Susanne Picard

Elfenzeit 7: Sinenomen


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Blick hing an der seltsamen Gestalt. Nichts Menschliches haftete ihr an. Sie war auf eine Weise fremd, die ihn verstörte. Jede raschelnde Bewegung, jeder säuselnde Atemzug, jeder Blick aus gelben Augen sagte das gleiche aus: Diese Welt ist nicht die meine.

      Es war ein trauriger Gedanke, auch wenn Robert nicht genau sagen konnte, weshalb er so empfand.

      Der Elf machte eine Handbewegung. Eine Kugel entstand vor ihm in der Luft. Weiches gelbes Licht erhellte den Tunnel.

      »Das ist besser für die Augen von Menschen, oder?«, fragte der Elf. Seine Stimme war rau und trocken wie Sand.

      »Ja«, sagte Robert, und dann nach einer Pause: »Danke.«

      Die leuchtende Kugel passte sich ihrer Geschwindigkeit an, blieb immer ein paar Schritte vor ihnen. In ihrem Schein tauchten Anne und Catan auf. Sie standen an einer Biegung und sprachen miteinander. Als sie das Licht sahen, unterbrachen sie sich.

      »Sie kennt ihn«, flüsterte Nadja. Sie drückte Talamh an ihre Brust. »Ich bin mir sicher.«

      Ich auch, dachte Robert.

      »Wir fragen sie später«, sagte er ebenso leise, obwohl er nicht glaubte, dass er eine Antwort erhalten würde. Nadjas Blick verriet, dass sie ebenfalls daran zweifelte.

      »Dies ist ein alter Ort«, sagte Catan, als sie herangekommen waren. »Er ist wie ein dahinwelkender Zausel, missgestimmt und unfreundlich zu Fremden. Bleibt bitte in meiner Nähe.«

      Robert betrachtete die Wände. Sie zeigten Spuren von Werkzeugen, so als hätten Menschen die Tunnel aus dem Stein gemeißelt.

      Catan ging um die Biegung. Die Kugel folgte ihm. Robert machte einen Schritt nach vorn und blieb überrascht stehen. Sein Mund öffnete sich, wollte einen Atem ausstoßen, den es in den reglosen Lungen längst nicht mehr gab. Es war ein unangenehmes Gefühl.

      »Wie alt?«, fragte Robert rau, während sein Blick über das glitt, was sich vor ihm ausbreitete.

      »Das hat er mir noch nicht verraten.«

      Sie standen am Eingang einer Höhle. Nein, korrigierte sich Robert, keine Höhle, eher eine Kathedrale.

      Die Wände verloren sich im Nichts, ragten empor zu einer Decke, die irgendwo jenseits der Schwärze liegen musste. Fledermäuse flatterten in gewaltigen Schwärmen durch das Licht der Kugel. Ihre Flügelschläge klangen wie Buchseiten, durch die ein Sturm fegte.

      Robert wurde es schwindlig, als er nach unten sah. Der Boden endete nur wenige Meter vor ihm in einer geländerlosen Brücke, die breit genug für zwei Busse war. Die Fledermäuse tauchten unter ihr hindurch und verschwanden. Ihr Flattern hallte von den Wänden wider. Es war nicht zu erkennen, wie tief der Abgrund war oder wo die Brücke endete.

      »Wer hat das gebaut?«, fragte Nadja.

      »Menschen, nehme ich an.« Catan betrat die Brücke. Wind fuhr durch sein kurzes, dunkles Haar. Robert fiel auf, dass er das Alter des Elfen nicht schätzen konnte. Mal wirkte er wie dreißig, dann wieder wie fünfzig.

      Er folgte Catan auf die Brücke. Anne und Nadja schlossen auf. Die anderen Elfen blieben hinter ihnen und bildeten eine Reihe, so als wollten sie verhindern, dass jemand sich umdrehte und floh.

      »Dein Sohn ist sehr still«, sagte Catan nach einer Weile. Das Ende der Brücke war noch nicht zu sehen.

      »Er schläft.« Nadja hielt sich in der Mitte, ebenso wie Robert. Nur Anne ging am Rand entlang, stolz und mit wehendem Haar.

      Hat sie denn vor nichts Angst?, fragte sich Robert.

      »Gut«, sagte Catan. »Im Dorf wird er sich ausruhen können.«

      Es klang merkwürdig, an diesem Ort von einem Dorf zu sprechen. Nadja warf Robert einen kurzen Blick zu. Er hob die Schultern.

      Einige Minuten später erreichten sie das Ende der Brücke. Dahinter befand sich eine breite, aus dem Stein geschlagene Treppe, die tiefer in den Untergrund führte. Die Kugel flog vor ihnen her, erhellte die ausgetretenen Stufen. Sie waren unterschiedlich breit und hoch. Robert fasste Nadja am Ellenbogen. Er konnte sehen, dass sie Angst hatte, mit dem Säugling in den Armen zu stürzen.

      »Du hast kalte Hände«, sagte sie nach einem Moment.

      »Mir ist ja auch kalt«, log Robert. In Wirklichkeit war ihm seit Annes Biss nicht mehr kalt gewesen. Wärme und Kälte waren keine Empfindungen mehr für ihn, nur noch Wahrnehmungen.

      Feuerschein flackerte am Ende der Treppe. Robert ließ die letzte Stufe hinter sich und wäre fast gestolpert, als sein Fuß in weiches Erdreich sank.

      »Vorsicht«, sagte er.

      Nadja nickte dankbar, während Anne mit einem Sprung die letzten drei Stufen überwand und weich neben Robert landete. Mit ihren Sinnen war sie weder auf das Licht der Kugel noch auf die Feuer angewiesen, die in der Höhle vor ihnen brannten.

      »Angeberin.« Robert grinste. Anne hob nur die Augenbrauen. Seit dem Auftauchen der Elfen hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen.

      Rund ein Dutzend Hütten bildeten das Dorf. Wände und Dächer bestanden größtenteils aus Holz, aus Brettern und alten Türen, aber auch aus Plastikplanen und rostigen Metallplatten.

      Robert hörte Ziegen meckern. Auf einem der Hüttendächer saß ein Huhn. Am Rande des Dorfs sah er Reihen von mannshohen Pflanzen, über denen eine sanft leuchtende Kugel hing. Diese Leute hier waren Selbstversorger.

      »Wir haben lange gebraucht, um diesen Ort zu finden«, sagte Catan, während er zu einem der kleineren Feuer ging. »Wir leben nicht gern auf Stein.«

      Er setzte sich auf einen Baumstamm, der quer neben dem Feuer lag. Die anderen Elfen, die dort gesessen hatten, standen auf, verneigten sich kurz und gingen. Robert sah etwas mehr als zwanzig an den Feuern und zwischen den Hütten.

      Catan zeigte auf die freien Stämme. »Setzt euch. Man wird uns gleich etwas zu essen bringen.«

      Er wartete, bis sie Platz genommen hatten. »Ich weiß, wer ihr seid«, sagte er dann. »Anne hat mir alles erzählt.«

      »Hat sie das?« Nadja klang misstrauisch. Robert konnte ihr das nicht verdenken.

      Anne ignorierte ihren Tonfall. »Er kann herausfinden, was auf Island geschehen ist, wir nicht. Es war also nur vernünftig, ihm alles zu erzählen.«

      Nadja schien etwas darauf erwidern zu wollen, schüttelte dann aber nur den Kopf. Catans Blick glitt von ihr zu Anne und wieder zurück, so als versuche er zu ergründen, wie die beiden zueinander standen.

      Robert wandte sich an den Elfen. Ein Themenwechsel erschien ihm angebracht. »Was ist mit euch? Wieso lebt ihr hier unten?«

      »Sieh dir meine Sippe doch an!« Catans Geste schloss das ganze Dorf ein. »Wo sonst sollten sie leben?«

      »In der Anderswelt?«, fragte Robert zurück.

      »Dort haben sie gelebt, aber man hat sie nicht geduldet … aus dem einen oder anderen Grund.« Catan unterbrach sich, als zwei Elfen von einem der Feuer auf ihn zugingen. Der eine war der mit Blättern bedeckte, dem Robert in Gedanken den Namen Laubelf gegeben hatte. Der andere war schwarz wie verkohltes Holz. Seine Hände wirkten wie Zweige. Sie trugen zwei Tabletts mit dampfenden Holznäpfen, in denen Löffel steckten, Bechern und Brot. Vor ihrem Anführer blieben sie stehen. Er warf einen Blick auf den Inhalt der Näpfe und nickte.

      »Esst und trinkt«, sagte er zu seinen Gästen. »Euer Wohlergehen liegt mir am Herzen.«

      Er sah Talamh bei diesen Worten an.

      Die Elfen stellten die Tabletts schweigend auf einen Schemel. Catan nahm den Brotlaib und riss ihn in drei gleichgroße Stücke. Mit einer leichten Verbeugung verteilte er sie. Robert nahm eines der Stücke. Es war noch warm.

      Er sah sich um. Die Elfen saßen an den Feuern, aßen und redeten. Die Neuankömmlinge beachteten sie kaum. Nur ab und zu sah einer kurz zu ihnen