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Bengele schaute sich daraufhin die Krüge von allen Seiten an und sagte nichts.
»Ich gebe dir auch einen Teller Suppe dazu«, versprach die gute Frau.
Bengele betrachtete immer noch unentschlossen das Gefäß.
»Nach der Suppe bekommst du ein großes Stück Apfelkuchen.«
Das war Bengeles Leibspeise. Rasch sagte er: »Bitte, ich trage den Krug.«
Wie war das Wasser so schwer! Mit beiden Händen faßte Bengele den Henkel; dann hob er den Krug auf den Kopf und schritt mutig voran.
Zu Hause setzte die Frau den Hampelmann hinter ein schön gedecktes Tischchen und gab ihm das Brot, die Suppe und den Apfelkuchen.
Bengele verschlang alles mit großer Gier. Als der Hunger gestillt war, schaute er zu der guten Frau auf, die vor dem Tischchen stand, und wollte ihr danken. Er sah ihr ins Gesicht, machte große Augen, sperrte den Mund weit auf und alles, was er sagen konnte, war ein langes, gurgelndes Oooh!
»Warum tust du so verwundert?« fragte lächelnd die Frau.
Bengele stotterte:
»Weil ... weil ... weil ... Ihr ... Ihr... Ihr gerade ausseht ... ja, ja ... so spricht sie ... ja, ja ... solches Haar ... goldenes Haar wie ... wie Ihr. – O liebe Fee, sage, bist du es wirklich. Sage es mir, dann will ich, nicht mehr weinen; weißt du, ich habe so viel um dich geweint, so arg viel!«
Laut schluchzend warf sich das Hampelchen der guten Fee zu Füßen, umfaßte ihre Knie und bat, daß sie ihm verzeihe, daß sie ihm doch wieder gut sein möge und ihm helfe.
Fünfundzwanzigstes Stück.
Bengele will sich bessern
Die gute Frau tat zuerst so, als wisse sie nichts von einer kleinen Fee mit goldenem Haare. – Dann aber gab sie sich zu erkennen, lachte und fragte Bengele:
»Du Sapperlottskerlchen, wie hast du mich erkennen können?«
»Ich habe dich doch so gern und darum vergesse ich dich nie.«
»Aber ich war doch ein kleines Mädchen, als du davonliefst; jetzt bin ich eine große Frau und könnte deine Mutter sein.«
»Das gefallt mir am meisten. – Früher wolltest du mein Schwesterlein sein; jetzt sage ich zu dir: liebe Mutter! – So lange schon wünschte ich mir ein Mütterlein! Alle Kinder haben eine gute Mutter; und ich allein hatte keine ... Aber sage mir, wie bist du so rasch groß geworden?«
»Das ist mein Geheimnis.«
»Mach mich doch auch groß«, bat Bengele; »sieh nur, ich wachse gar nicht und bleibe stets drei Käse hoch.«
»Du kannst nicht größer werden.«
»Weshalb nicht?«
»Hampelmännchen wachsen nie; sie kommen als Hampelmänner auf die Welt, leben und sterben als Hampelmänner.«
»Aber jetzt bin ich lang genug ein Hampelmann gewesen«, klagte Bengele und fuchtelte mit seinen Händen; »ich möchte endlich ein Mensch werden.«
»Das kann geschehen, aber du mußt es verdienen.«
»Wie kann ich es anfangen?«
»Du mußt dich darin üben, ein braver Knabe zu werden.«
»Bin ich das vielleicht nicht?«
»Noch lange nicht, mein Lieber«, sprach die Fee, »höre nur einige Beispiele! – Gute Kinder sind stets folgsam und ...«
»Ich folge nie!« –
»Gute Kinder haben Freude an der Arbeit, und ...«
»Ich will immer faulenzen und spielen.« –
»Gute Kinder sagen stets die Wahrheit, und ...«
»Ich lüge sehr oft.« –
»Gute Kinder gehen gern in die Schule, und ...«
»Ich lief ins Kasperletheater. – Aber von heute an wird alles anders!«
»Ist es dir Ernst?«
»Heiliger Ernst! –Ich will ein guter Knabe werden, und meinem Vater Freude machen. – Ja, halt! – Wo ist denn mein armer Vater?«
»Ich weiß es nicht.«
»Werde ich ihn je wiedersehen?«
»Ich glaube, ja! – Wenn du brav bist, ganz sicher.«
Dankbar ergriff Bengele die Hand der guten Fee und bedeckte sie mit Küssen. Lange schaute er dann seinem lieben Mütterlein in die milden Augen und fragte:
»Sag mir nur noch das eine: bist du wirklich tot gewesen?«
»Es scheint nicht«, antwortete lächelnd die Fee.
Mit Tränen in den Augen fuhr Bengele weiter und sprach:
»Wenn du es wüßtest, wie weh es mir tat, wie mein Herz klopfte und wie ich weinte! – Ach, jener Marmorstein und das Lied des Käfers: ›Hier ruht im süßen Schlummer ...‹«
Die gute Fee zog das Hampelchen an sich und tröstete es: »Ich weiß alles, mein liebes Kind. Ich habe deinen Schmerz gesehen und dein gutes Herz erkannt. – Du warst undankbar und unartig gegen mich; am Marmorsteine hast du deine Fehler bereut. Du liebtest mich, und darum habe ich dir alles verziehen. – Ich bin dir nachgegangen, ich habe dich hier gesucht, und jetzt will ich dir eine gute Mutter sein.«
»Du bist zu gut gegen mich«, sagte Bengele; »ich verdiene es nicht, daß du mich so herzlich liebst.«
»So sei mir dankbar«, erwiderte die Fee; »ich verlange von dir nur das eine, daß du mir gehorchest und stets befolgest, was ich dir sage.«
»Von Herzen gern!«
»Morgen«, sagte die Fee, »wirst du das erste Mal zur Schule gehen!«
Bengeles Freude ließ schon ein bißchen nach.
»Später kannst du nach eigener Wahl ein Handwerk lernen!«
Bengele ward nachdenklich und murmelte etwas in sich hinein.
»Was gibt's darüber zu brummen?« – fragte die Fee in ernstem Tone.
»Ich habe gesagt –, daß – daß«, stotterte Bengele, »daß ich jetzt doch zu alt bin für die Schule.«
»Nein, mein Sohn, zum Lernen ist man nie zu alt!«
»Aber ich will auch kein Handwerk lernen!«
»Warum?«
»Weil man beim Arbeiten müde wird!«
»Liebes Kind«, mahnte die weise Fee, »wer so denkt, der endigt gewöhnlich im Krankenhaus oder im Zuchthaus. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Der Mensch muß arbeiten auf dieser Welt, ob er arm sei oder reich. Das Faulenzen ist eine Schande. Es ist eine schlimme Krankheit; wenn man sie in der Jugend nicht heilt, so geht man mit ihr durchs ganze Leben.«
Bengele glaubte den Worten seiner guten Mutter und sagte:
»Ja, ich will lernen; ich will arbeiten; ich will alles tun, was du von mir verlangst. Und überhaupt – dieses Hampelleben gebe ich auf; ich will unbedingt ein Knabe werden. Du hilfst mir, Mütterlein, gelt? – Du hast es mir versprochen!«
»Jawohl, mein Kind; von dir allein hängt es nun ab, daß ich mein Versprechen erfülle.«
Sechsundzwanzigstes Stück.
Bengele in der Schule