nur den Schlüssel um, dann geht die Türe auf.«
Sie machten es so und traten in die Hütte ein. – Überall schauten sie sich um; es war niemand zu erblicken.
»Ist jemand daheim?« fragte Bengele.
»Freilich! Ich bin hier oben.«
Sie schauten auf und sahen auf einem Balken das – Lispel-Heimchen.
»Das gute Lispel-Heimchen! Wer hätte das gedacht? Guten Tag, Lispel-Heimchen«, sagte Bengele und zog anständig die Mütze ab.
»Das gute Lispel-Heimchen, sagst du jetzt, nicht wahr? Erinnerst du dich noch daran, wie du mich aus dem Hause gejagt und den Hammer nach mir geworfen hast?«
»Es ist wahr, liebes Heimchen. – Jag mich nur auch fort und wirf mir einen Hammer nach, ich habe es verdient; aber hilf meinem armen Vater!« –
»Ich werde dem armen Vater helfen und auch dem Söhnchen; doch sollst du daran denken, wie unhöflich du dich damals gegen mich benommen. – Jetzt zeigt dir die Erfahrung, daß man gegen alle Leute artig sein soll.«
»Du hast recht, Lispel-Heimchen. Ich habe schon oft an dich gedacht. Es war stets richtig, was du mir gesagt hast. Ich war oft unartig und habe es immer bereuen müssen. – Doch, seit wann wohnst du in diesem hübschen Häuschen?«
»Eine Ziege hat es mir gestern geschenkt, eine wunderschöne Ziege mit goldenem Haar.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Kehrt sie zurück?«
»Sie kommt nie mehr wieder. Traurig ging sie weg und sprach: ›Armer Bengele, jetzt bist du mir für immer verloren. – Der Große Hai hat dich nun doch gefressen‹.«
»Das hat die Ziege gesagt? – O, sie war's! Es war meine liebe Mutter Fee.« Bengele weinte laut.
Er dachte zurück an das glückliche Leben im Hause der guten Mutter. – Er selbst hatte alles verdorben mit seinem Ausreißen, hatte Unglück über Unglück erlebt und nun auch die Mutter Fee verloren. – Sein einziger Trost war jetzt der alte Vater; er nahm sich vor, ganz für ihn zu leben und zu arbeiten.
Das Lispel-Heimchen gab die Hütte als Wohnung. Bengele richtete für den Vater ein Strohlager auf der Erde zurecht. Dann fragte er das gastfreundliche Tierchen:
»Hast du nicht eine Tasse Milch für meinen armen, kranken Vater?«
»Ich brauche nie Milch«, sagte Lispel-Heimchen; »aber eine Viertelstunde von hier wohnt der Gärtner Mäxle, der Kühe hält und Milch verkauft.«
Bengele ging hin und verlangte eine Tasse Milch.
»Kostet fünf Pfennig«, sprach der Mann, »hast du einen Fünfer?«
»Ich habe kein Geld«, gestand Bengele und ward traurig.
»Dann kann ich dir auch keine Milch geben.«
»Ach Gott«, sagte der Hampelmann und wollte wieder gehen.
Mäxle rief ihn zurück und sprach: »Warte ein wenig! Wir könnten es doch machen. Ich weiß eine Arbeit, mit der du dir einen Fünfer verdienen kannst. – Willst du mir das Rad treten?«
»Was ist das?«
»Ein Rad, das die Pumpe treibt, mit der ich das Wasser zum Gießen aus dem Boden ziehe.«
»Ich will es versuchen.«
»Gut! – Wenn du mir zwanzig Kannen Wasser pumpst, so erhältst du eine Tasse Milch.«
Mäxle führte den Hampelmann in den Garten und zeigte ihm, wie das Rad getreten wurde. – Im Schweiße seines Angesichtes arbeitete Bengele, bis die zwanzig Kannen gepumpt waren. So hatte er sich noch nie angestrengt.
Als er aus dem Rade stieg, sprach der Gärtner: »Bisher hat mein Esel dies Geschäft besorgt, aber jetzt liegt er am Sterben.«
»Den Esel möchte ich gerne sehen«, sagte Bengele.
»Komme nur, ich will ihn dir zeigen.«
Sie gingen miteinander in den Stall. Da lag das Tier erschöpft auf dem Boden. Bengele schaute ihn lange an, ward verlegen und sagte:
»Den Esel kenne ich, ich habe ihn schon einmal gesehen.«
Er beugte sich zu ihm nieder und fragte ihn in der Eselssprache: »Wer bist du?«
Der Sterbende schaute auf und röchelte in der gleichen Sprache:
»De... de... der Röhrle!«
Dann machte er die Augen für immer zu und war tot.
»Der arme Röhrle!« sagte Bengele, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen.
»Mir scheint, du weinst um einen fremden Esel«, bemerkte Mäxle. – »Mich hat er viel Geld gekostet. Ein ganzes Jahr muß ich arbeiten und sparen, bis ich einen andern kaufen kann. – Das wäre Grund zum Weinen!«
»Was kümmert mich das Geld«, sagte Bengele. – »Der Esel war mein Freund.«
»Dein Freund?«
»Ja! und mein Schulkamerad.«
»Ha-Ha-Ha«, lachte Mäxle, »das muß eine niedliche Schule gewesen sein! – Da kann man sich denken, was du gelernt hast.«
Bengele schwieg. Er nahm seine Tasse Milch und ging zurück zur Hütte.
Von da an stand der fleißige Hampelmann jeden Morgen sehr früh auf und trat fünf Monate lang Tag für Tag das Pumprad. Damit erwarb er für seinen kranken Vater und sich selbst den Lebensunterhalt. Wenn er abends müde aus der Gärtnerei kam, arbeitete er noch zu Hause. Er lernte Körbe flechten und verdiente ein kleines Taschengeld. – Für den alten Vater fertigte Bengele selbst einen bequemen Fahrstuhl an, und darin brachte er den kranken Mann an sonnigen Tagen ins Freie, daß er sich in der frischen Luft wohler fühlen und an der schönen Welt Freude haben konnte.
Die langen Abende benützte der fleißige Kleine, um noch besser lesen und schreiben zu lernen. Für ein paar Pfennige kaufte er sich sogar ein altes Rechenbuch, und er löste der Reihe nach alle die Aufgaben.
Der Hampelmann hatte sich völlig verändert und lebte ein neues Leben.
Vierzigstes Stück.
Des Hampelmanns Ende.
Bengele hatte eine Sparbüchse. Nie vertändelte er das Geld, das er so sauer verdienen mußte.
Vierzig schöne Markstücke hatte er schon beisammen, da sagte er eines Tages:
»Vater, ich möchte in die Stadt gehen, um für uns beide neue Kleider und Stiefel zu kaufen.«
»Tue es nur«, sagte Vater Seppel. – »Ich habe keine Angst um dich, auch wenn du allein gehst; du machst nun keine Streiche mehr. Kehre noch bei Tag zurück!«
Bengele mochte eine halbe Stunde Weges gegangen sein, da rief jemand seinen Namen. Er drehte sich um und sah eine große Schnecke aus der Hecke neben der Straße kriechen.
»Kennst du mich nicht mehr?« fragte sie.
»Halb und halb, ja!«
»Weißt du noch – die Schnecke, die bei der Fee Kammerjungfer war, als du mit dem Fuß in der Türe stecken bliebst?« –
»Ach so!« rief Bengele erfreut; »aber jetzt sag mir gleich, liebe Schnecke: wo ist meine gute Mutter Fee? – Was macht sie? – Hat sie mir verziehen? – Denkt sie noch an mich? – Hat sie mich noch gern? – Ist sie weit von hier? – Darf ich nicht zu ihr