er sie nirgends zu verstecken.
Dann lief er davon. Aber er hatte keine drei Sprünge gemacht, so fühlte er schon seinen Arm festgehalten und hörte zwei hohle Stimmen grausig brummen.
»Das Geld heraus! – Sonst bist du verloren!«
Mit den Goldstücken im Munde konnte Bengele nicht reden. Er stellte sich darum dumm und gab den Räubern mit allerlei Zeichen zu verstehen, daß er ein armes Hampelmännchen sei und keinen roten Heller in der Tasche habe.
Aus den Kutten der Räuber sprühten die Augen wie die hellen Lichter einer Eisenbahnlokomotive. Die geriebenen Burschen kümmerten sich um Bengeles Geflunker nicht und sagten:
»Mach vorwärts! Keine langen Geschichten!«
Der Hampelmann drehte den Kopf hin und her und fuchtelte mit den Händen ärger wie bisher.
»Heraus das Geld, oder du mußt sterben!« drohte nun der größere von den zwei Räubern.
»Sterben!« wiederholte der andere.
»Nachher geht es an deinen Vater!«
»An deinen Vater.«
»Nein, nein! Tut meinem armen Vater nichts!« rief Bengele verzweiflungsvoll; dabei klirrten die Goldstücke im Munde.
»Schlechter Lump! Unter der Zunge hast du die Goldstücke versteckt! – Gleich spuckst du sie aus!«
Bengele blieb fest.
»So, du willst nicht! – Paß auf, du wirst gleich spucken.«
Die Räuber gingen daran, dem Hampelmann den Mund aufzupressen. Sie legten ihn auf den Boden; der kleinere stellte sich über Bengeles Kopf und hielt ihn mit beiden Händen an der langen Nase, indes der größere mit aller Gewalt den hölzernen Unterkiefer abwärts zu drücken suchte. Aber des Hampelmanns Mund war von gutem Holze und schloß so dicht wie eine scharfe Beißzange. – Auf diese Weise war es unmöglich, ihn zu öffnen; er schien verschraubt und vernietet.
Da nahm der kleinere Räuber ein Messer heraus und wollte es dem Hampelmann wie ein Stemmeisen zwischen die Holzlippen treiben. Ungeschickt faßte er das Messer mit der einen Hand ziemlich vorn an der Klinge. Bengele erkannte seinen Vorteil: blitzschnell schnappte er nach des Räubers Hand und biß sie glatt durch. Er spuckte aus und wunderte sich sehr, daß er keine Menschenhand, sondern etwas Haariges wie eine Pfote abgebissen hatte.
Die Räuber waren verblüfft; Bengele aber bekam durch seinen Erfolg neuen Mut. Mit einem Sprunge setzte er über den Straßenzaun, und nun ging's im vollen Laufe fort über die Felder. Die Räuber rannten hinter ihm drein wie rasende Hunde hinter einem armen Häslein.
Drei Stunden dauerte schon das wilde Jagen. Dem Bengele ging allmählich der Atem aus. Schon schien ihm alles verloren, als er im letzten Augenblick einen einzelstehenden hohen Tannenbaum gewahrte. Rasch kletterte er am glatten Stamm empor bis an die ersten Äste und stieg dann durchs Gezweige bis zum höchsten Gipfel. – Auch die Räuber wollten hinaufklettern; aber kaum waren sie zur Hälfte am Stamm emporgeklommen, so rutschten sie zurück, fielen auf den Boden und hatten sich Arme und Beine wundgeschürft.
Deshalb gaben die Verwegenen aber ihre Arbeit nicht auf. Rasch sammelten sie in den Hecken ein Büschel dürres Reisig und zündeten es an der Wurzel des Baumes an.
Die Flammen leckten schon am Stamme empor und ergriffen die untersten Äste. – Die Räuber stellten sich zwanzig Schritte vom Baum zurück und warteten auf den Erfolg ihres Werkes. – Bald mußte der Hampelmann im dicken Rauche ersticken und tot zur Erde fallen.
Bengele sah sein Schicksal voraus. Die Todesangst trieb ihn zum Äußersten. Er sprang auf der den Räubern entgegengesetzten Seite von der schwindelnden Höhe herab, und der Todessprung gelang. Ohne Schaden kam er auf den Boden in weitem Abstand von seinen zwei Feinden.
Diesen Vorteil nützte der wackere Hampelmann aus und rannte sofort weiter in die Felder hinein. Die Räuber setzten ihm unverzüglich nach und wurden gar nicht müde.
Lichterloh brannte indes die Tanne in die Nacht hinein und erhellte wie eine Riesenkerze auf eine weite Strecke das Land.
Allmählich dämmerte der Morgen, und Bengele gelangte unversehens an einen breiten, tiefen Graben. Er war bis oben voll schmutziggelben Wassers. – Was anfangen? – »Eins, zwei, drei!« zählt unser Hampelchen, nimmt einen Anlauf und springt hinüber. Die Räuber wollten es ihm nachtun, aber sie hatten sich verrechnet. Plumps! fielen sie mitten ins Wasser. Bengele hörte das Aufschlagen und schrie ihnen höhnisch zu:
»Glück auf zum Bade, ihr Herren Räuber!« Dann rannte er gleich wieder weiter. Er hoffte, die Räuber seien ertrunken; aber als er sich umdrehte, sah er, wie sie ihm schon wieder nachsetzten. Sie steckten immer noch in ihren Säcken und das Wasser tropfte daraus in Strömen auf den Boden.
Fünfzehntes Stück.
Die »Große Eiche«.
Bengele verlor den Mut. Er wollte sich auf den Boden legen und alle Hoffnung aufgeben. – Da schaute er sich noch einmal um und erblickte in weiter Ferne ein kleines, weißes Haus. Es lag in einem grünen Wiesengrunde am dunkeln Waldessaume. Hell glänzten die Fenster im Lichte der aufgehenden Sonne.
»Hätte ich doch nur noch genug Atem!« dachte Bengele. »An jenem Häuschen dort wäre ich gerettet.«
Mutig versuchte der verfolgte Hampelmann noch einmal zu laufen. Er spannte seine letzten Kräfte an und kam nach einer halben Stunde keuchend vor dem Häuschen an. – Zum Tode erschöpft pochte er an die Türe.
Niemand gab Antwort.
Er klopfte stärker; denn schon hörte er die Schritte und den schweren Atem der Verfolger.
Wieder blieb alles still. Voller Verzweiflung schlug der hölzerne Hampelmann mit dem Kopfe und mit den Füßen an die Türe. – Da zeigte sich am Fenster ein schönes Mägdelein; es hatte goldenes Haar und ein Gesicht so zart und weiß wie eine Wachsfigur; seine Augen waren geschlossen, die Hände über der Brust gekreuzt, und ohne die Lippen zu bewegen, mit einer Stimme aus der andern Welt sagte das holde Kind:
»Es wohnt niemand in diesem Hause. Hier sind alle tot.«
»Dann mache doch du mir auf!« rief Bengele und weinte zum Erbarmen.
»Ich bin auch tot.«
»Auch tot! Wie kommst du dann ans Fenster?«
»Ich warte auf den Sarg, in dem man mich fortträgt.«
Damit verschwand das Mägdelein und das Fenster ging zu ohne jeden Laut.
»O schönes Kind im goldenen Haar«, rief Bengele, »um des Himmels willen mach mir auf. Erbarme dich des armen Knaben, dem die Räuber nach...«
»...setzen«, wollte er sagen; da hatten sie ihn schon, und die zwei wilden Stimmen knurrten:
»Jetzt kommst du nicht mehr davon!«
Der Hampelmann sah den Tod vor sich und zitterte so entsetzlich, daß seine Holzgelenke an den Beinen krachten und die Goldstücke im Munde klimperten.
»Nun«, sagten die Räuber, »machst du jetzt den Mund auf oder nicht? – So, du gibst keine Antwort! Auch gut! Diesmal werden wir schon mit dir fertig!«
Sie zogen zwei schrecklich lange, scharfe Messer heraus und wollten sie Bengele in die Seiten stoßen.
Aber der Hampelmann war aus so hartem Holze geschnitzt, daß die Stahlklingen