der Verantwortung, dem Salat und den aufgezwungenen Routinen, denn auf irgendeine Weise hat Katrine immer gewußt, daß sie es mit einem widerwilligen Idealisten zu tun hat. Das gefällt ihr überhaupt nicht, und sie versucht, das zu verbessern. Aber in lichten Stunden macht sie sich auch gern über ihre Freundinnen lustig, die Männer haben, die auf dem Papier behaupten, gleich mit ihnen teilen zu wollen, ohne einzusehen, was ich längst getan habe, daß wir Männer einfach nicht gut genug sind. Katrine ist auch stolz auf meinen literarischen Erfolg, es gefällt ihr, wenn etwas über mich in der Zeitung steht, und es gefällt ihr auch, obwohl sie das niemals zugibt, daß ich mehr als sie für dieses System bezahle, das sie als gerechte Verteilung bezeichnet.
Nun gut.
Wir sind in Gang. Wir sitzen vor unseren Salatschüsseln in der großen, gemütlichen und altmodischen Küche in einem Haus, in dem ein Mord begangen worden ist – und der Abend nähert sich in sanftem, sommerlichem Trab. Katrine und ich trinken Rotwein, die Kinder Saft. Und ungefähr mitten im Nachtisch fragen Thomas und Hanne, ob sie nach draußen gehen dürfen.
»Können wir ans Meer gehen, Mama?«
»Ja, ja«, seufzt Mama. »Ihr seid jetzt sicher satt.«
Man könnte meinen, daß in diesem Seufzer eine Art freundliche Resignation liegt, ein Wiedererkennen der Gelüste der eigenen Kindheit, und das stimmt vielleicht auch, aber darin versteckt sich auch eine subtile Anspielung auf zwei kleine, aber dennoch unglückselige Tatsachen:
1 die Kinder hätten ihren Salat aufessen müssen, und
2 Vater hätte ihnen im Supermarkt, wo wir angehalten hatten, um nach dem Weg zu fragen, nicht dieses große Eis kaufen dürfen.
»Aber bleibt nicht lange«, sagt sie. »Und seid vorsichtig.«
Mutter und Vater sitzen nun vor ihren Weingläsern. Vater gießt ihr den letzten Rest ein, sie legt eine schlanke Hand über das Glas, aber erst, nachdem es voll ist, denn das Signal bezieht sich nicht auf sie, sondern auf mich, und will sagen, es sei nicht notwendig, noch eine Flasche zu öffnen. Aber das macht Vater jetzt. Vater scheißt auf ihre kleinen Signale und auf ihre schlummernden Alkoholikertendenzen. Er hat Urlaub. Er ist weit gefahren, wir kommen den ganzen Weg aus Tromsdalen, und er fischt einen neuen Rotwein aus dem Schrank, wo die beiden mitgebrachten Kisten ihren natürlichen Platz gefunden haben, öffnet sie, schenkt sich ein und nimmt einen großen Schluck – ahhh!!! –, stochert ein wenig in seinem Salat herum und seufzt erleichtert auf.
Katrine:
»Was war das eigentlich für ein Mord?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du nicht gefragt?«
»Nein, das ist doch wirklich schnurz. Ein Haus verändert sich doch nicht, bloß, weil darin jemand umgebracht worden ist.«
»Woher willst du das wissen?«
Diese Frage wirft mich tatsächlich mehr oder weniger um.
»Nein, da hast du vielleicht recht. Wir können ja anrufen und uns erkundigen.«
»Nein, nein, so war das nicht gemeint.«
Sie trinkt, und ich sehe, daß das genau so gemeint war, daß ich morgen den Makler anrufen und mich genauer nach dem Mord erkundigen muß, ohne das auf ihren Befehl hin zu tun.
Danach stehe ich auf, gehe mit dem Rotweinglas zum Spülstein und mache mich an den Abwasch, um ein wenig Goodwill auf mein Konto einzuzahlen, obwohl das keinen Zweck hat, denn Katrine fängt sofort an zu putzen. Sie putzt die Schlafzimmer, lüftet auf dem Söller die Bettwäsche aus, putzt die Kinderzimmer, den Küchenboden ... ist viel länger mit ihren Pflichten beschäftigt als Vater, und ist erst fertig, als er seine Schreibmaschine am Fenster des einen Schlafzimmers im ersten Stock aufgebaut hat, als er sich hingesetzt hat, um seinen unmöglichen Roman zu vollenden, und als sich der zweite Schnaps schon der Neige nähert.
»Was für ein herrliches Zimmer«, sagt sie hinter mir, warm von ihrem Einsatz. Ich habe mir natürlich das schönste Zimmer unter den Nagel gerissen, das mit Blick auf Garten und Fjord. Aber das findet ihre volle Billigung, Schreiben ist jetzt nämlich wichtig. Es gab eine Zeit, als es für uns beide selbstverständlich war, daß ich einen Roman nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelte und am laufenden Band von Buchklubs eingekauft wurde, eine Zeit, als mein Schreiben von Katrine sogar kritisiert wurde, da es den Kindern und meinen Pflichten soviel Zeit stahl. Aber nachdem ich vor vier Jahren einfach steckenblieb und ein Roman pro Jahr keine alljährliche Selbstverständlichkeit mehr war, merkte Katrine, daß sie ihr fehlten, die Romane (sie ist eine meiner überzeugtesten Anhängerinnen), die Zeitungsartikel und natürlich: das Geld. Wir haben im Laufe dieser Jahre auch die Vierzig hinter uns gebracht und sind zu der Erkenntnis gekommen, daß wir in unserer lauten Jugend gefährlich viel für selbstverständlich gehalten haben. Deshalb ist sie zum reinen Engel geworden, wenn es darum geht, dem Ehemann Ruhe für seine Kunst zu verschaffen. Zum Beispiel ist es ihre Idee, daß wir diese drei Monate hier im Süden verbringen, obwohl meine Unterschrift so schicksalsschwanger auf dem Mietvertrag steht.
»Wenn wir nur irgendwohin fahren könnten, wo du deine Ruhe hast«, seufzte sie irgendwann im Winter, als ich nach einer recht ausgedehnten Sauferei einen milden Zusammenbruch erlitt und ihr durch einen Tränenstrom, so weit ich mich erinnere, erzählte, daß es unmöglich ist, auf Bestellung zu schreiben, zu wissen, daß die eigene Kunst Skiausrüstung und Essen besorgen und die Stromrechnungen bezahlen soll ... für eine ganze Familie.
»Ja, ja«, sagte ich zu ihrem Vorschlag. »Vielleicht könnten wir im Sommer in den Süden fahren ...«
Statt noch eine Expedition nach Nordfinnland, Spitzbergen oder an die schwedische Küste auszurüsten ...
»Ja, das machen wir«, sagte Katrine.
Und vergaß es. Also ging mir im Mai auf, daß ich handeln mußte, ehe ein anderer Plan in die Tat umgesetzt wurde, der ganz langsam anfing, Form anzunehmen. Murmansk, das im Laufe der letzten Jahre westlichen Touristen zugänglich gemacht worden war. Deshalb handelte ich noch am selben Tag, telefonierte und mietete ein Spukhaus in Drøbak. Wir haben außerdem Freunde da in der Gegend, auch sie schreibende Menschen. Ein Ehepaar in unserem Alter, das später im Sommer herkommen wird, Freunde, mit denen wir in den neun langen Jahren, die wir nun schon im Norden wohnen, Kontakt gehalten haben.
»Was die Kinder wohl machen?« fragt Katrine.
Die Kinder, ja.
»Sollen wir mal nachsehen, ob wir sie vielleicht finden?«
»Warum nicht?«
Sie zieht eine Jacke über ihr weißes Baumwollkleid. Ich gehe in Hemdsärmeln. Wir verlassen das Haus, bleiben davor stehen und sehen es an, ein schönes Haus, wir lächeln uns zu, fassen uns bei den Händen und gehen langsam über den Rasen zur Straße und zur See, auf allen Seiten umgeben von Flieder und grünen Birken, erzählen uns gegenseitig, daß in Tromsø noch Schnee liegt, und spüren, wie schön es ist, hier zu sein. Und während wir zwischen den kleinen, weißen idyllischen Häuslein dahinspazieren (was mich betrifft, nett angeschwipst), denke ich noch einmal gründlich über unsere seltsame Ehe nach, die ich zeitweise als leicht langweiligen Roman von Alain Robbe-Grillet betrachtet habe, als Lebensform, die ich nur ertrage, um zu sehen, wie der Schluß ausfallen wird, ohne je so weit zu kommen. Ich spiele ganz leicht mit dem Gedanken, unseren Aufenthalt hier unten dauerhaft werden zu lassen, denn wie alles andere in meiner politischen Karriere (die peinlich genau mit meiner persönlichen und beruflichen übereinstimmt) war auch der Umzug in den Norden nur halbherzig. Ich gab nach, als Katrine nach dem Examen erklärte, daß unser nördlicher Landesteil »uns braucht«, bewußte Lehrerinnen wie sie und gesellschaftlich engagierte Schriftsteller wie mich. Und das ist ja auch ein bißchen schmeichelhaft. Ich fand es dann auch sehr schön im Norden, in den ersten drei, vier Jahren, ehe mir so langsam bewußt wurde, daß ich diesmal wohl zu weit gegangen war. Ein Gefühl, das von da an immer nur stärker wurde, so daß ich mich in finsteren Momenten frage, ob ich daraus eine richtige Bruchsituation machen und also in einem Aufwasch die Scheidung einreichen soll. Aber der Gedanke, in Oslo zu wohnen, wo ich am liebsten wohnen