Aber als das Sternenkind sie sah, sagte es zu seinen Gefährten: »Seht, da sitzt ein schmutziges Bettelweib unter dem schönen, grünbelaubten Baum. Kommt, laßt uns sie forttreiben, denn sie ist häßlich und widerlich.«
Und es näherte sich ihr, warf mit Steinen nach ihr und verspottete sie. Sie aber sah es mit Schrecken in den Augen an und wandte keinen Blick von ihm. Als nun der Holzhauer, der in der Nähe auf einem Holzplatz Scheite spaltete, sah, was das Sternenkind tat, lief er herbei, schalt es und sprach zu ihm: »Wirklich, du bist hartherzig und kennst kein Mitleid. Was hat dir denn diese arme Frau zuleid getan, daß du sie so behandelst?«
Und das Sternenkind wurde rot vor Zorn, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und sagte: »Wer bist du, daß du mich fragst, was ich tue? Ich bin nicht dein Sohn, daß ich dir gehorchen muß.«
»Das ist wahr,« sprach der Holzhauer. »Aber ich bin mitleidig gegen dich gewesen, als ich dich im Walde fand.«
Aber als die Frau diese Worte hörte, stieß sie einen lauten Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Und der Holzhauer trug sie in sein Haus, und sein Weib mußte sich ihrer annehmen, und als sie aus der Ohnmacht, in die sie gefallen war, wieder erwachte, setzten sie Speise und Trank vor sie hin und baten sie, sich zu erquicken.
Aber sie wollte weder essen noch trinken, sondern sprach zu dem Holzhauer: »Sagtest du nicht, das Kind sei im Walde gefunden worden? Und geschah das nicht heute vor zehn Jahren?«
Und der Holzhauer antwortete: »Ja, ich habe es im Walde gefunden, und es werden heute zehn Jahre, daß es geschah.« »Und welche Zeichen fandest du an ihm?« rief sie. »Trug es nicht an seinem Hals eine Bernsteinkette? War es nicht eingehüllt in ein Tuch von gewebtem Gold, mit Sternen bestickt?«
»Gewiß,« antwortete der Holzhauer, »es war genau so, wie du gesagt hast.« Und er nahm das Tuch und die Bernsteinkette aus der Truhe, wo sie lagen, und zeigte sie der Frau.
Und als sie sie sah, weinte sie vor Freuden und sprach: »Er ist mein kleiner Sohn, den ich im Walde verloren habe. Ich bitte dich, sende schnell nach ihm, denn ihn zu finden, bin ich über die ganze Welt gewandert.«
Da liefen der Holzhauer und sein Weib hinaus, riefen nach dem Sternenkind und sagten: »Geh’ in das Haus, dort wirst du deine Mutter finden, die auf dich wartet.«
Da lief es, von Erwartung und großer Freude erfüllt, hinein. Aber als es die sah, die da wartete, lachte es verächtlich und sprach: »Nun, wo ist meine Mutter? Denn ich sehe hier niemand als dieses gemeine Bettelweib.«
Und die Frau antwortete ihm: »Ich bin deine Mutter.«
»Du bist wahnsinnig, so etwas zu sagen,« schrie das Sternenkind zornig. »Ich bin nicht dein Kind, denn du bist eine häßliche und zerlumpte Bettlerin. Darum schere dich fort von hier und laß mich dein schmutziges Gesicht nicht mehr sehen.«
»Nein, du bist wirklich mein kleiner Sohn, den ich in den Wald trug,« rief sie und fiel auf die Knie und streckte ihre Arme nach ihm aus. »Die Räuber haben dich mir gestohlen und dich dann zurückgelassen, damit du sterben solltest,« murmelte sie. »Aber ich erkannte dich, als ich dich sah, und die Zeichen habe ich auch erkannt, das goldgewebte Tuch und die Bernsteinkette. Darum bitte ich dich, komm mit mir, denn über die ganze Erde bin ich gewandert, um dich zu suchen. Komm mit mir, mein Sohn, denn ich brauche deine Liebe.«
Aber das Sternenkind rührte sich nicht von seinem Platz, sondern verschloß die Tore seines Herzens vor ihr, und man hörte keinen Laut außer dem Schluchzen der Frau, die vor Schmerz weinte.
Schließlich sprach es dann zu ihr, und seine Sprache war scharf und bitter: »Wenn du wirklich meine Mutter bist,« sagte es, »dann wärest du besser ferngeblieben, statt hierherzukommen und mir Schande zu bringen. Denn ich glaubte, ich sei das Kind irgendeines Sternes und nicht ein Bettlerkind, wie du es mir erzählt hast. Also mache dich fort und laß mich dich niemals wiedersehen.«
»Ach, mein Sohn,« rief sie, »willst du mich nicht küssen, bevor ich gehe? Denn ich habe viel durchgemacht, um dich zu finden.«
»Nein,« sagte das Sternenkind, »du bist widerwärtig anzusehen, und eher würde ich die Natter oder die Kröte küssen als dich.«
Da erhob sich die Frau und ging bitterlich weinend in den Wald, und als das Sternenkind sah, daß sie gegangen war, wurde es froh und lief zurück zu seinen Spielgefährten, um mit ihnen zu spielen.
Aber als sie es kommen sahen, spotteten sie seiner und sprachen: »Du bist ja so widerwärtig wie eine Kröte und so ekelhaft wie eine Natter. Scher’ dich fort von hier, denn wir dulden nicht, daß du mit uns spielst.« Und sie vertrieben es aus dem Garten. Und das Sternenkind runzelte die Stirne und sprach zu sich: »Was bedeutet das, was sie mir sagen? Ich will zum Wasserbrunnen gehen und hineinsehen, er soll mir meine Schönheit zeigen.«
Da ging es zu dem Wasserbrunnen und blickte hinein, und siehe, sein Gesicht war wie das Gesicht einer Kröte und sein Körper war geschuppt wie der einer Natter. Und es warf sich in das Gras und weinte und sprach zu sich: »Sicherlich ist dies durch meine Sünde über mich gekommen. Denn ich habe meine Mutter verleugnet und sie davongetrieben, ich war stolz und grausam gegen sie. Deshalb will ich mich aufmachen und in der ganzen Welt nach ihr suchen und nicht ruhen, bis ich sie gefunden habe.«
Und da kam zu ihm die kleine Tochter des Holzhauers, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Was macht es aus, daß du deine Schönheit verloren hast? Bleibe bei uns, und ich will nicht über dich spotten.«
Aber es sprach zu ihr: »Nein, ich bin grausam gegen meine Mutter gewesen, und als Strafe ist mir dieses Übel gesandt worden. Deshalb muß ich hingehen und die Welt durchwandern, bis ich sie gefunden, und bis sie mir vergeben hat.«
So lief es hinaus in den Wald und rief nach seiner Mutter, sie sollte zu ihm kommen, aber es fand keine Antwort. Den ganzen Tag über rief es nach ihr, und als die Sonne unterging, legte es sich aufs Laubbett schlafen. Aber die Vögel und das Wild flohen vor ihm, denn sie erinnerten sich seiner Grausamkeit, und niemand war bei ihm als die Kröte, die ihn bewachte, und die langsame Natter, die vorbeikroch.
Und des Morgens erhob es sich, pflückte ein paar bittere Beeren von den Bäumen und aß sie und wanderte schmerzlich weinend durch den großen Wald. Und wen es traf, den fragte es, ob er nicht zufällig seine Mutter gesehen habe.
Es sprach zu dem Maulwurf: »Du kannst unter die Erde gehen. Sage mir, ist meine Mutter dort?«
Und der Maulwurf antwortete: »Du hast meine Augen geblendet. Wie soll ich das wissen?«
Es sprach zu dem Hänfling: »Du kannst über die Wipfel der hohen Bäume fliegen und kannst die ganze Welt sehen. Sage mir, kannst du meine Mutter sehen?«
Und der Hänfling antwortete: »Du hast meine Flügel zu deinem Vergnügen beschnitten. Wie sollte ich fliegen können?«
Und zu dem kleinen Eichhörnchen, das einsam in dem Fichtenbaum wohnte, sprach es: »Wo ist meine Mutter?«
Und das Eichhörnchen antwortete: »Du hast die meine getötet. Willst du jetzt auch deine töten?«
Da weinte das Sternenkind und senkte sein Haupt. Es bat Gottes Geschöpfe um Vergebung und ging weiter durch den Wald, um nach dem Bettelweib zu suchen. Und am dritten Tag kam es an die andere Seite des Waldes und schritt hinab in die Ebene.
Und wenn es durch die Dörfer ging, spotteten die Kinder und warfen ihm Steine nach. Die Bauern wollten es nicht einmal in den Ställen schlafen lassen, aus Furcht, es könnte dem aufgespeicherten Korn Schimmel bringen, so widerwärtig war es anzusehen. Ihre Knechte trieben es davon, und keiner hatte Mitleid mit ihm. Auch konnte es nirgendwo etwas von dem Bettelweib erfahren, das seine Mutter war, obgleich es drei Jahre lang die Welt durchwanderte. Oft schien es ihm, als sähe es sie vor sich auf der Straße, dann rief es nach ihr und rannte hinter ihr her, bis seine Füße von den scharfen Steinen bluteten. Aber einholen konnte er sie nie, und die am Wege wohnten, leugneten immer, sie oder eine, die ihr glich, gesehen zu haben, und sie belustigten sich über sein Leid.
Drei Jahre lang wanderte es durch die Welt, und in der