Joe Barry

Privatdetektiv Joe Barry - Gnadenlose Jagd


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tief unter den Bäumen lag Einen Augenblick zögerten sie, als sie die verkohlten Trümmer erreichten, aber dann entdeckten sie die Leiche, und Hunderte von gierigen Zangen begannen ihr gefräßiges Werk.

      *

      Ein paar tausend Meilen von dieser Stelle entfernt, im New Yorker Stadtteil Bronx, nahm der Mann, den gewisse Kreise mehr fürchteten als Cholera und Inflation, nämlich Privatdetektiv Joe Barry, den Telefonhörer ab und sagte:

      „Ja, ich bin es persönlich.“

      „Fein, daß ich Sie antreffe, Mr. Walker“, sagte eine tiefe, fettige Stimme. Unwillkürlich nahm Joe Barry etwas Abstand zum Hörer.

      „Hier spricht Ringo Tyndall“, fuhr der Anrufer gewichtig fort.

      Joe notierte sich den Namen auf einen Zettel.

      „Ja, und?“ fragte er.

      „Ich habe einen Fall für Sie. Ich erwarte Sie in einer halben Stunde in meinem Appartement im Hotel The New Yorker’.“

      „Langsam, Mr. Tyndall“, sagte Joe und überlegte, woher er den Namen kannte, „drücken Sie sich etwas deutlicher aus. Ich mache nicht gern vergebens Besuche.“

      „Ich bin Ringo Tyndall“, sagte der Anrufer gekränkt. „Sagt Ihnen das nichts?“

      „Nein“, sagte Joe, doch dann fiel es ihm ein. Den Namen Tyndall kannte er. Er war gerade erst durch die Zeitungen gegangen. Paul Tyndall, ein schwerreicher amerikanischer Plantagenbesitzer aus Brasilien, war vor wenigen Tagen in New York eingetroffen, um seinen jährlichen Urlaub in den Staaten zu verbringen. Kurz nach seiner Ankunft war Tyndall erkrankt und gestorben. Die Gesellschaftsspalten hatten darüber berichtet, wie sie über jeden Amerikaner oberhalb der Fünfhunderttausenddollarklasse berichteten.

      „Haben Sie etwas mit Paul Tyndall zu tun?“ erkundigte sich Joe.

      „Ich bin sein Sohn.“

      „Und worum handelt es sich?“

      „Es hat mit dem Tod meines Vaters zu tun, Mr. Walker. Können Sie nicht herkommen?“

      Joe warf einen Blick auf seinen Terminkalender.

      „Ich bin heute ziemlich ausgebucht, Mr. Tyndall. Heute nachmittag um vier ginge es. Aber mir wäre es lieber, Sie kämen zu mir.“

      „Das geht leider nicht. Heute nachmittag wird mein Vater beerdigt. Aber wir können uns am Friedhof treffen, nach der Beerdigung. Es ist der Central Cemetery Manhattan. — Sagen wir, vier Uhr fünfzehn?“

      „Okay“, sagte Joe, „geht in Ordnung.“

      *

      Die Gesellschaft war klein, gemessene Trauer lag auf allen Mienen. Joe saß auf einer Bank im Vorraum des Friedhofsgebäudes und beobachtete sie beim Herauskommen. Als zwei schwarzgekleidete Gentlemen auf ihn zutraten, erhob er sich.

      Der eine der beiden war untersetzt und hatte ein verfettetes Gesicht mit rötlichem Haar. Unablässig fuhr er sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Der andere war groß, hager und hatte ein faltiges, graues Gesicht mit schweren Tränensäcken. Er sah aus wie ein Bankier, der gewohnt ist, Absagen zu erteilen.

      „Mr. Walker?“ sagte der Dicke fragend, und als Joe nickte: „Ich bin Ringo Tyndall. Und das ist Richter Carrington.“

      Sie schüttelten sich die Hände.

      „Mr. Carrington war ein guter Freund meines Vaters“, sagte Tyndall. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Verdammte Hitze! Wie wäre es mit etwas Kaltem zu trinken? Ich lebe zwar schon seit Jahren in Brasilien, aber an die Hitze habe ich mich immer noch nicht gewöhnt — nicht einmal an die bescheidene Hitze, die ihr New Yorker habt!“

      „Hier in der Nähe gibt es eine Bar“, sagte der Richter. Er hatte eine hohle Stimme, die gut zu seinem Äußeren paßte.

      Joe konnte nicht sagen, daß Tyndall ihm übermäßig sympathisch war, und er hatte keine Vorstellung davon, welche Art von Auftrag man ihm zugedacht hatte. Im Laufe des Nachmittags hatte er einige Erkundigungen über die Tyndalls eingezogen und interessierte sich für diese Sippe.

      Zwanzig Minuten später hatten sie einen Manhattan Highball vor sich stehen.

      „Das also ist das Ende“, murmelte Ringo Tyndall. „Vater kränkelte schon lange, aber trotzdem kam es plötzlich. Es war ein harter Schlag für mich, als ich das Telegramm bekam. Er wirkte in keiner Weise kränklich, als er abreiste, ganz im Gegenteil. — Aber wahrscheinlich langweilt Sie das nur.“

      „Keineswegs“, sagte Joe, „mich interessiert alles. Ihr Vater starb an einer unbekannten Viruskrankheit, die er sich vermutlich in Brasilien zugezogen hat. Genaues wissen die Ärzte nicht. Er hinterläßt ein Vermögen von rund fünf Millionen Dollar. Dazu kommt noch ausgedehnter Grundbesitz in Brasilien und eine Aktienbeteiligung an einer Bank in Recife, Er hat ein Testament hinterlassen, dessen Inhalt ich nicht kenne. Aber vermutlich sind Sie, Richter Carrington, der Testamentsvollstrecker. Sie waren sein bester Freund. Sie beide kannten sich, seit Sie im Jahre 1915 zusammen in Princeton studierten.“

      Tyndall starrte ihn mit offenem Mund an.

      „Teufel! Sie reden wie einer, der Bescheid weiß!“

      „Ich habe mich erkundigt“, sagte Joe lächelnd. „Das beschleunigt das Verfahren. Aber ich kann mir nicht recht vorstellen, wozu Sie mich brauchen. Ich nehme an, das Testament enthält irgendwelche Klauseln.“

      „Genau das tut es“, sagte Tyndall hastig. „Ja, Sie scheinen wirklich der richtige Mann zu sein. Sie verlieren keine Zeit und erkennen sofort das Wesentliche. Es handelt sich um das Testament.“

      „Und um fünf Millionen Dollar.“

      „Genau. Richter Carrington, erklären Sie Mr. Walker unser Problem.“

      Der Richter — er wurde so genannt, weil er früher einmal Richter gewesen war; jetzt besaß er eine Anwaltskanzlei in Manhattan — räusperte sich.

      Der Verstorbene hinterließ ein Testament, in dem er mich zum Testamentsvollstrecker machte, wie Sie schon richtig vermuteten. In dem Testament setzte er seinen Sohn Ringo zum Alleinerben ein und beschwerte ihn nur mit einigen unwesentlichen Legaten, die zwanzigtausend Dollar nicht übersteigen.

      Aber die Erbeinsetzung erfolgte unter einer Bedingung: Ringo Tyndall muß den Nachweis erbringen, daß sein Bruder Aaron nicht mehr lebt. Aaron Tyndall, der jüngere Sohn des Erblassers, ist seit einigen Jahren in Brasilien verschollen. Der Verstorbene hat dann weiter verfügt, daß beide Söhne zu beiden Teilen erben, wenn Aaron lebt. Wird aber der Nachweis seines Todes nicht erbracht, bleibt es beim bisherigen Zustand, dann wird Ringo enterbt. Das ganz Vermögen fällt dann an die Carrington-Stiftung!“ Er hüstelte. „Das ist eine wohltätige Stiftung, die ich selbst ins Leben gerufen habe und die sich mit Erfolg darum bemüht, entlassene Strafgefangene zu resozialisieren. Ich kam bei meiner Tätigkeit als Strafverteidiger auf diese Idee.“

      „Mit anderen Worten: Ringo erbt nur, wenn er beweist, daß sein Bruder tot ist, oder wenn er ihn lebend auffindet. Im ersten Fall alles, im zweiten die Hälfte. Es geht darum, Aarons Schicksal zu klären.“

      „Genau darum geht es“, knurrte Tyndall gereizt. „Eine fast unmögliche Aufgabe. Dafür brauche ich Sie.“

      „Wieviel Zeit gibt Ihnen das Testament?“

      „Drei Monate, vom Todestag an gerechnet.“

      „Nicht sehr viel“, meinte Joe. „Und wie soll der Beweis geführt werden?“

      „Durch eine amtliche Todeserklärung der amerikanischen Regierung; mein Bruder war nämlich Amerikaner.“

      „Er ist verschollen“, sagte Joe nachdenklich. „Gibt es nicht nach einer bestimmten Frist automatisch die Todeserklärung?“

      „Nach fünf Jahren“, bestätigte Richter Carrington, „jedenfalls nach dem Recht des Staates New York, das hier anzuwenden wäre. Aber Aaron ist