Klaus Mann

Der Kaplan


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      SCHNITT AUF:

      18. INNEN, WOHNZIMMER …: Jetzt festlich geschmückt, auf dem Weihnachtsbaum leuchten Kerzen, Kuchen und Süßigkeiten sind auf großen Tabletts schön ausgebreitet, Geschenke sind auf einem Tisch gestapelt. Das ROTKREUZ-MÄDCHEN und der junge LIEUTENANT bringen Becher und Silberbesteck aus der Küche, und JACK hat damit begonnen, die heiße Schokolade einzuschenken. Die KINDER warten – und beobachten alles genau.

      KAPLAN (hält die Nase über den Schokoladentopf): »Riecht gut, oder?«

      SIG. SILOTTI (an die Mütter und Nonnen gerichtet, die noch immer steif und aufrecht am neu entzündeten Kamin sitzen; auf Italienisch:) »Es tut mir leid, liebe Freundinnen, dass ich Sie habe warten lassen …«

      Während SIG. SILOTTI sich zu der Gruppe der Frauen am Kamin setzt, schwenkt die Kamera auf den KAPLAN, der am Tisch mit den Weihnachtsgeschenken steht. Nachdem er verschiedene Dinge in die Hand genommen hat, entscheidet er sich für einen dicken Wollschal.

      KAPLAN (an Sig. Silotti; auf Italienisch): »Signora, ich glaube, ich habe das Richtige gefunden. Wären Sie so freundlich, mich nach oben zum Versteck Ihres Sohnes zu begleiten?«

      SIG. SILOTTI (nervös): »Ja, Mister Padre, ja …« (An die anderen Frauen gewandt:) »Wenn Ihr mich bitte entschuldigt … Ich komme sofort zurück …«

      DIE FRAUEN (nicht ohne eine gewisse Distanz und Ironie; auf Italienisch): »Natürlich, Cara … Warum nicht … Lass dir Zeit …«

      SIG. SILOTTI (an den Kaplan gewandt; auf Italienisch): »Hier entlang, bitte, Mister Padre.«

      Als der KAPLAN und SIGNORA SILOTTI nach oben gehen, folgen ihnen die FRAUEN am Kamin mit verstohlenen Blicken und saurem Lächeln. Die knochige MATRONE flüstert ihrer Nachbarin zu:

      MATRONE: »Armer Mann: man sollte ihn warnen …«

      NONNE (mit dem Finger auf den Lippen): »Pst, pst, Cara …«

      Die Kamera schwenkt zurück zu SIG. SILOTTI und dem KAPLAN, die im Obergeschoss angekommen sind.

      SCHNITT AUF:

      19. INNEN, OBERGESCHOSS …: Ein schmaler Korridor vor Ernestos Zimmer. Vollkommene Dunkelheit – bis der KAPLAN und SIG. SILOTTI sich von der Treppe im Hintergrund nähern: die SIGNORA trägt eine kleine Lampe. Im trüben Licht werden eine niedrige, gewölbte Decke, anscheinend feuchte Wände und ein Steinfußboden sichtbar. – SIG. SILOTTI bleibt vor einer Tür stehen.

      SIG. SILOTTI (flüstert aufgeregt; auf Italienisch): »Wir sind da, Mister Padre. Dies ist sein Zimmer.«

      KAPLAN (auf Italienisch): »Nun, dann wollen wir hineingehen.«

      SIG. SILOTTI (flüstert): »Ja.« (Sie klopft an der Tür; dann, mit ängstlich leiser Stimme:) »Ernesto …«

      Keine Antwort.

      SIG. SILOTTI: »Ich verstehe das nicht … Er ist bestimmt in seinem Zimmer …« (Sie klopft erneut.) »Ernesto …«

      Wieder Stille. Dann ERNESTOS Stimme hinter der Tür.

      ERNESTOS STIMME (auf Italienisch): »Wer ist da?«

      KAPLAN (lachend): »Freunde.«

      SIG. SILOTTI (schnell; auf Italienisch): »Ich bin’s, Ernesto – Mutter.«

      ERNESTOS STIMME (auf Italienisch): »Wer ist der Mann bei dir?«

      SIG. SILOTTI: »Das ist Mister Padre – der Kaplan … Er kommt, um dir frohe Weihnachten zu wünschen, Sohn.«

      Nach einem weiteren Moment erwartungsvoller Stille öffnet ERNESTO die Tür. Er ignoriert den Kaplan und wendet sich direkt an seine Mutter.

      ERNESTO (auf Italienisch): »Hab ich dir nicht gesagt, Mutter, dass ich nicht gestört werden möchte …«

      SIG. SILOTTI (auf Italienisch): »Dies ist unser amerikanischer Padre, Sohn …«

      KAPLAN (auf Englisch): »Ich heiße Martin. Frank Martin.«

      ERNESTO (auf Italienisch): »Ich verstehe deine Sprache nicht.«

      KAPLAN (auf Italienisch): »Natürlich … ich bitte vielmals um Entschuldigung … Nun, wie dem auch sei, ich freue mich, dich endlich kennenzulernen.«

      SIG. SILOTTI: »Nun, Ernesto – willst du den Gentleman nicht hineinbitten?«

      ERNESTO (sieht sie an; öffnet den Mund, um etwas zu sagen, entscheidet sich dann anders und schweigt weiter – beißt sich auf die Lippe.)

      KAPLAN (schon halb im Zimmer): »Ich werde dich nicht lange stören, Ernesto.«

      SIG. SILOTTI (geht hastig zur Treppe): »Ich muss mich jetzt um die Kinder kümmern, entschuldigen Sie mich, Mister Padre. Ernesto zeigt Ihnen den Weg nach unten – tust du das, Ernesto?«

      ERNESTO (plötzlich mit einem hilflosen, furchtsamen Ausdruck in den Augen): »Aber, Mutter … bitte … Lass mich nicht mit ihm allein …«

      Aber seine Mutter ist bereits fort.

      KAPLAN (im Zimmer; auf Italienisch): »Kommst du nicht, Ernesto?«

      Widerstrebend kehrt ERNESTO in das Zimmer zurück und schließt hinter sich die Tür.

      SCHNITT AUF:

      20. INNEN, ERNESTOS ZIMMER …: Das winzige Zimmer – kalt und erbärmlich im Dämmerlicht einer heruntergebrannten Kerze – enthält nichts als ein schmales Bett, einen wackligen Stuhl und einen kleinen Tisch, der mit Büchern und Papier bedeckt ist. ERNESTO steht mitten im Raum und sagt kein Wort – sein Gesicht ist vor Misstrauen und Hass ganz angespannt.

      KAPLAN (nachdem er sich ein wenig umgeschaut hat; so fröhlich und beiläufig wie möglich; auf Italienisch): »Ein hübscher kleiner Raum. – Darf ich mich setzen?«

      ERNESTO antwortet nicht. Der KAPLAN setzt sich auf den einzigen verfügbaren Stuhl.

      KAPLAN: »Ich habe viel von dir gehört, Ernesto.«

      ERNESTO (mit möglichst rauer Stimme): »Was wollen Sie?«

      KAPLAN (unvermindert freundlich): »Hast du nicht gehört, was deine Mutter gesagt hat? Ich komme nur vorbei, um dir frohe Weihnachten zu wünschen.«

      ERNESTO: »Falls Sie hoffen, irgendwelche Informationen aus mir herauszulocken, können Sie genauso gut gleich wieder gehen. Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

      KAPLAN: »Du irrst dich …«

      ERNESTO: »Sie wären nicht der erste: Es sind schon andere Besucher hier gewesen, die das versucht haben. Ich wurde befragt, verhört, von Ihren Geheimdienstleuten ins Kreuzverhör genommen. Zwecklos. Ich weiß nichts, was von Bedeutung wäre. Ich habe nichts zu sagen.«

      KAPLAN: »Die Männer, die dich befragt haben, haben nur ihre Pflicht getan. Und was mich angeht, ich tue auch meine Pflicht. Ich möchte dir etwas geben, Ernesto – ein kleines Weihnachtsgeschenk von den Jungs im Hauptquartier. Nichts Besonderes – nur ein nützlicher Gegenstand. Hier ist er.« (Er reicht ihm den wollenen Schal.)

      ERNESTO: »Ich möchte keine Geschenke.«

      KAPLAN: »Sei nicht kindisch. Es ist ganz schön kalt hier: Ein guter Schal ist da genau richtig.« (Er legt den Schal Ernesto um den Hals.)

      ERNESTO (brummt etwas, das sowohl Dank wie Protest bedeuten kann.)

      KAPLAN: »Und jetzt, mein Junge, gehen wir nach unten.«