Roy Jacobsen

Punkt - Punkt - Sommer - Strich


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lassen uns doch nicht scheiden!«

      »Nein, zum Glück nicht«, sage ich und lasse mich auf den Stuhl fallen, der, wie ich weiß, für den Rest des Sommers meiner sein wird, auf den Stuhl, der übrig bleibt, nachdem sich die anderen nicht nur ihre Lieblingsstühle ausgesucht, sondern außerdem wortlos untereinander abgemacht haben, wo Vater zu sitzen hat. Am besten setzen wir ihn neben die Tochter auf die eine Längsseite. Mutter sitzt an der Querseite – die andere stößt gegen die Fensterwand –, und auf der anderen Längsseite, Vater und Tochter gegenüber, sitzt der hochaufgeschossene Sohn.

      »Na, wie war es heute nacht?« fragt Katrine und reicht mir die Teekanne, setzt sie wieder ab, ohne daß ich ein Wort zu sagen brauchte, und holt statt dessen den Kaffee, gießt Kaffee in meine Teetasse, normalerweise muß ich mir selber einschenken.

      »Ganz toll«, sage ich wahrheitsgemäß. »Bloß habe ich heute morgen alles noch mal von Anfang an gelesen, und es taugt nichts.«

      »Was sagst du da?«

      »Nein, ich muß es wohl umschreiben.«

      Das sage ich leichthin, denn ich habe wieder Lust zu schreiben, und ich weiß, es wird mich nicht mehr als drei, vier Wochen kosten, den Unfug zu verbessern, der in dieser ganzen langen Zeit krank danieder gelegen hat. Meine Leichtigkeit paßt schlecht in den gesellschaftlichen Zusammenhang, meine Frau betrachtet sich nämlich als eine Art Lektorin. Sie hat das Manuskript gelesen und es über die Maßen gelobt, und deshalb gefällt es ihr nicht, daß ich es jetzt einfach runtermache, aber da kann man nichts machen.

      »Lies das noch mal«, sage ich. »Dann verstehst du, was ich meine.«

      »Ich versteh auch ohne es zu lesen, was du meinst«, sagt mein Sohn, zu dem ich ein sehr vorurteilsloses Verhältnis habe, ein Verhältnis, das an Gleichgültigkeit grenzt, von meiner Seite aus, solange ich sehe, daß er frisch und gesund ist, wohlgemerkt. »Du schreibst die ödesten Bücher, die ich kenne.«

      »Du hast doch gar keins gelesen.«

      »Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß du dir etwas Witziges ausdenken kannst.«

      Auch das ist ein Jux. Mein Sohn und ich wissen nämlich, daß für die absurden Einfälle, die ab und zu unser ordentliches Leben aufleuchten lassen, nur einer steht, und zwar Vater.

      Und nun machen wir uns an unser erstes Sommerfrühstück, und da klar ist, daß Vater arbeiten muß, weshalb er von der Aufgabe befreit ist, die heranwachsende Generation zu unterhalten, bitten sie um die Erlaubnis, verduften zu dürfen, die sie erhalten, mit weniger Hin und Her als sonst. Aber als sie das Haus verlassen haben, stellt sich heraus, daß Katrine folgendes auf dem Herzen hat:

      »Hast du angerufen?«

      »Angerufen? Wen?«

      »Den Makler. Du wolltest dich doch nach dem Mord erkundigen?«

      »Nein, das habe ich vergessen. Kannst du das nicht machen?«

      »Nee ...«

      »Dann vergessen wir die ganze Geschichte einfach, ja?«

      »Man kann nicht auf Kommando vergessen, John. Außerdem finde ich das spannend.«

      »Dann ruf selber an, ich habe im Grunde etwas anderes zu tun.«

      »Na, so wichtig ist das ja auch wieder nicht.«

      Das ist auch ein Aspekt unserer Arbeitsteilung; was ich gerne mache, wird nicht ohne weiteres zu meiner Aufgabe, während das, was sie mag, sofort zu ihrer wird. Das, was wir beide nicht mögen, wird dagegen – nicht ganz und gar zu meiner Aufgabe (so despotisch ist sie nicht) sondern – von Katrine verteilt, was nicht unbedingt bedeutet, daß sie sich selber verschont. Ganz im Gegenteil, sie verschont sich nicht, und dadurch bleibt ihr das Recht, die Leitung zu behalten. Aber jetzt hat sie soviel persönliches Engagement gezeigt, daß diese Ordnung ihren wegweisenden Effekt verliert. Ich kann mit gutem Gewissen aufstehen, abräumen und die vier Teller, die vier Messer und die vier Gläser spülen, kann den Tisch abwischen und mit meiner Tasse und der Kaffeekanne hinauf in mein Nest im ersten Stock gehen, um einen Tag voller berauschender und konzentrierter Einsamkeit an der Schreibmaschine zu beginnen. Aber so kommt es dann doch nicht. Katrine stört mich schon nach einer halben Stunde.

      »Da geht niemand ans Telefon«, sagt sie mit besorgt gerunzelter Stirn, mit der Falte, die sonst für die literarischen Aktivitäten des Hauses reserviert ist.

      »Na und?« erwidere ich gereizt.

      »Nein, das hat vielleicht nichts zu bedeuten, aber es ist doch eine Maklerfirma mit vielen Angestellten.«

      »Vielleicht machen sie Urlaub.«

      Ich habe mich wieder meinem Blatt Papier zugewandt. Dort lese ich: »Als er ihr die Hände um den Hals legt, um den Samt in der Schönheit dieses lebenden Wesens in sich aufzunehmen ...« und denke, daß das doch wirklich nur Gefasel ist, und wenn ich auf mehr Stellen von dieser Art stoße, dann habe ich es, mit Verlaub, nicht mit einem Roman, sondern nur mit einem Abschluß zu tun, den ich heute nacht auf Grund der Annahme verfaßt habe, das Vorausgegangene sei etwas ganz anderes als das, als was es sich nun mit immer größerer und peinlicherer Deutlichkeit entpuppt.

      »Die können doch nicht jetzt schon Urlaub machen!«

      »Und was soll ich dagegen tun?! Jetzt reg dich ab, Katrine, und laß mich in Ruhe!«

      Ich mache mich abermals über mein Machwerk her, mit Todesverachtung, lese eine pathetische Formulierung nach der anderen, schreibe sie um und habe eine mittelmäßige Einleitung, als Katrine eine Stunde später abermals in den Hoheitsbereich der Kunst einbricht, diesmal mit folgender Mitteilung:

      »Er wollte es mir nicht sagen.«

      »Wer – wollte dir was nicht sagen?«

      »Der Makler. Er wollte mir nichts über den Mord erzählen. Er hat gesagt, er wolle mir keine Angst einjagen. Und als ich gesagt habe, daß er mir auf diese Weise viel mehr Angst macht, hat er nur gelacht. Aber das war kein beruhigendes Lachen, es hörte sich eher so an, als ob er wüßte, daß es vielleicht wieder passieren könnte ...«

      »Katrine!!!«

      »Ja?«

      »Wüßte, daß es vielleicht wieder...? Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn!«

      »Doch, natürlich, er will uns austricksen, verstehst du das nicht?«

      »Jetzt reißt du dich zusammen, meine Liebe. Ich arbeite. Kannst du nicht mal in den Ort gehen, einkaufen, baden, ein Buch lesen – wir haben doch Ferien, Katrine!«

      Sie bleibt noch stehen, schaut aus dem Fenster und murmelt:

      »Ja, das kann ich wohl.«

      Und ich stürze mich auf Seite vier, besessen von einem immer stärker werdenden Gefühl, daß ich, wenn es nicht bald besser wird, die nächsten drei Monate damit verbringen werde, einen Roman einem Abschluß von sechs maschinengeschriebenen A 4-Seiten, Zeilenabstand 2, anzupassen. Nun, viele Jahre in der Branche haben mir beigebracht, daß solche Gedanken beiseitegeschoben werden müssen, sie werden erst behandelt, wenn kein Weg mehr daran vorbei führt. Aber ich komme heute nicht weit, ich komme weder weiter noch höher, denn jetzt steht plötzlich unten im Garten ein Mann und blickt zu meinem Fenster herauf. Ein Mann von Mitte 30, in Jeans und Flanellhemd und abgenutzten Turnschuhen, ein kräftig gebauter Mann mit strohblonden halblangen Haaren und einem weißen Lächeln in einem braunen Gesicht. Er signalisiert mit der Hand, ich solle das Fenster öffnen. Also öffne ich das Fenster, das hätte ich schon längst tun sollen, – öffne das Fenster und lasse den Sommer herein – und beuge mich über die Schreibmaschine. Der Fremde sagt, noch immer lächelnd:

      »Wir sind Nachbarn, ich dachte, ich sag einfach mal guten Tag, oder störe ich?«

      »Nicht, wenn du mir von dem Mord erzählen kannst.«

      »Was?«

      »Hier soll einmal ein Mord geschehen sein, weißt du etwas darüber?«

      »Nein