Frau, die man zu heiraten gedachte.
Ihr Glück war unbeschreiblich. Geduldig wartete sie, daß er sich ihr erklären würde. Statt dessen kam eines Tages Michael von Seebach wieder nach Rothenstein.
Vergeblich hatte er in der vergangenen Zeit auf ein Zeichen Angelikas gewartet, auf einen Anruf, einen Brief, der ihm sagen würde, daß sie ihn vermißt hatte.
Aber nichts dergleichen war geschehen. Es war, als existiere er nicht mehr in der Erinnerung der jungen Prinzessin.
Michael von Seebach hatte darunter gelitten und seiner Mutter für ihren verhängnisvollen Ratschlag die bittersten Vorwürfe gemacht, aber Cäcilie hatte nur gelächelt.
»Du gibst zu schnell auf, Michael«, hatte sie gemeint, »es kann auch mädchenhafte Scheu oder damenhafte Zurückhaltung sein, die Angelika schweigen läßt. Das wirst du erst erfahren, wenn du ihr gegenüberstehst. Das Auge einer Frau kann nicht lügen.«
So war Michael von Seebach denn losgeritten und ohne Voranmeldung wie gewöhnlich auf Rothenstein erschienen.
Aber er traf nur Christina de Roussillon an, die heute früher als sonst am Kaffeetisch saß.
»Michael«, rief sie erstaunt, als sie ihn erblickte. »Sie noch hier? Ich glaubte Sie mit Angelika im Forst.«
Michael beugte sich zum Handkuß über ihre schmale Rechte.
»Ich bin wohl zu spät gekommen«, lächelte er verkrampft und bemühte sich, seine grenzenlose Enttäuschung zu verbergen. So hatte es Angelika ausgemacht, daß er fortgeblieben war. Sie hatte am Morgen nicht etwa auf sein Erscheinen gewartet, sondern sie war losgeritten, als sei das die selbstverständlichste Sache von der Welt.
»Das sollte bei einem Kavalier nicht vorkommen«, entgegnete Christina. »Ich glaube, Angelika wird es bedauern. Es ist das erste Mal, daß sie allein ausreitet, nicht wahr? Und es gefällt mir gar nicht. Einen Reitknecht hätte sie schon mitnehmen können, kennt sie den Forst doch noch keineswegs gut genug, um sich allein sicher darin bewegen zu können.«
»Ich weiß, und ich mache mir Vorwürfe. Wahrscheinlich zürnt mir die Prinzessin, weil ich einige Tage fortgeblieben bin. Ich war zur Jagd eingeladen und…«
»Was sagen Sie da?« fuhr Christina entgeistert auf. »Soll das heißen, daß Sie seit Tagen nicht mehr auf Rothenstein gewesen sind, um mit Angelika auszureiten?«
Michael von Seebach nickte unglücklich.
»Aber mein Gott, dann ist Angelika ja schon seit Tagen allein im Wald umhergestreift. Wie leicht hätte ihr etwas passieren können. Es gehört ein Moor dazu, und Angelika kennt es nicht. Ich mache mir große Sorgen. Wollen Sie Angelika nachreiten und sie sicher zurückbringen, Michael, wenn ich Sie herzlich darum bitte? Ich weiß doch, was Angelika Ihnen bedeutet.«
»Sie wissen es, Christina?«
»Es war schwerlich zu übersehen.«
»Und Sie billigen meine Neigung?«
»Ich habe nichts gegen Sie persönlich, Michael. In der Tat mag ich Sie recht gern, aber entscheidend ist allein Angelika. Ich werde mich in ihre Herzensangelegenheiten keinesfalls einmischen. Es ist Ihre Sache, Graf Michael, Angelikas Herz zu erringen, wenn Sie sie zu lieben glauben. «
»Ich glaube es nicht nur, ich liebe Angelika wirklich. Und ich hatte so gehofft, daß ein paar Tage der Trennung…«
Er brach ab, unfähig, weiterzusprechen.
Christina de Roussillon sah ihn mitleidig an.
»Ich verstehe«, meinte sie leise. »Sie wollten sich Klarheit verschaffen.«
Eine Weile herrschte bedrückendes Schweigen.
Christina wurde es plötzlich bewußt, daß Angelika kein Wort darüber verloren hatte, daß Michael ausgeblieben war, und jäh preßte eine unsichtbare Hand ihr Herz zusammen, und sie wurde blaß. War das wirklich nur Gleichgültigkeit Angelikas Michael gegenüber? Aber das paßte nicht zu Angelika. Als Freund betrachtete sie Michael gewiß schon lange, und Freunde waren ihr niemals gleichgültig gewesen. Es sei denn…
Christina wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken.
»Reiten Sie, Michael«, bat sie schwach, »reiten Sie und holen Sie mir Angelika zurück. Ich bitte Sie! Ich habe namenlose Angst um Angelika.«
Michael verbeugte sich und eilte auch schon davon. Gleich darauf ritt er im Galopp vom Schloßhof.
Christina schaute vom Fenster aus hinter ihm her, eine Hand auf ihr wildklopfendes Herz gepreßt
»Was ist dir, meine Liebe?« fragte hinter ihr Helene de Ravoux erstaunt. »Du siehst erregt aus, Christina. «
Die Marquise erzählte der bejahrten Freundin, was vorgefallen war.
»Es gibt eigentlich nur eine vernünftige Erklärung für das sonderbare Verhalten Angelikas«, meinte Helene de Ravoux nach einer Weile.
»Oh, sprich es nicht aus, Helene! Es wäre zu fürchterlich.«
»Du kannst den Tatsachen nicht ausweichen, Christina. Schon einmal hat das eine Frau versucht, und du weißt, welch bitteres Ende das alles genommen hat. Unendliches Herzeleid hat es über sie gebracht, und sie starb an gebrochenem Herzen. Willst du zulassen, daß Angelika das gleiche geschieht? Sie hat das starke Herz ihrer…«
»Ich weiß es, Helene, und ich fühle mich entsetzlich schuldig. Ich habe meine Pflicht versäumt. Ich hätte mehr auf Angelika achten müssen. Wenn wirklich ein Mann dahintersteckt, so kann es kein ebenbürtiger sein, sonst hätte Angelika ihn mir vorgestellt und nicht diese Heimlichkeiten vor mir gehabt. «
»Das will ich nicht sagen, Christina. Die erste Liebe ist besonders süß, wenn sie ein Geheimnis der Liebenden bleibt. Zudem konntest du nicht ahnen, daß Graf Michael verreist war.«
»Trotzdem, Helene, ich mache mir Vorwürfe.«
»Sie sind verfrüht, Christina. Vielleicht hat Angelika ihr Herz an den Richtigen verloren. Vielleicht billigst du ihre Wahl.«
»Niemals! Was so mit Heimlichkeiten begann, muß irgendwie das Licht des Tages scheuen.«
»So wenig vertraust du Angelika?«
»Ich vertraue ihr vollständig, aber sie ist jung und unerfahren und hat ein leicht entflammbares Herz.«
»Davon war nichts zu merken, als es um Graf Michael ging. Fürchtest du nicht in erster Linie, Angelika an einen Mann zu verlieren? Sie zurücklassen zu müssen auf Rothenstein, wenn der Tag gekommen ist, an dem wir beide selbst zurückreisen werden?«
»Ich hätte nichts gegen den jungen Grafen von Seebach einzuwenden gehabt. «
»Weil du längst weißt, daß Angelikas Herz nicht für ihn schlägt. Du belügst dich selbst, Christina.«
Christina de Roussillon senkte den Kopf und schwieg.
*
Michael von Seebach war indessen in wildem Galopp davongeprescht. Aber bald schon zügelte er sein Pferd.
Wo nur, um alles in der Welt, sollte er Angelika suchen? Er war kein Indianer, der sich aufs Fährtenlesen verstanden hätte, und der Forst war groß. Zudem grenzte dieser noch an den nachbarlichen Forst.
Nur so viel war dem jungen Grafen bald klar, daß er nicht an Stellen suchen durfte, die Angelika bereits gut kannte.
So ritt er ziellos dahin, horchte auf jeden Laut und rief hin und wieder Angelikas Namen.
Mehrfach hatte er sich der Grenze des Waldes genähert, einen großen Bogen geschlagen und sich erneut auf die Suche gemacht. So war er wieder der nachbarlichen Grenze nahe gekommen.
Gerade wollte er sein Tier wenden, als er Stimmen hörte.
Er zügelte sein Pferd und wartete gespannt.
Helles Frauenlachen klang auf, und Michael erkannte an dem Lachen Angelika.