Klaus Mann

Der Kaplan


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      26. INNEN, WOHNZIMMER …: Die KINDER singen – mit ziemlich dünnen, zittrigen Stimmen. Als ERNESTO an der Treppe erscheint, hören sie sofort auf. Die folgende Szene spielt sich in atemberaubendem Tempo ab. Mit erstaunlicher Gewandtheit rennt ERNESTO die Treppe hinab, während die ZWEI SOLDATEN durch die Dunkelheit des oberen Korridors stolpern.

      ERSTER & ZWEITER SOLDAT (gleichzeitig): »Stoppt den Schweinehund … Haltet ihn fest … Lasst ihn nicht entkommen …«

      Panik erfasst die FRAUEN und KINDER. ERNESTO hat die Tür zur Straße schon erreicht. Er steht mit dem Rücken zur Tür – schwer atmend richtet er die Pistole auf die verschreckte Versammlung.

      LIEUTENANT (starrt ihn an, als wäre er eine Teufelserscheinung): »Ja, das ist er … dasselbe Monster, genau …«

      ERNESTO (bedroht die Menge mit der Pistole; auf Italienisch): »Ich töte jeden, der sich bewegt.« (Er wiederholt die Drohung auf Englisch:) »Jeder … der … bewegt … tot –: sofort!«

      SIG. SILOTTI (flüstert mit beinahe gelähmten Lippen; auf Italienisch): »Ernesto … das ist nicht wahr … mein Sohn …«

      ERNESTO (auf Italienisch): »Hast du nicht gehört, Mutter? Ich töte jeden, der sich bewegt. J e d e n!«

      SIG. SILOTTI: »Ernesto … Was hast du getan?«

      ERNESTO (hysterisch kreischend): »Ja, ich hab’s getan, Mutter! Ich habe über Funk Nachrichten übermittelt, ich habe unseren Leuten militärische Informationen gegeben …«

      SIG. SILOTTI: »An u n s e r e Leute, Sohn? Das sind nicht unsere Leute, das sind Feinde. Sie haben unseren Padre getötet …«

      ERNESTO: »Nicht unsere Leute, Mutter? Weißt du denn nicht, wer meine Nachrichten empfangen hat?«

      SIG. SILOTTI (fast tonlos): »Dein Vater …«

      ERNESTO (in einer Art wahnsinnigem Triumph): »Natürlich war es Vater – wer sonst? Er ist bei den Faschisten! Ich bin bei den Faschisten – und ich bin stolz darauf!«

      KAPLAN: »Ernesto! Hör mir zu! Du bist ja verrückt! Gib mir den Revolver!«

      ERNESTO: »Hier sind Sie also, Priester? Ich wusste, Sie würden mich verraten – ich wusste, das alles war eine Falle: Das habe ich die ganze Zeit gewusst! Sie schleimiger Heuchler! Sie Spitzel! Sie … Sie Christ! …« (Die Pistole auf den Kaplan gerichtet, versucht er, die Tür mit dem Ellbogen des linken Arms zu öffnen. Mit zischender Stimme:) »Ich töte dich, Verräter – und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser verkommenen Welt tue!«

      Er hat es geschafft, die Tür zu öffnen, und macht einen Schritt rückwärts, sodass er jetzt draußen steht – noch immer hat er die Versammlung im Blick und noch immer bedroht er sie mit dem Revolver. Doch nun konzentriert er sich ganz auf den Priester. Er starrt ihn mit unbeschreiblichem Hass an und wiederholt seine Drohung – jetzt in gebrochenem Englisch.

      ERNESTO (zischt; auf Englisch): »Töte dich, Priester … Töte dich … Töte … töte … töte …«

      Der junge LIEUTENANT nutzt den Wechsel in ERNESTOS Aufmerksamkeit aus: Er zieht seine eigene Pistole und zielt auf den hysterischen Krüppel.

      LIEUTENANT: »Das reicht jetzt, Buckliger.«

      ERNESTO (zuckt zusammen; kreischt): »Buckliger …«

      Der LIEUTENANT schießt. ERNESTO, ins Herz getroffen, fällt und rollt die Stufen hinunter.

      SCHNITT AUF:

      27. AUSSEN, STRASSE …: Vor dem Haus. ERNESTO rollt die Stufen hinunter und liegt mit dem Gesicht im Schlamm. Der KAPLAN stürzt aus dem Haus, die Stufen hinunter; beugt sich über den sterbenden Jungen.

      KAPLAN (auf Italienisch): »Ernesto … Ernesto … Kannst du mich hören?«

      ERNESTO (sein Körper zuckt in letzten Konvulsionen; er starrt den Kaplan an; murmelt): »Geh weg … hau ab … Verräter …«

      KAPLAN: »Ernesto … willst du nicht beten?«

      ERNESTO (starrt ihn unentwegt an): »Zur Hölle mit dir … du Schwindler … zur Hölle mit euch allen … zur Hölle … zur Hölle …« (Er stirbt.)

      Inzwischen hat sich eine Menschenmenge angesammelt – bestehend aus GIs, DORFBEWOHNERN und allen TEILNEHMERN DER FEIER. SIGNORA SILOTTI ist in den Armen einer der NONNEN ohnmächtig geworden. Einige der KINDER, die einen Halbkreis um diese Ansammlung bilden, fangen an zu weinen: das tote Gesicht – verzerrt und über und über mit Schlamm verschmiert – sieht beängstigend aus.

      EIN KLEINES MÄDCHEN (weinend; auf Italienisch): »Mutter … er ist so hässlich … Warum ist er so hässlich, Mutter?«

      KAPLAN: »Möge der Herr seiner armen Seele gnädig sein. Sein Gesicht sieht so aus, als hätte er die Hölle schon hier erlebt, auf Erden.«

      Mitleidig bedeckt er das schreckliche Gesicht mit einem Schal – demselben Schal, den er Ernesto als Weihnachtsgeschenk gegeben hatte.

      *

      Anmerkungen

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      Abb. 2 und 3: Original Typoskript Klaus Mann: The Chaplain,© Münchner Stadtbibliothek / Monacensia.

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