Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten


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auf den guten Sankt Martin, der über allen Wanderern wacht. Sie gingen behutsam in ihren Fußstapfen zurück, und schließlich erreichten sie doch den Rand des Waldes und sahen tief unter sich im Tale die Lichter des Dorfes, in dem sie lebten. So überfroh waren sie ob ihrer Errettung, daß sie laut lachten, und die Erde erschien ihnen wie eine Blume von Silber und der Mond wie eine Blume von Gold.

      Aber nachdem sie gelacht hatten, wurden sie traurig, denn sie erinnerten sich an ihre Armut, und einer von ihnen sagte zum andern: »Warum sind wir fröhlich geworden? Wir sehen doch, daß das Leben für die Reichen da ist und nicht für unsereinen. Besser, wir wären im Walde vor Kälte gestorben, oder ein wildes Tier hätte uns angefallen und getötet.«

      »Du hast recht,« antwortete sein Gefährte. »Den einen wird viel, den andern wenig gegeben. Ungerechtigkeit hat die Welt verteilt, und in nichts sind wir gleich als im Leid.«

      Aber als sie so einander ihr Leid klagten, da geschah etwas Seltsames. Ein sehr heller und schöner Stern fiel vom Himmel. Er glitt von der Himmelswand herab und an den andern Sternen vorbei, und als sie ihn staunend beobachteten, schien es ihnen, als sei er hinter einer Gruppe von Weidenbäumen versunken, die dicht bei einer kleinen Schafhürde stand, kaum einen Steinwurf von ihnen entfernt.

      »Wer ihn findet, stößt auf einen Topf voll Gold,« riefen sie und begannen schnell dahinzulaufen, so begierig waren sie auf das Gold.

      Und der eine von ihnen lief schneller als sein Gefährte und kam ihm zuvor. Er zwängte sich durch die Weiden und gelangte an die andere Seite, und siehe, da lag wirklich etwas Goldenes auf dem weißen Schnee. Da eilte er hin, beugte sich nieder und legte seine Hand darauf. Und es war ein golddurchwebtes Tuch, das seltsam mit Sternen bestickt und in viele Falten geschlagen war. Und er rief seinem Kameraden, er habe den Schatz gefunden, der vom Himmel gefallen sei, und als sein Kamerad herangekommen war, da setzten sie sich in den Schnee hin und öffneten die Falten des Tuches, um die Goldstücke zu teilen. Aber ach, kein Gold war darin und kein Silber, noch überhaupt irgendein Schatz, sondern nur ein kleines Kind, das schlief.

      Da sprach der eine zu dem andern: »Das ist ein bitteres Ende unserer Hoffnung, und wir haben kein Glück, denn was nützt ein Kind einem Manne? Wir wollen es hier liegen lassen und unserer Wege gehen, denn wir sind arme Männer und haben selbst Kinder, deren Brot wir nicht einem andern geben können.«

      Doch sein Geführte antwortete ihm: »Nein, es wäre schlecht, das Kind hier im Schnee umkommen zu lassen, und wenn ich auch so arm bin wie du und viele Münder zu füttern und nur wenig im Topf habe, so will ich es doch mit nach Hause nehmen, und mein Weib soll dafür sorgen.«

      So nahm er denn ganz behutsam das Kind auf, wickelte das Tuch darum, um es vor der rauhen Kälte zu schützen, und ging den Hügel hinab nach dem Dorfe, und sein Kamerad wunderte sich sehr über seine Torheit und Gutmütigkeit.

      Und als sie zum Dorf kamen, sagte sein Kamerad zu ihm: »Du hast das Kind, darum gib mir das Tuch, denn es ist nur billig, daß wir teilen.«

      Aber er antwortete ihm: »Nein, das Tuch gehört weder dir noch mir, sondern nur dem Kinde.«

      Und er bot ihm Lebewohl, ging nach seinem Hause und klopfte. Und als seine Frau die Tür öffnete und sah, daß ihr Mann heil zurückgekehrt war, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Sie nahm das Bündel mit Holzscheiten von seinem Rücken, fegte den Schnee von seinen Schuhen und bat ihn, hereinzukommen.

      Aber er sprach zu ihr: »Ich habe etwas im Walde gefunden und habe es dir gebracht, damit du dafür sorgst.« Und er rührte sich nicht von der Schwelle.

      »Was ist es?« rief sie. »Zeige es mir, denn das Haus ist leer, und wir brauchen manches.« Und er zog das Tuch zurück und zeigte ihr das schlafende Kind.

      »O weh, Vater!« murmelte sie, »haben wir nicht eigene Kinder, daß du einen Wechselbalg mitbringen mußt, der am Herde sitzt? Und wer weiß, ob er uns nicht Unglück bringt? Und wie sollen wir ihn pflegen?« Und sie war zornig auf ihn.

      »Es ist aber ein Sternenkind,« antwortete er; und er erzählte ihr die seltsame Art, wie er es gefunden hatte.

      Aber sie wollte sich nicht besänftigen lassen, sondern spottete über ihn und sprach ärgerlich: »Unsere Kinder haben kein Brot, und da sollen wir das Kind eines andern füttern? Wer sorgt für uns? Wer gibt uns zu essen?«

      »Gott sorgt sogar für die Sperlinge und ernährt sie,« antwortete er.

      »Sterben nicht die Sperlinge im Winter vor Hunger?« fragte sie. »Und ist es jetzt nicht Winter?« Aber der Mann antwortete nichts und wich auch nicht von der Schwelle.

      Und ein scharfer Wind drang aus dem Wald in die offene Tür, daß sie zitterte. Ein Schaudern überkam sie, und sie sprach zu ihm: »Willst du nicht die Türe schließen? Ein scharfer Wind dringt in das Haus, und mich friert.«

      »Kommt in ein Haus, wo ein hartherziger Mensch lebt, nicht immer ein scharfer Wind?« fragte er. Und die Frau antwortete ihm nicht, sondern schlich dichter an das Feuer.

      Aber nach einer Weile wandte sie sich um und sah ihn an, und ihre Augen standen voll Tränen. Da trat er schnell hinein und legte das Kind in ihre Arme. Sie küßte es und barg es in einem kleinen Bett, wo das jüngste ihrer eigenen Kinder schlief. Und am Morgen nahm der Holzhauer das seltsame, goldene Tuch und legte es in eine große Truhe, und sein Weib nahm eine Bernsteinkette, die um den Hals des Kindes geschlungen war, und barg sie ebenfalls in der Truhe.

      So wurde das Sternenkind mit den Kindern des Holzhauers aufgezogen, saß mit ihnen am gleichen Tisch und war ihr Spielgefährte. Und mit jedem Jahr wurde es schöner von Angesicht, so daß alle, die im Dorfe wohnten, darüber staunten. Denn, während sie dunkelhäutig und schwarzhaarig waren, war es weiß und zart wie geschnitztes Elfenbein, und seine Locken waren wie das Rund gelber Narzissen. Seine Lippen waren wie rote Blütenblätter, seine Augen wie Veilchen, die an einer Strömung klaren Wassers stehen, und sein Körper wie die wilde Narzisse des Feldes, wenn der Mäher nicht kommt.

      Aber seine Schönheit machte es böse. Denn es wurde stolz und grausam und selbstsüchtig. Es verachtete die Kinder des Holzfällers und die andern Kinder aus dem Dorfe und sagte, sie seien von gewöhnlicher Herkunft, während es selbst vornehm sei, denn es stamme von einem Stern. Und es machte sich zum Herrn über sie und nannte sie seine Diener. Kein Mitleid hatte es mit den Armen, noch mit solchen, die blind oder lahm oder mit Gebresten behaftet waren. Es warf mit Steinen nach ihnen, trieb sie auf die Landstraße hinaus und hieß sie, ihr Brot anderswo zu erbetteln, so daß niemand außer den Geächteten zweimal in jenes Dorf nach Almosen kam. Es war ganz in die Schönheit vernarrt, spottete über die Schwachen und Häßlichen und machte sich lustig über sie. Aber sich selbst liebte es, und zur Sommerzeit, wenn kein Wind wehte, lag es bei dem Brunnen in dem Obstgarten des Priesters und blickte auf das Wunder seines Gesichts hinab und lachte vor Lust über seine Schönheit.

      Oft schalten es der Holzhauer und sein Weib und sprachen: »Wir haben an dir nicht so gehandelt, wie du an denen handelst, die verlassen sind und keine Hilfe haben. Warum bist du so grausam gegen alle, die des Mitleids bedürfen?« Oft schickte der alte Priester nach ihm und suchte ihn die Liebe zu allem Lebendigen zu lehren und sprach: »Die Fliege ist dein Bruder. Tu ihr nichts Böses. Die wilden Vögel, die durch den Wald fliegen, haben ihre Freiheit. Fange sie nicht zu deinem Vergnügen. Gott schuf die Blindschleiche und den Maulwurf, und jedes hat seinen Platz. Wer bist du, daß du Schmerz in Gottes Welt bringst? Selbst das Vieh auf der Weide lobt den Herrn.«

      Aber das Sternenkind achtete nicht auf ihre Worte, sondern verzog seine Lippen und spöttelte. Und es ging zu seinen Gefährten und führte sie an. Und seine Gefährten folgten ihm, denn es war schön und flink von Füßen, und es konnte tanzen und pfeifen und Musik machen. Wohin sie das Sternenkind führte, dahin folgten sie ihm, und was ihnen das Sternenkind zu tun gebot, das taten sie. Und wenn es mit einem spitzen Ried die blinden Augen des Maulwurfs durchbohrte, lachten sie, und wenn es Steine nach den Aussätzigen warf, lachten sie auch. In allen Dingen beherrschte es sie, und sie wurden so hartherzig, wie es selbst war.

      Nun kam eines Tages eine arme Bettlerin durch das Dorf. Ihre Kleider waren zerlumpt und zerrissen, ihre Füße bluteten von der