ihr Gesicht war ein wenig blasser geworden. Es dämmerte ihr, daß sie sich schrecklich falsch benommen hatte. Was mußte er jetzt nur von ihr denken?
»Bitte«, bat sie schwach und mit fast ersterbender Stimme, »könnten Sie meine Worte nicht vergessen, wenn ich Sie sehr darum bitte? Ich möchte doch nichts weiter, als in Ihrer Nähe sein zu dürfen. «
»Nein«, lächelte Rudolf sanft, »vergessen werde ich Ihre Worte niemals. Aber wir wollen nie wieder darüber sprechen, einverstanden?«
Angelika nickte, aber sie hatte Tränen in den Augen.
*
»Die Marquise erwartet dich, Angelika«, sagte Helen de Ravoux, als Angelika zurückgekehrt war und gerade nach oben eilen wollte, um sich umzuziehen.
»Ich möchte mich erst noch rasch umkleiden«, sagte Angelika leise.
»Es ist besser, du gehst gleich zur Mama, Angelika.«
Die Prinzessin