Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten


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bringen.“ Der Vater fürchtete den Bösen, und so schwer es ihm ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus in den Wald und verließ sie da mit traurigem Herzen.

      Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg nach Haus, konnten ihn aber nicht finden, sondern verirrten sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem Jäger, der fragte „wem gehört ihr Kinder?“ „Wir sind des armen Besenbinders Jungen“ antworteten sie und erzählten ihm daß ihr Vater sie nicht länger im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein Goldstück unter ihrem Kopfkissen läge. „Nun,“ sagte der Jäger, „das ist gerade nichts schlimmes, wenn ihr nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die faule Haut legt.“ Der gute Mann, weil ihm die Kinder gefielen und er selbst keine hatte, so nahm er sie mit nach Haus und sprach „ich will euer Vater sein und euch groß ziehen.“ Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück das ein jeder beim Aufstehen fand, das hob er ihnen auf, wenn sies in Zukunft nöthig hätten.

      Als sie herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines Tages mit in den Wald und sprach „heute sollt ihr euern Probeschuß thun, damit ich euch frei sprechen und zu Jägern machen kann.“ Sie giengen mit ihm auf den Anstand und warteten lange, aber es kam kein Wild. Der Jäger sah über sich und sah eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen „nun schieß von jeder Ecke eine herab.“ Der thats und vollbrachte damit seinen Probeschuß. Bald darauf kam noch eine Kette angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer Zwei: da hieß der Jäger den andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen, und dem gelang sein Probeschuß auch. Nun sagte der Pflegevater „ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte Jäger.“ Darauf giengen die zwei Brüder zusammen in den Wald, rathschlagten mit einander und verabredeten etwas. Und als sie Abends sich zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu ihrem Pflegevater „wir rühren die Speise nicht an, und nehmen keinen Bissen, bevor ihr uns eine Bitte gewährt habt.“ Sprach er „was ist denn eure Bitte?“ Sie antworteten „wir haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in der Welt versuchen, so erlaubt daß wir fortziehen und wandern.“ Da sprach der Alte mit Freuden „ihr redet wie brave Jäger, was ihr begehrt ist mein eigener Wunsch gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen.“ Darauf aßen und tranken sie fröhlich zusammen.

      Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem eine gute Büchse und einen Hund und ließ jeden von seinen gesparten Goldstücken nehmen so viel er wollte. Darauf begleitete er sie ein Stück Wegs und beim Abschied gab er ihnen noch ein blankes Messer und sprach „wann ihr euch einmal trennt, so stoßt dies Messer am Scheideweg in einen Baum, daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen wie es seinem abwesenden Bruder ergangen ist, denn die Seite, nach welcher dieser ausgezogen ist, rostet, wann er stirbt: so lange er aber lebt, bleibt sie blank.“ Die zwei Brüder giengen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so groß, daß sie unmöglich in einem Tag heraus konnten. Also blieben sie die Nacht darin und aßen was sie in die Jägertasche gesteckt hatten; sie giengen aber auch noch den zweiten Tag und kamen nicht heraus. Da sie nichts zu essen hatten, so sprach der eine „wir müssen uns etwas schießen, sonst leiden wir Hunger,“ lud seine Büchse und sah sich um. Und als ein alter Hase daher gelaufen kam, legte er an, aber der Hase rief

      „lieber Jäger, laß mich leben,

       ich will dir auch zwei Junge geben.“

      Sprang auch gleich ins Gebüsch und brachte zwei Junge; die Thierlein spielten aber so munter und waren so artig, daß die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten sie zu tödten. Sie behielten sie also bei sich, und die kleinen Hasen folgten ihnen auf dem Fuße nach. Bald darauf schlich ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschießen, aber der Fuchs rief

      „lieber Jäger, laß mich leben,

       ich will dir auch zwei Junge geben.“

      Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten sie auch nicht tödten, gaben sie den Hasen zur Gesellschaft, und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein Wolf aus dem Dickicht, die Jäger legten auf ihn an, aber der Wolf rief

      „lieber Jäger, laß mich leben,

       ich will dir auch zwei Junge geben.“

      Die zwei jungen Wölfe thaten die Jäger zu den andern Thieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär, der wollte gern noch länger herumtraben, und rief

      „lieber Jäger, laß mich leben,

       ich will dir auch zwei Junge geben.“

      Die zwei jungen Bären wurden zu den andern gesellt, und waren ihrer schon acht. Endlich, wer kam? ein Löwe kam und schüttelte seine Mähnen. Aber die Jäger ließen sich nicht schrecken und zielten auf ihn: aber der Löwe sprach gleichfalls

      „lieber Jäger, laß mich leben,

       ich will dir auch zwei Junge geben.“

      Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger zwei Löwen, zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten. Indessen war ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den Füchsen, „hört, ihr Schleicher, schafft uns etwas zu essen, ihr seid ja listig und verschlagen.“ Sie antworteten „nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir schon manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch zeigen.“ Da giengen sie ins Dorf, kauften sich etwas zu essen und ließen auch ihren Thieren Futter geben, und zogen dann weiter. Die Füchse aber wußten guten Bescheid in der Gegend, wo die Hühnerhöfe waren und konnten die Jäger überall zurecht weisen.

      Nun zogen sie eine Weile herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie zusammen geblieben wären, da sprachen sie „es geht nicht anders, wir müssen uns trennen.“ Sie theilten die Thiere, so daß jeder einen Löwen, einen Bären, einen Wolf, einen Fuchs und einen Hasen bekam: dann nahmen sie Abschied, versprachen sich brüderliche Liebe bis in den Tod und stießen das Messer, das ihnen ihr Pflegevater mitgegeben, in einen Baum; worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.

      Der jüngste aber kam mit seinen Thieren in eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Flor überzogen. Er gieng in ein Wirthshaus und fragte den Wirth ob er nicht seine Thiere herbergen könnte. Der Wirth gab ihnen einen Stall, wo in der Wand ein Loch war: da kroch der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt, und der Fuchs holte sich ein Huhn, und als er das gefressen hatte, auch den Hahn dazu; der Wolf aber, der Bär und der Löwe, weil sie zu groß waren, konnten nicht hinaus. Da ließ sie der Wirth hinbringen, wo eben eine Kuh auf dem Rasen lag, daß sie sich satt fraßen. Und als der Jäger für seine Thiere gesorgt hatte, fragte er erst den Wirth, warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt wäre? Sprach der Wirth „weil morgen unseres Königs einzige Tochter sterben wird.“ Fragte der Jäger „ist sie sterbenskrank?“ „Nein,“ antwortete der Wirth, „sie ist frisch und gesund, aber sie muß doch sterben.“ „Wie geht das zu?“ fragte der Jäger. „Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind schon alle Jungfrauen hingegeben, und ist niemand mehr übrig, als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm überliefert werden; und das soll morgen geschehen.“ Sprach der Jäger „warum wird der Drache nicht getödtet?“ „Ach,“ antwortete der Wirth, „so viele Ritter habens versucht, aber allesammt ihr Leben eingebüßt; der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das Reich erben.“

      Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Thiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da stand oben eine kleine Kirche, und auf dem Altar standen drei gefüllte Becher und dabei war die Schrift „wer die Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden, und wird das Schwert führen, das vor der Thürschwelle vergraben liegt.“ Der Jäger trank da nicht, gieng hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermochte aber nicht es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte es ganz leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau dem Drachen sollte ausgeliefert werden, begleitete sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem